30.05.2012
„Flüchtling für einen Tag“ - Ein erlebnispädagogisches Aktionsspiel
von Tilo Segert
„Bei einer Behörde würde ich normalerweise auf den Tisch hauen und sagen: ,Leute, könnt ihr das nicht einfach vernünftig machen?' Aber hier traue ich mich das einfach nicht, weil ich Angst habe, die Behörden könnten mir einen Strick daraus drehen.“,sagte Britta Kopelke, die mit ihren beiden elf- und 12-jährigen Söhnen im Mai 2011 bei der zweiten Runde von „Flüchtling für einen Tag“ in die fiktive Rolle von politischen Flüchtlingen aus dem Irak geschlüpft sind. „Es besteht immer eine gewisse Grundunsicherheit.“, betonte Frau Kopelke nochmal. „Deshalb sind wir besonders vorsichtig bei unserer Wortwahl.“So oder so ähnlich muss es sich tatsächlich anfühlen, wenn man als Flüchtling aus einem fremden Land in Deutschland Asyl beantragt und auf die scheinbare Willkür der Behörden trifft. Bis man diese Erfahrung auch einmal tatsächlich erleben durfte, mussten noch zahlreiche Gedanken gesponnen und Ideen verwirklicht werden, um dieses Planspiel zu realisieren.
Der gedankliche Beginn dieses Aktionstages liegt im Jahr 2009 auf der Suche nach einer Möglichkeit begründet, Menschen für diese Thematik so gut es geht und nachhaltig zu sensibilisieren. Aus einer Ansammlung von ehrenamtlichen und engagierten Mitmenschen reifte nach mehrmaligem Brainstorming dieses Spiel heran, welches auch 2012 so wieder erlebt werden kann. Und welcher Ort eignet sich besser dazu, ein Freiluft-Planspiel unter möglichst realistischen Bedingungen zu inszenieren, als eine Insel – in unserem Fall die Insel Kaninchenwerder mitten im Schweriner See. Sie ist der aktive Ausgangspunkt des Rollenspiels, nachdem die Mitmachenden durch die Weiße Flotte mit einem Boot auf die Insel übersetzen und dort von den Akteuren und zuerst von der fiktiven Grenzpolizei in einer unverständlichen Sprache in Empfang genommen werden.
Was danach passiert, liegt am Engagement jedes einzelnen Mitmachenden und an der jeweiligen fiktiven Rolle, die jeder Mitspieler vorher so gut es geht einstudieren musste. Denn sie ist entscheidend für einen schwierigen oder weniger schwierigen Spielverlauf bei dem Versuch, anerkannter Flüchtling zu werden.
Während des Spieles koordiniere ich zusammen mit einem Kollegen den gesamten Ablauf und versuche, alles im Überblick zu behalten. Das ist bei 12 Spielstationen, ca. 50 Akteuren und max. 200 Mitspielern jedes Mal eine ordentliche Herausforderung. Denn die Leute wandern über einen Großteil der Insel, da die Stationen großflächig verteilt sind, um die auch in der Realität zwingend erforderlichen und zahlreichen Behördenwege realitätsnah zu simulieren.
So sind die Mitspieler die überwiegende Zeit damit beschäftigt, von der Ausländerbehörde zum Arbeitsamt oder von der Gemeinschaftsunterkunft zum Sprach- und Integrationskurs zu gehen – wenn sie nicht gerade Pech haben und in Abschiebehaft sitzen. Bei der einen Stelle benötigen sie noch Beratung, bei der anderen einen Stempel und bei der nächsten noch eine Genehmigung. Falls der Einbürgerungs- oder Sprachtest nicht bestanden wurde, muss dieser noch mal wiederholt werden.
Am Ende dieses Spieltages, der in einer offenen Unterhaltung immer einen gemeinsamen Ausklang finden soll, kann der eine oder andere eine Aufenthaltsgenehmigung vorweisen, die meisten aber nicht – so wie im wahren Leben. Denn es ist eben nicht so einfach, anerkannter Flüchtling zu werden und einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu bekommen.
Und zum Schluss fasst das Zitat einer jungen Teilnehmerin den Erfahrungswert des Planspiels für alle Beteiligten zusammen: „Reiche Erfahrung – weiß jetzt, wie Flüchtlinge sich fühlen und behandelt werden, was man tun muss, um hier in Deutschland zu bleiben.“
In diesem Jahr findet der Aktionstag erstmals Ende August statt, wenige Wochen nach Ende der mecklenburgischen Sommerferien.
