28.06.2019

Interview mit der Initiative Offene Gesellschaft

Philip Husemann © Initiative Offene Gesellschaft
Philip Husemann ist Geschäftsführer der Interner LinkInitiative Offene Gesellschaft. Im Gespräch erzählt er vom Hintergrund der Gründung der Initiative, vom Denken in Ideen und Utopien und wie es gelingt, einmal im Jahr ca. 30.000 Menschen dazu zu bringen, sich mit Fremden an einen Tisch zu setzen und gemeinsam zu feiern.



Seit wann gibt es die Initiative Offene Gesellschaft und zu welchem Anlass und mit welchen Zielen wurde die Initiative ins Leben gerufen?

Alles begann im Herbst 2015, als die Flucht nach Deutschland die Gesellschaft auf bis dahin ungekannte Weise polarisierte – Stichwort Pegida. In dieser aufgeheizten Stimmung war für unser Gründungsteam klar: wir müssen endlich wieder miteinander und konstruktiv über unsere Demokratie ins Gespräch kommen. So war unsere ehrenamtlich organisierte Debatten-Reihe geboren, unter dem Titel „Welches Land wollen wir sein?“. Mehr als 10.000 Menschen nahmen bundesweit teil. Seit 2016 wurde daraus dann schrittweise unsere heutige Initiative. Wir verstehen uns als Ideen-Plattform für die offene Gesellschaft und bringen Aktionen auf die Straße und ins Digitale.

Welche sind Ihre persönlichen Höhepunkte im Werdegang der Initiative?

© Initiative Offene Gesellschaft
Ein entscheidender Schritt war sicher, 2017 den Tag der offenen Gesellschaft ins Leben zu rufen. Menschen im ganzen Land feiern an diesem Tag die Demokratie. Zehntausende waren schon dabei. Jedes Jahr werden es mehr.
Ein Meilenstein ist für mich aber auch unser neuer Fokus seit 2019: das Denken in Ideen und Utopien. Genau das zeichnet eine offene Gesellschaft nämlich aus. Wir sind frei, die Verhältnisse zu kritisieren und können uns friedlich um die besten Konzepte für die Zukunft streiten. Das wollen wir als Initiative unter dem Motto „Aufstand der Ideen“ wieder stärker ins Bewusstsein rücken, indem wir 2019 im ganzen Land mit einer Ausstellung und einem Ideenlabor für Bürgerinnen und Bürger unterwegs sind. Und indem wir konkrete Utopien zur Debatte stellen – mit unserem neuen Magazin Was Wäre Wenn.

Woher beziehen Sie die konkreten Ideen und Inhalte für die Initiative Offene Gesellschaft und welche Akteur/-innen tragen konkret dazu bei? Erzählen Sie kurz von Ihrer vielfältigen alltäglichen Arbeit.

Wir haben uns in den letzten Jahren mit vielen hundert Privatpersonen, Gruppen und Initiativen vernetzt und gemeinsame Sache gemacht. Allein dadurch haben wir einen ganz neuen Blick auf unsere offene Gesellschaft gewonnen, die sehr reich ist an Engagement und Ideen. An Themen mangelt es uns schon deshalb nicht. Unsere Arbeit ist in der Tat vielfältig. Unser rund 20-köpfiges Team unterstützt Aktive im ganzen Land mit Vernetzung und Material. Und es wuppt unsere großen Projekte wie den Tag der offenen Gesellschaft und die interaktive Wanderausstellung. Daneben betreiben wir diverse digitale Kanäle, um prodemokratischem Engagement die Bühne zu geben, die sie in bewegten Zeiten wie diesen verdient.

Am 15. Juni 2019 fand der Tag der Offenen Gesellschaft, den Sie jährlich organisieren, bereits zum dritten Mal statt. Was genau kann man sich unter diesem großen Ereignis vorstellen und worin, denken Sie, besteht das Erfolgsrezept des Konzepts?

© Initiative Offene Gesellschaft
Die Idee ist einfach. Wir rufen einmal im Jahr auf, Tische und Stühle rauszustellen und unter freiem Himmel die Demokratie zu feiern. Menschen im ganzen Land treffen und begegnen sich, essen zusammen und reden über das, was sie bewegt, spinnen neue Ideen. Gemeinsam setzen alle Feste vor Ort ein Zeichen für Offenheit, Vielfalt und Freiheit. Dieses Jahr waren es mehr als 700 Tische und Picknicks mit geschätzt 30.000 Teilnehmenden. Das Erfolgsrezept ist vielleicht, dass das Konzept so offen ist. Ich kann als Privatperson mitmachen und andere einladen oder auch als Verein. Sogar Buchläden, das Technische Hilfswerk und ein Spätkauf waren diesmal dabei. Manche diskutieren aktuelle Fragen, andere machen ein Speeddating oder tanzen bis in den Abend. Und zugleich zeigt man endlich mal gemeinsam Haltung in einer Zeit, in der Hass und Hetze viel zu oft die Agenda bestimmen.

Welchen Herausforderungen begegnen Sie während Ihres Engagements, und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Es ist immer wieder herausfordernd, Menschen für unsere offene Gesellschaft zu mobilisieren. Wir kämpfen zum Beispiel gegen sehr pessimistische Einstellungen an, etwa gegen das Bild, man könne ja als Einzelner eh nichts verändern. Bei anderen sitzt das Misstrauen sehr tief. Sie werden schon bei der Einladung wütend, mal mit Fremden oder Andersgläubigen an einem Tisch zu sitzen. Das zeigt, wie tief die Angstmache und Hetze populistischer Akteure in die Gesellschaft hineingewirkt hat.
Für die Zukunft wünschen wir uns einen anderen Zeitgeist. Schluss mit Dauerempörung und Untergangsstimmung. Unsere offene Gesellschaft ist nie fertig oder perfekt. Aber wir können uns zusammentun, um sie zu verbessern. Werden wir wieder Teil einer positiven Geschichte.

© Initiative Offene Gesellschaft