27.01.2021
Erinnern und Antisemitismus in der Pandemie
Interview mit Deidre Berger
Anlässlich des Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27.01. haben wir mit Deidre Berger, BfDT- Beiratsvorsitzende und ehemalige Direktorin des
1. Aufgrund der Corona-Pandemie fallen in diesem Jahr viele Veranstaltungen am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus aus oder finden digital statt. Besuche von Gedenkstätten oder Museen, die nationalsozialistische Verbrechen thematisieren, sind ebenfalls nicht möglich. Welche Auswirkungen haben die pandemiebedingten Einschränkungen auf das Erinnern und wie können wir dennoch in der Corona-Pandemie Gedenken und Erinnern angemessen und auch zeitgemäß gestalten?
Da es immer weniger Holocaust-Überlebende gibt, wird das Zeitfenster für persönliche Begegnungen von Jahr zu Jahr kleiner. Es ist daher besonders schmerzhaft, dass wir durch die Corona-Pandemie ein ganzes Jahr verlieren, in dem wir uns nicht persönlich mit Überlebenden treffen und austauschen können. Und die Wirkung von persönlichen Begegnungen lässt sich nicht ersetzen. Dies trifft insbesondere auf junge Menschen zu, die sich mit der Geschichte auseinandersetzen wollen. Viele Überlebende berichten zudem, dass die Isolation des vergangenen Jahres schmerzhafte Erinnerungen wachgerufen hat. Auch wenn es kein Ersatz für den persönlichen Austausch ist, gibt es in diesem Jahr zahlreiche Möglichkeiten, die Lebensgeschichten von Holocaust-Überlebenden online zu erfahren. Ein Vorteil hierbei ist, dass Begegnungen im Netz weit mehr Menschen erreichen, als dies bei Präsenz-Veranstaltungen möglich ist. Da sich solche Veranstaltungen zudem aufzeichnen lassen, kann das Material auch zukünftig verwendet werden und die Begegnungen mit Überlebenden können so viele weitere Menschen erreichen.
2. Das BfDT arbeitet mit Personen/Initiativen zusammen, die sich zivilgesellschaftlich für mehr Demokratie und Toleranz einsetzen. Ein wichtiger Bestandteil dieses Engagements ist der Einsatz gegen Antisemitismus und Antiziganismus. Vor welchen spezifischen Herausforderungen steht das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Antisemitismus und Antiziganismus heute?
Antisemitismus und Antiziganismus zählen bis heute zu den stärksten Hassgefühlen in Europa. Dieser Hass wird durch zahlreiche Faktoren geschürt. Dazu zählen beispielsweise Hate Speech im Netz, populistische und nationalistische Hetze oder auch wachsende wirtschaftliche und gesellschaftliche Unsicherheiten, die mit Faktoren wie der Globalisierung und der Corona-Pandemie zusammenhängen. Regierungen, Parlamente, Sicherheitsbehörden und soziale Medien haben in den letzten Jahren begonnen, diesem Hass stärker entgegenzutreten. Nichtsdestotrotz sind auch weiterhin zivilgesellschaftliche Gruppen gefragt. Aufgrund ihrer persönlichen und regionalen Bezüge sind sie ein wesentlicher Bestandteil, um Antisemitismus und Antiziganismus in allen Bereichen des täglichen Lebens entgegenzusteuern.
3. Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie wurden vermehrt auch antisemitische Inhalte über das Internet verbreitet. Welche Auswirkungen hat dies auf Ihre Arbeit und was können Einzelpersonen und Initiativen unternehmen, wenn sie solchen Inhalten begegnen?
Beobachter/-innen weisen seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie auf einen starken Anstieg antisemitischer Angriffe im Internet, bei Demonstrationen und auch anderen öffentlichen Veranstaltungen hin. Organisationen, die sich gegen Antisemitismus stellen, jüdisches Leben fördern und für starke deutsch-israelische Beziehungen eintreten, erleben vermehrt aggressive Angriffe im Netz und in der Öffentlichkeit. Die Corona-Pandemie hat zudem einen exponentiellen Anstieg von Anhänger/-innen von Verschwörungserzählungen verursacht. Viele von ihnen suchen die Schuld für unerklärliche Vorfälle bei Jüd/-innen oder als jüdisch wahrgenommenen Personen. Verschwörungserzählungen entstehen, um scheinbar unerklärliche Phänomene zu erklären. Auch wenn es schwierig ist, irrationalen Argumenten mit Logik zu begegnen, ist es möglich, diese Argumente zu widerlegen und die darin enthaltenen Unwahrheiten zu offenbaren. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen auf Bundes- oder auch regionaler Ebene stellen hierfür leicht zugänglich Materialien zur Verfügung. Je mehr Menschen sich informieren und in die Diskussion einbringen, desto besser können wir als Gesellschaft Antisemitismus entgegentreten. Um Antisemitismus in Grenzen zu halten und jüdisches Leben ohne Angst zu ermöglichen, bedarf es einer ständigen Kontrolle und eines breiten Engagements. Jede/-r Einzelne und jede Diskussion macht einen Unterschied, um Antisemitismus zu bekämpfen.