16.02.2018
Interview zum Aktiv-Preisträgerprojekt „Ein Rucksack voll Hoffnung – für Münster“
Sebastian Jeising im Gespräch
Sebastian Jeising hat mit seinem Projekt „Ein Rucksack voll Hoffnung – für Münster“ am Aktiv-Wettbewerb des Bündnisses für Demokratie und Toleranz – Gegen Extremismus und Gewalt teilgenommen und wurde für sein Engagement mit einem Preisgeld in Höhe von 5000€ ausgezeichnet. Vor allem zu der aktuellen Jahreszeit ist es wichtig, sich mit der Lebensrealität von wohnungs- und obdachlosen Menschen auseinander zu setzen und sie dabei zu unterstützen, mit der Kälte zurecht zu kommen. Im Gespräch erzählt Sebastian Jeising von seinen Erfahrungen und dem Erfolg seines Projekts.Alles begann mit einem Essay über die Situation von Menschen, die ohne festen Wohnsitz leben. Welcher Aspekt dieses sozialen Phänomens war es, derSie dazu verleitete, mehr zu tun, als lediglich darüber zu schreiben?
Nachdem mein Essay veröffentlicht worden war, dachte ich darüber nach, was ich tun könnte, um die Situation der Obdach- und Wohnungslosen zu verändern. Es ist danallerdings doch noch ein großer Schritt, das Überlegte in die Tat umzusetzen. Besonders als 14-jähriger, dessen Freunde dem Thema mit einer gewissen Scheu begegneten. Als Aurelius Thoß mich über die Redaktion des Straßenmagazins draußen!, in dem mein Essay erschienen war, kontaktierte, war er gewissermaßen der Funke, der das Feuer entfachte. Während unseres ersten Kennenlernens entwickelten wir eine Vielzahl an Ideen, die wir unbedingt gleich morgen umsetzen wollten. Aurelius war von Beginn an mit obdach- und wohnungslosen Menschen auf der Straße in Kontakt getreten, hatte mit ihnen geredet und sich mit ihnen angefreundet. Ich dagegen hatte - so wie wohl fast jeder andere - noch nie mit jemandem, der der Realität auf der Straße zu leben ins Augen blicken muss, geredet. Demnach war es Aurelius, der mir half, diese Hemmschwelle zu überwinden, aber besonders der Umgang gleichaltriger, die scheinbar ohne je wirklich darüber nachgedacht hatten, die Meinung ihrer Eltern hinsichtlich Menschen in solch schwierigen Lebenslagen übernahmen. Ich hatte zudem den Eindruck, Obdach- und Wohnungslosigkeit werde von Vielen als Tabuthema behandelt - vielleicht weil man dachte, es sei mit dem Eingeständnis verbunden, nicht alle könnten von sozialen Sicherungsmechanismen aufgefangen werden.
Wodurch kam „Ein Rucksack voll Hoffnung – für Münster“ ins Rollen und wer hat das Projekt initiiert?
Aurelius hatte kurz nachdem wir uns das erste Mal getroffen hatten, von einem Projekt der Hamburger Krankenschwester Kamile Kantarci erfahren, die gemeinsam mit Freunden Rucksäcke mit Spenden füllte und sie mit einer Umarmung an die Obdach- und Wohnungslosen der Stadt verteilte. Wir fragten uns, wie ein solches Projekt in Münster umzusetzen sein könnte und fuhren im Dezember 2014 zu einem Vernetzungstreffen nach Hamburg. Das war sicherlich der Ausgangspunkt für die im März 2015 angesetzten Sammelaktionen, zu denen wir die Bürger/-innen aufriefen, Sach- und Geldspenden für unsere Idee an einem Stand am Marktplatz abzugeben. Wir wurden nahezu überhäuft und freuten uns darüber, dass auch die Initiative an Mithelfenden wuchs, die uns dabei halfen, den Spendenberg an Kleidung und anderen Sachspenden zu sortieren und zu packen. Während immer neue Menschen zu uns stießen, entwickelten sich vermehrt neue Ideen, wie wir den Menschen auf der Straße in Münster helfen wollten.
Worin, denken Sie, besteht das Erfolgsrezept des Konzepts von „Ein Rucksack voll Hoffnung“?
Wir waren von Beginn an eine Initiative von Schülern, die aus der Gesellschaft heraus versucht, Obdach- und Wohnungslose mit anderen Menschen zum Dialog zusammen zu bringen. Die Geste des Zugehens auf jemanden in einer schwierigen Lage hat eine andere Bedeutung, wenn sie von einem professionellen Sozialarbeiter oder einem Schüler ausgeht. Es ist uns sehr wichtig, diesen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und frei von Vorurteilen von ihnen als Person und ihrer Geschichte zu erfahren.
Die Umsetzung des Projekts beinhaltete neben praktischen Tätigkeiten, wie das Sammeln von Spenden, auch die Erarbeitung eines Unterrichtkonzepts. Warum ist es so wichtig, dass Schüler/-innen und Studierende zur Auseinandersetzung mit Obdach- und Wohnungslosigkeit animiert werden?
Das Unterrichtskonzept, welches unter Prof. ́in Karin Böllert des Fachbereichs Sozialpädagogik der WWU Münster auf unsere Initiative hin ausgearbeitet wurde, soll Vorurteile seitens der Schüler/-innen gegenüber Obdach- und Wohnungslosen abbauen und einen Dialog ermöglichen. Ziel ist es auch, ein grundlegendes Wissen über das Phänomen zu vermitteln. Die Schüler/-innen werden zunächst im Unterricht auf das Thema theoretisch vorbereitet, das heißt grundsätzliche Frage- und Problemstellungen werden erarbeitet. Anschließend findet eine Arbeitsphase mit Obdach- und Wohnungslosen statt, in welcher der Kurs die Gelegenheit bekommt, während einer Interviewsituation in einen Dialog mit einem Obdach- oder Wohnungslosen sowie einem Sozialarbeiter zu treten.
Aus meiner Erfahrung mit diesem Konzept kann ich berichten, dass es eine große Chance bietet, ein Nachdenken über den Umgang mit dem Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit in einer zukünftigen Gesellschaft anzuregen.
Sie haben bereits einige Sammelaktionen durchgeführt und mit Betroffenen von Obdach- und Wohnungslosigkeit zusammen gearbeitet. Erzählen Sie von Ihren Erfahrungen und Erfolgen!
Wir konnten inzwischen mehr als 150 Rucksäcke verteilen und sind dabei mit vielen Betroffenen ins Gespräch gekommen. Abgesehen davon, dass es die Decken, Mützen, Handschuhe, Shampoos, Snacks und all die anderen Dinge, den Tag der Beschenkten wirklich zu erleichtern vermögen und darüber hinaus noch etwas schöner zu machen, heißt das Projekt nicht „Ein Rucksack voll Sachspenden“. Die Momente, die wir beim verteilen erlebt haben, zeichnen oft ein ganz anderes Bild von den Menschen, die wir dabei antrafen.

Ich wünsche mir, dass das Projektteam fortbesteht, obwohl immer wieder Mitglieder wegbrechen, die bspw. zum Studium wegziehen. Wir brauchen immer noch motivierte Helfer/-innen, die sich und ihre Ideen einbringen. Ich wünsche mir außerdem, dass das Unterrichtskonzept langfristig in Unterrichtsplanungen implementiert wird. Im Dezember haben wir an den vier Adventssamstagen Verteilaktionen in einigen Ruhrgebietsstädten durchgeführt und stießen dabei auf eine weit dramatischere Situation als in Münster. Deshalb ist es auch für uns vorstellbar als Beispielprojekt für weitere Städte zu dienen.