20.01.2020

Interview mit BfDT-"Botschafter für Demokratie und Toleranz" 2019: Dr. Elio Adler

Dr. Elio Adler ist Sohn eines Holocaust-Überlebenden und setzt sich für die Stärkung der Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus jüdischer Perspektive ein. Er gründete 2014 den Verein „Interner LinkWerteInitiative“, der sich als eine zivilgesellschaftliche, jüdische Stimme in Deutschland versteht. Weiterhin ist Adler stellvertretender Vorsitzender des Nahost Friedenforums "NAFFO e.V.", ein Zusammenschluss engagierter Bürger/-innen in Deutschland, die sich für eine friedliche politische und gesellschaftliche Entwicklung im Nahen Osten einsetzen. Im Interview können Sie nachlesen, was ihn in seinem Engagement antreibt und welche Bedeutung er Werten für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft beimisst.

Elio Adler © A. RieberElio Adler © A. Rieber
Gab es einen bestimmten Anlass oder eine bestimmte Erfahrung, die letztendlich dazu geführt hat, dass Sie 2014 die „WerteInitiative e.V.“ gründeten?
Der Grund, der mich und Menschen um mich herum aktiv werden ließ, lag im Sommer 2014. Es war die Demonstration – der sogenannte Al-Quds-Marsch – auf dem Kurfürstendamm, wo hunderte hasserfüllter Demonstranten das freie Recht auf Meinungsäußerung und die Demonstrationsfreiheit missbraucht haben. Diese augenscheinlich mehrheitlich aus migrantischen Communities stammenden Demonstrierenden schrien Parolen wie „Jude, Jude feiges Schwein, […]“. Für mich war dabei weniger erschreckend, dass es diese Typen gab – vielmehr machten mich die Hilflosigkeit und das Desinteresse betroffen, mit dem die Mehrheitsgesellschaft darauf reagiert hat. Ähnlichen Hass – dann von Rechtsextremen – habe ich auch später in Dortmund oder Chemnitz gesehen. Das Muster ist doch immer das gleiche: extremistisch eingestellte Leute nutzen die Freiräume unserer Gesellschaft, um sie für ihre eigene Hassagenda zu missbrauchen. Dagegen kann nur eine Mehrheitsgesellschaft stehen, die sich der Werte des Grundgesetzes, der Werte einer freilich Demokratie nicht nur bewusst ist, sondern sie auch aktiv lebt. Wir Juden sind da extrem sensibel und wahrscheinlich früher aufmerksam, als so mancher andere. Darum ist diese Sensibilität etwas, was wir der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft quasi „zur Verfügung stellen“ können, um frühzeitig zu merken, wo sie selbst in Gefahr gerät. Und dieser Motor treibt mich täglich an.

Die WerteInitiative versteht sich als zivilgesellschaftlich-jüdische Stimme in Deutschland und arbeitet vor allem dialogorientiert im Austausch mit der Politik. Welches sind die zentralen Themen Ihrer Gespräche mit Bundestagsabgeordneten und anderen Entscheidungsträger/-innen, und welche Eindrücke oder Impulse nehmen Sie aus diesen Begegnungen mit?
Unser Ziel ist es, eine jüdische Zukunft in Deutschland zu sichern. Vor wenigen Jahren sind wir noch schräg angeschaut worden, als wir diese Sorge formulierten. Mittlerweile wundert es niemanden mehr. Unser Kernanliegen ist zu zeigen, dass „nie wieder“ als tragender Kerngedanke eines Landes nicht ausreicht, sondern zu einem „wofür“ werden muss. Unsere Themen, die sich rund um das jüdische Leben drehen, können gut dazu beitragen, dieses „wofür“ zu definieren.

© WerteInitiative© WerteInitiative
Ich spreche über Onlinehass und Sicherheit, spreche darüber, dass der Staat als Freund des Bürgers und nicht als sein Gegner wahrgenommen werden sollte. Ich beschreibe, wie Antisemit/-innen aus dem rechten, linken und muslimischen Bereich zwar unterschiedliche Argumentationsketten haben, diese aber immer im Judenhass enden. Aber, ich spreche auch über Lösungsansätze: Wenn es Interesse der Gesellschaft ist, die Gegner/-innen einer freiheitlich demokratischen Demokratie zu finden, so findet man die recht schwierig. Antisemit/-innen dagegen kann man leichter erkennen. Die Überlappung zwischen Antisemit/-innen und Gegner/-innen der freiheitlichen Demokratie ist sehr hoch. Findet man die einen, findet man die anderen. So sind viele Maßnahmen, die geeignet sind, eine jüdische Zukunft in Deutschland zu sichern, automatisch dem Schutz einer freien Gesellschaft dienlich. In diesem Sinne erlebe ich auch, dass es eine Reihe Politiker/-innen gibt, die auf unseren Input zu Themen Wert legen.
Befremdlich ist, dass es Menschen gibt, die mir bzw. uns dieses „Anliegen“ nicht glauben. Sie vermuten eine versteckte Agenda, weil es ihnen offenbar unbegreiflich ist, dass man sich im Bundestag zu Gesprächen trifft, aber dies anders als beim Wirtschaftslobbyismus nicht zum eigenen Vorteil oder in fremdem Auftrag tut, sondern zum Wohle einer Gesellschaft. Im Idealfall habe ich nicht mehr davon, als ein freier Bürger bleiben zu können.

In Ihrem Interner LinkVideoporträt auf der BfDT-Homepage nennen Sie bewusste, gelebte Werte als das beste Mittel, um als Demokratie gegen Hass und Extremismus standzuhalten. Wie können diese Werte Ihrer Meinung nach erfolgreich vermittelt werden?
Werte sind kein Schulfach, und Werte sind auch keine Theorie und nur in Teilen durch Gesetze auferlegbar. Werte haben eher etwas mit „Soft Skills“ zu tun, die ab einem gewissen Punkt natürlich auch rechtlich durchgesetzt werden müssen. Um wirklich präsent zu sein, müssen Werte mehr im Herzen als im Kopf verankert sein. Das müsste im Elternhaus anfangen und sich von dort konsequent über Kindergarten und Schule erstrecken. Vermitteln und vorleben ist wichtig. Das hat etwas mit dem altmodischen Wort „Anständigkeit“ zu tun. Das selbstverständliche Gefühl dafür, dass es Dinge gibt, die man einfach nicht tut. Es ist nicht cool, jegliche Grenzen zu überschreiten.
Wir müssen einen Schutzzaun um Werte ziehen, der definiert, wie wir zusammen leben wollen. So gehört zum Beispiel zum hohen Gut der Meinungsfreiheit auch, ihre Grenzen zu definieren und zu verteidigen.
Ich glaube, wenn es ein gemeinsames Verständnis gibt, was unser Zusammenleben ausmacht, wird es harmonischer. Dazu wäre es auch hilfreich, wenn sich Freiheitswerte und ihr Schutz erkennbar durch alle politischen Entscheidungen ziehen würden.
Elio Adler und Joachim Gauck (l.) © W. WinzerElio Adler und Joachim Gauck (l.) © W. Winzer
Zusätzlich wäre es gut, in Bezug auf unser Land und unsere Gesellschaft positive Gefühle entwickeln zu können. Keinen nationalistischen Patriotismus, aber das Gefühl, aktiver Teil einer Gesellschaft zu sein, in der z.B. Frauen und Männer gleichberechtigt sind, der Stärkere den Schwächeren stützt, die Meinung und der Glauben des anderen frei sind und der Rechtsstaat alle Bürger/-innen gleich behandelt. Denn so wird das Zusammenleben in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft die Summe der Leistungen Einzelner. Und diesen Einzelnen muss man dann nicht mehr erklären, wie wichtig „Werte“ sind.

Was sind Ihre persönlichen Höhepunkte im Werdegang der WerteInitiative?
Da gab es wirklich viele! Ich konnte spannende Menschen kennenlernen, z.B. Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, Springer-Chef Mathias Döpfner und viele mehr. Vor allem aber konnte ich meine eigene Wahrnehmung aus erster Hand erweitern. In Gesprächen mit Politiker/-innen auf allen Ebenen habe ich viel Interessantes lernen können. Und auch die Auszeichnung mit dem wunderbaren Preis des BfDT war ein absoluter Höhepunkt - gerade am 70. Jahrestag des Grundgesetzes!

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass Deutschland noch friedlicher, sicherer und hassbefreiter wird als bisher. Und ich wünsche mir, dass alle Bürger/-innen ihre eigene Verantwortung für sich und ihr Umfeld fühlen und tragen und nicht mehr andere für ihr Leben verantwortlich machen. Und ich würde gerne wieder ohne Angst meinen Davidstern am Halskettchen tragen können.

Dr. Elio Adler ist Sohn eines Holocaust-Überlebenden und setzt sich für die Stärkung der Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus jüdischer Perspektive ein. Er gründete 2014 den Verein „Interner LinkWerteInitiative“, der sich als eine zivilgesellschaftliche, jüdische Stimme in Deutschland versteht. Weiterhin ist Adler stellvertretender Vorsitzender des Nahost Friedenforums "NAFFO e.V.", ein Zusammenschluss engagierter Bürger/-innen in Deutschland, die sich für eine friedliche politische und gesellschaftliche Entwicklung im Nahen Osten einsetzen. Im Interview können Sie nachlesen, was ihn in seinem Engagement antreibt und welche Bedeutung er Werten für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft beimisst.

Elio Adler © A. RieberElio Adler © A. Rieber
Gab es einen bestimmten Anlass oder eine bestimmte Erfahrung, die letztendlich dazu geführt hat, dass Sie 2014 die „WerteInitiative e.V.“ gründeten?

Der Grund, der mich und Menschen um mich herum aktiv werden ließ, lag im Sommer 2014. Es war die Demonstration – der sogenannte Al-Quds-Marsch – auf dem Kurfürstendamm, wo hunderte hasserfüllter Demonstranten das freie Recht auf Meinungsäußerung und die Demonstrationsfreiheit missbraucht haben. Diese augenscheinlich mehrheitlich aus migrantischen Communities stammenden Demonstrierenden schrien Parolen wie „Jude, Jude feiges Schwein, […]“. Für mich war dabei weniger erschreckend, dass es diese Typen gab – vielmehr machten mich die Hilflosigkeit und das Desinteresse betroffen, mit dem die Mehrheitsgesellschaft darauf reagiert hat. Ähnlichen Hass – dann von Rechtsextremen – habe ich auch später in Dortmund oder Chemnitz gesehen. Das Muster ist doch immer das gleiche: extremistisch eingestellte Leute nutzen die Freiräume unserer Gesellschaft, um sie für ihre eigene Hassagenda zu missbrauchen. Dagegen kann nur eine Mehrheitsgesellschaft stehen, die sich der Werte des Grundgesetzes, der Werte einer freilich Demokratie nicht nur bewusst ist, sondern sie auch aktiv lebt. Wir Juden sind da extrem sensibel und wahrscheinlich früher aufmerksam, als so mancher andere. Darum ist diese Sensibilität etwas, was wir der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft quasi „zur Verfügung stellen“ können, um frühzeitig zu merken, wo sie selbst in Gefahr gerät. Und dieser Motor treibt mich täglich an.

Die WerteInitiative versteht sich als zivilgesellschaftlich-jüdische Stimme in Deutschland und arbeitet vor allem dialogorientiert im Austausch mit der Politik. Welches sind die zentralen Themen Ihrer Gespräche mit Bundestagsabgeordneten und anderen Entscheidungsträger/-innen, und welche Eindrücke oder Impulse nehmen Sie aus diesen Begegnungen mit?

Unser Ziel ist es, eine jüdische Zukunft in Deutschland zu sichern. Vor wenigen Jahren sind wir noch schräg angeschaut worden, als wir diese Sorge formulierten. Mittlerweile wundert es niemanden mehr. Unser Kernanliegen ist zu zeigen, dass „nie wieder“ als tragender Kerngedanke eines Landes nicht ausreicht, sondern zu einem „wofür“ werden muss. Unsere Themen, die sich rund um das jüdische Leben drehen, können gut dazu beitragen, dieses „wofür“ zu definieren.
Ich spreche über Onlinehass und Sicherheit, spreche darüber, dass der Staat als Freund des Bürgers und nicht als sein Gegner wahrgenommen werden sollte. Ich beschreibe, wie Antisemit/-innen aus dem rechten, linken und muslimischen Bereich zwar unterschiedliche Argumentationsketten haben, diese aber immer im Judenhass enden. Aber, ich spreche auch über Lösungsansätze: Wenn es Interesse der Gesellschaft ist, die Gegner/-innen einer freiheitlich demokratischen Demokratie zu finden, so findet man die recht schwierig. Antisemit/-innen dagegen kann man leichter erkennen. Die Überlappung zwischen Antisemit/-innen und Gegner/-innen der freiheitlichen Demokratie ist sehr hoch. Findet man die einen, findet man die anderen. So sind viele Maßnahmen, die geeignet sind, eine jüdische Zukunft in Deutschland zu sichern, automatisch dem Schutz einer freien Gesellschaft dienlich. In diesem Sinne erlebe ich auch, dass es eine Reihe Politiker/-innen gibt, die auf unseren Input zu Themen Wert legen.
Befremdlich ist, dass es Menschen gibt, die mir bzw. uns dieses „Anliegen“ nicht glauben. Sie vermuten eine versteckte Agenda, weil es ihnen offenbar unbegreiflich ist, dass man sich im Bundestag zu Gesprächen trifft, aber dies anders als beim Wirtschaftslobbyismus nicht zum eigenen Vorteil oder in fremdem Auftrag tut, sondern zum Wohle einer Gesellschaft. Im Idealfall habe ich nicht mehr davon, als ein freier Bürger bleiben zu können.

In Ihrem Interner LinkVideoporträt auf der BfDT-Homepage nennen Sie bewusste, gelebte Werte als das beste Mittel, um als Demokratie gegen Hass und Extremismus standzuhalten. Wie können diese Werte Ihrer Meinung nach erfolgreich vermittelt werden?

Werte sind kein Schulfach, und Werte sind auch keine Theorie und nur in Teilen durch Gesetze auferlegbar. Werte haben eher etwas mit „Soft Skills“ zu tun, die ab einem gewissen Punkt natürlich auch rechtlich durchgesetzt werden müssen. Um wirklich präsent zu sein, müssen Werte mehr im Herzen als im Kopf verankert sein. Das müsste im Elternhaus anfangen und sich von dort konsequent über Kindergarten und Schule erstrecken. Vermitteln und vorleben ist wichtig. Das hat etwas mit dem altmodischen Wort „Anständigkeit“ zu tun. Das selbstverständliche Gefühl dafür, dass es Dinge gibt, die man einfach nicht tut. Es ist nicht cool, jegliche Grenzen zu überschreiten.
Wir müssen einen Schutzzaun um Werte ziehen, der definiert, wie wir zusammen leben wollen. So gehört zum Beispiel zum hohen Gut der Meinungsfreiheit auch, ihre Grenzen zu definieren und zu verteidigen.
Ich glaube, wenn es ein gemeinsames Verständnis gibt, was unser Zusammenleben ausmacht, wird es harmonischer. Dazu wäre es auch hilfreich, wenn sich Freiheitswerte und ihr Schutz erkennbar durch alle politischen Entscheidungen ziehen würden.

Elio Adler und Joachim Gauck (l.) © W. WinzerElio Adler und Joachim Gauck (l.) © W. Winzer
Zusätzlich wäre es gut, in Bezug auf unser Land und unsere Gesellschaft positive Gefühle entwickeln zu können. Keinen nationalistischen Patriotismus, aber das Gefühl, aktiver Teil einer Gesellschaft zu sein, in der z.B. Frauen und Männer gleichberechtigt sind, der Stärkere den Schwächeren stützt, die Meinung und der Glauben des anderen frei sind und der Rechtsstaat alle Bürger/-innen gleich behandelt. Denn so wird das Zusammenleben in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft die Summe der Leistungen Einzelner. Und diesen Einzelnen muss man dann nicht mehr erklären, wie wichtig „Werte“ sind.

Was sind Ihre persönlichen Höhepunkte im Werdegang der WerteInitiative?

Da gab es wirklich viele! Ich konnte spannende Menschen kennenlernen, z.B. Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, Springer-Chef Mathias Döpfner und viele mehr. Vor allem aber konnte ich meine eigene Wahrnehmung aus erster Hand erweitern. In Gesprächen mit Politiker/-innen auf allen Ebenen habe ich viel Interessantes lernen können. Und auch die Auszeichnung mit dem wunderbaren Preis des BfDT war ein absoluter Höhepunkt - gerade am 70. Jahrestag des Grundgesetzes!

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass Deutschland noch friedlicher, sicherer und hassbefreiter wird als bisher. Und ich wünsche mir, dass alle Bürger/-innen ihre eigene Verantwortung für sich und ihr Umfeld fühlen und tragen und nicht mehr andere für ihr Leben verantwortlich machen. Und ich würde gerne wieder ohne Angst meinen Davidstern am Halskettchen tragen können.