31.05.2019

Interview mit StrassenBLUES e.V.

Nikolas Migut ist Gründer und 1. Vorsitzender des Interner LinkStrassenBLUES e.V.. Im Gespräch erzählt er, wie die zufällige Begegnung mit einem Obdachlosen namens Alex zur Gründung des Vereins StrassenBLUES e.V. führte, warum ein kreatives Storytelling wichtig für den Erfolg eines ehrenamtlichen Vereins ist und wie eine Jede und ein Jeder dabei helfen kann, den Geburtstag eine/-s Obdachlosen zu einem für ihn/sie unvergesslichen Tag zu machen.

StrassenWEIHNACHTSWUNSCH 2018 (Bild: David Diwiak | StrassenBLUES e.V.)StrassenWEIHNACHTSWUNSCH 2018 (Bild: David Diwiak | StrassenBLUES e.V.)

Alles begann mit Alex, einem Obdachlosen mit funkelnden blauen Augen, dem Sie beim Dreh einer Doku-Reportage zufällig begegneten und mit dem Sie spontan eine Nacht in Berlin verbrachten. Was bewegte Sie dazu, Alex zwei Jahre nach dieser Begegnung wieder aufzusuchen und schließlich mehr zu tun, als nur einen Film über die Situation von Menschen ohne Wohnung zu drehen?

Dieses Aufeinandertreffen mit dem Obdachlosen Alex war eine dieser Begegnungen im Leben, die ich nicht vergessen werde. Ich wusste, dass ein Kurzfilm über ihn sicher einige Menschen bewegen wird, aber in unserer medialen Welt konsumieren wir tagtäglich Filme, Videos und Informationen. Daher wollte ich etwas schaffen, das Menschen nicht nur erreicht, sondern aktiviert.
Im September 2012 habe ich Alex das erste Mal getroffen und mit ihm gedreht, habe ihn dann aber aus den Augen verloren. Im Dezember 2014 bin ich dann gemeinsam mit meiner Frau Milena und unserer damals 4-monatigen Tochter auf die Suche nach Alex gegangen. Viele Menschen, die meinen ersten Kurzfilm über ihn gesehen haben, wollten wissen, wie es Alex nun geht. Wir haben dann in Hamburger Obdachloseneinrichtungen Aushänge gemacht und auch Berliner Sozialeinrichtungen informiert. Einige Zuschauer des Kurzfilms gaben mir den Hinweis, dass sie ihn in diesen beiden Städten gesehen haben wollen. Schließlich sind meine Frau und ich fündig geworden: Alex lebte – nach zehn Jahren auf der Straße – in einer Sozialwohnung in Neumünster, Schleswig-Holstein. Wir haben uns dann im Januar 2015 wieder getroffen und er wollte, dass ich meine Filmkamera mitbringe. Daraus ist der Dokumentarfilm „Straßenblues“ entstanden und schließlich unser gemeinnütziger Verein StrassenBLUES e.V. hervorgegangen.

Wodurch kam StrassenBLUES e.V. konkret ins Rollen, und wer gehört zu den Akteurinnen und Akteuren des Vereins?
StrassenWEIHNACHTSWUNSCH 2018 (Bild: David Diwiak | StrassenBLUES e.V.)StrassenWEIHNACHTSWUNSCH 2018 (Bild: David Diwiak | StrassenBLUES e.V.)
Nach langer Vorbereitung habe ich im November 2016 mit Freunden und Kollegen den ehrenamtlichen, gemeinnützigen Verein StrassenBLUES e.V. für und mit Obdachlosen gegründet. Das geschah im Rahmen eines Stipendiums beim Social Impact Lab Hamburg. Unter den Gründungsmitgliedern ist auch Rosi, eine ehemalige Obdachlose, die uns immer sehr genau bei unseren Projekten berät und unterstützt. Wir sind sehr offen für Ehrenamtliche – die wir StrassenHELDEN nennen – die mit uns gemeinsam positiv auf die Gesellschaft einwirken möchten. Im Kern wollen wir, dass Menschen mit Obdachlosen mitfühlen und sie zum Handeln inspirieren.

Im diesjährigen Aktiv-Wettbewerb des BfDT überzeugte Ihr Projekt „StrassenWAHL“ und wurde mit dem Höchstpreis von 5.000€ ausgezeichnet. Worin bestand das Erfolgsrezept des Konzepts von „StrassenWAHL“ und dem StrassenBLUES e.V. im Allgemeinen, und was würden Sie anderen empfehlen, die vielleicht ähnliche Projekte in ihrer Stadt starten möchten?

Das Konzept StrassenWAHL entstand am Küchentisch von meiner Frau Milena und mir, als unsere kleine Tochter gerade ihren Mittagsschlaf hielt. Wir hatten damals Anfang 2017 gedacht, was können wir dazu beitragen, um die Demokratie zu stärken. Also haben wir uns mit unserem Verein StrassenBLUES e.V. das Ziel gesetzt, zum einen Obdachlose mit einer Demokratie-Kampagne aufzuklären, dass und wie sie wählen gehen können. Zum anderen wollten wir auch Nichtwähler/-innen erreichen, damit ihnen bewusst wird, wie wichtig ihre Stimme bei der Bundestagswahl ist. In der Form war unsere deutschlandweite Kampagne neu.
Unser Erfolgskonzept besteht im kreativen Storytelling – wir erzählen also nachvollziehbare Geschichten in visuell ansprechender Form, sodass Menschen darauf reagieren. Dieses Prinzip haben wir in all unseren Aktionen. Letztlich sind Kreativität und Empathie der Schlüssel des Erfolgs von StrassenBLUES e.V.. Meine Empfehlung für solche Art von Projekten ist, dass diese nicht nur innovativ und wirkungsvoll sind, sondern auch gut kommuniziert werden, also die Geschichte – das Storytelling – stimmt, damit es Menschen von Anfang an begeistert und an Bord holt.

Ein weiteres Projekt steht bereits vor der Tür: Der „StrassenGEBURTSTAG“. Bei einem Interner LinkCrowdfunding können alle mithelfen und den Menschen Wertschätzung schenken, deren Geburtstag in der Regel niemand feiert bzw. die selbst nicht die Möglichkeit besitzen, ihn zu feiern. Worum genau geht es bei „StrassenGEBURTSTAG“ und warum lohnt es sich, mitzumachen?

StrassenWEIHNACHTSWUNSCH 2018 (Bild: David Diwiak | StrassenBLUES e.V.)StrassenWEIHNACHTSWUNSCH 2018 (Bild: David Diwiak | StrassenBLUES e.V.)
Den Geburtstag einer/-s Obdachlosen feiert niemand - oftmals nicht mal er/sie selbst. Das wollen wir ändern. Wir schaffen durch Geburtstags-Events zwischenmenschliche Begegnungen auf Augenhöhe von Obdachlosen und Menschen mit Dach über dem Kopf. Statt auf der Straße anonym aneinander vorbeizugehen, können sich hier die Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund miteinander austauschen. Jugendliche werden in einer Unterrichtseinheit geschult, die Treffen vorzubereiten und kommen so mit dem Thema in Berührung. Sie werden durch Text, Fotos und Videos Porträts der Obdachlosen erstellen. Unterstützt durch einen digitalen Geburtstagskalenders der Obdachlosen wird jeder Interessierte ein besonderes Geburtstags-Treffen erleben können. StrassenBLUES e.V. organisiert das „Matching“ von Obdachlosen und Schenkern vorab, bevor sie sich dann persönlich kennenlernen. Ein Ziel des StrassenGEBURTSTAGS ist, dass sich daraus langfristige Patenschaften von Obdachlosen und Schenker/-innen entwickeln.
In diesen Zeiten ist Mitmenschlichkeit wichtiger denn je. Obdachlose leben als Menschen am Rand unserer Gesellschaft. Das muss nicht sein. Durch den StrassenGEBURTSTAG erleben sich Obdachlose wieder als wertgeschätzte Menschen. Wir können damit helfen, dass sich obdachlose Menschen nicht mehr einsam und ausgegrenzt fühlen müssen.
Bis 5. Juni kann noch jeder über Interner Linkwww.strassengeburtstag.de unser neues, ungewöhnliches Geburtstagsprojekt unterstützen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Unsere Vision ist, dass wir gemeinsam Bedingungen schaffen, die die Obdachlosigkeit abschafft. Das ist ein hehres, großes Ziel - und damit hätte unser Verein seine Aufgabe voll erfüllt. Auf dem Weg dahin wollen wir in jeder deutschen Großstadt gerne ein Team von ehrenamtlichen StrassenHELDEN schaffen. Diese StrassenHELDEN sollen in ihrer Stadt die Menschen erreichen und für das Thema Obdachlosigkeit sensibilisieren, damit ein positives Mitgefühl für Menschen am Rand unserer Gesellschaft entsteht und wir gemeinsam Handeln.