30.08.2012
„Rom heißt Mensch“
Seit 1999 versammelt die Lehrerin Petra Klawitter interessierte Schüler in einer AG und forscht in dem Projekt „Rom heißt Mensch“ zum Schicksal der Sinti und Roma in ihrer Region. Das Projekt hat inzwischen nicht nur eine eigene Ausstellung und eine Publikation auf die Beine gestellt, sondern forscht auch selbst immer weiter. Dabei geht es ihnen nicht nur um die tragischen Schicksale während der NS-Zeit Ermordeter, sondern auch um die Frage, warum viele Firmen immer noch „Zigeunerschnitzel“ anbieten. Ein Interview mit der AG-Leiterin Petra Klawitter.Wie entstand das Projekt „Rom heißt Mensch“?
Petra Klawitter: Die AG ist schon 1999 in der Nachbarschule in Gelbensande entstanden. Wir haben vor drei Jahren angefangen ein Projekt zu machen: Einen Geschichtskoffer zum Konzentrationslager in Ravensbrück und den Außenlagern in Mecklenburg-Vorpommern. Dazu haben wir Materialien und Bücher, auch für Jüngere, gesucht und sind auf ein Buch gestoßen, das „Elses Geschichte“ heißt und sich mit dem Schicksal eines Roma Mädchens beschäftigt. Wir haben gemerkt, dass wir relativ viel zur Situation der Juden in unserer Region wissen, aber zu der Opfergruppe der Sinti und Roma haben wir noch nie recherchiert.
War die Situation der Roma und Sinti in der Zeit des Nationalsozialismus ihr Schwerpunkt?
Ja, der Nationalsozialismus war einer unserer Schwerpunkte, aber auch die Zeit davor hat uns interessiert. Wir wollten herausfinden, ob es hier in unserer Region auch Verfolgungen gab - hier haben wir konkrete Beispiele gesucht. Wir haben diesbezüglich nur wenig gefunden, denn unsere Gegend ist kein typisches Siedlungsgebiet oder Wohngebiet für Sinti und Roma. Aber es gab welche und wir haben ihre Namen aus dem Auschwitz Gedenkbuch zusammengetragen. Es gab sogar welche, die hier in Mecklenburg-Vorpommern geboren sind und dann nach Auschwitz kamen und dort teilweise verstorben oder in andere Lager gekommen sind. Ob und wie viele überlebt haben, konnten wir leider oft nicht herausfinden, weil es keine Quellen mehr dazu gibt. Einige Schüler und Schülerinnen sind bei uns auch in den Ort gegangen und haben Leute auf der Straße befragt, was sie über Roma und Sinti wissen. Mehrheitlich war der Wissensstand sehr schlecht und es wurden auch typische Vorurteile bedient, z.B. dass sie stehlen und betteln, aus Bulgarien und Rumänien kommen, bunte Röcke tragen etc. Die Ergebnisse dieser Interviews sind teilweise in das Buch eingeflossen.
Sie haben auch ein Buch namens „Rom heißt Mensch“ veröffentlicht.
Ja. Das Buch ist Materialsammlung und Dokumentation und beinhaltet auch das, was wir aus Mecklenburg-Vorpommern herausgefunden haben. Zum Beispiel aus dem Landesarchiv in Stralsund haben wir Fotos bekommen.
Hat ihr Buch eine bestimmte Zielgruppe?
Das Buch richtet sich an Schüler und Schülerinnen. Neulich hatten wir zum Beispiel eine Anfrage aus einer Schule, in der das Thema Roma und Sinti im Unterricht behandelt wurde und die das Buch unterstützend beziehen wollten. Es ist aber auch ein Buch für Erwachsene. Wir haben auch Firmen angeschrieben und gefragt, warum sie bestimmte Produkte „Zigeunerschnitzel“ oder „Zigeunersoße“ nennen. Nur eine Firma hat geantwortet, dass sie darüber sprechen wollten, die anderen meinten, dass der Normalbürger das so kenne und sie keine Veranlassung sähen, die Namen zu ändern.
Außer dem Buch gibt es noch eine Ausstellung. Worum geht es hier?
Die Ausstellung ist parallel zum Buch entstanden und lehnt sich daran an. Die Tafeln sind momentan unterwegs – wir hatten ja jetzt den 20. Jahrestag in Lichtenhagen und die Ausstellung ist an eine Schule in Lichtenhagen gegangen. Ich bin auch mit zwei Schülern an der Schule gewesen und wir haben die Ausstellung dort erklärt, einen geschichtlichen Exkurs gemacht und anhand von „Elses Geschichte“ erklärt, wie man mit Minderheiten umgegangen ist, was Ausgrenzung bedeutet. Auch in Lichtenhagen wurden ja auch Minderheiten, Roma und Vietnamesen, zu Opfern von Angriffen und Fremdenfeindlichkeit.
Sie arbeiten auch mit polnischen und rumänischen Jugendlichen zusammen. Wie kam diese Kooperation zu Stande?
Wir hatten 2006 an einem Wettbewerb „Was weißt du über deinen Nachbarn?“ teilgenommen - es ging um das deutsch-polnische Verhältnis. Bei diesem Wettbewerb haben wir den ersten Preis erhalten und eine polnische Schülergruppe den vierten. Die Lehrerin der Gruppe wollte daraufhin gerne Kontakt zu uns aufnehmen. Als Auszeichnung hatten wir eine Reise nach Stettin erhalten und die Lehrerin hat uns in der Stadt herumgeführt – so kam diese Annäherung zustande. Mit den polnischen Jugendlichen kooperieren wir in Workcamps. Vor drei Jahren waren wir in Krakau und haben dort Kriegsgräberanlagen aus dem ersten und zweiten Weltkrieg gepflegt. Mit diesen Workcamps waren wir außer in Polen auch in den Masuren, in Belgien und in Tschechien und jetzt auch in den Karpaten in Rumänien. Bei der rumänischen Schülergruppe war auch ein Rom mit dabei. Es war bereichernd für unsere Schüler und Schülerinnen Innen, ihn kennenzulernen und so konkret von der aktuellen Situation, vor allem der Bildungssituation, der Roma und Sinti in Rumänien zu erfahren. Wir planen dieses Jahr nach Ungarn zu fahren und die bereits bestehende Kooperation mit polnischen und rumänischen Jugendlichen noch um die mit ungarischen Jugendlichen zu erweitern. Es ist aber noch nicht sicher, ob die rumänischen SchülerInnen mit nach Ungarn fahren können.
Wie sieht die Zukunft ihres Projektes aus?
Wir forschen zu Roma und Sinti als Soldaten in den beiden Weltkriegen. Während des Ersten Weltkrieges dienten Sinti und Roma in der kaiserlichen Armee und erhielten das Eiserne Kreuz. Während der NS Zeit dienten Sinti als Soldaten zunächst in der Wehrmacht. Aus „rassischen“ Gründen wurden sie dann Anfang der 1940er Jahre aus der Wehrmacht entlassen und in Konzentrationslager deportiert. Am Kriegsende wurden einige mit dem Versprechen, dass ihre Familienangehörigen aus dem KZ entlassen würden, in die SS-Sondereinheit Dirlewanger eingegliedert. Viele dieser Männer kamen so noch kurz vor Kriegsende um. Diese Schicksale wollen wir öffentlich machen und aufzeigen, dass diktatorische Systeme niemals eine Daseinsberechtigung haben dürfen. Sowohl das Buch zu diesem Thema als auch die Ausstellung sollen bis 2013 fertig werden. Die Fördermittel sind beantragt und wir hoffen, dass es klappt.
