17.04.2012

„Gewalt schreckt alles ab, was Hirn hat“

Eine Podiumsdiskussion über den polnischen Fußball-Alltag

Foto: Teilnehmende der Veranstaltungsreihe (Daniel Gregor)
Foto: Podiumsdiskussion mit Dr. Rosenthal (Daniel Gregor)Foto: Podiumsdiskussion mit Dr. Rosenthal (Daniel Gregor)
Foto: Stadion An der Försterei (Daniel Gregor)
Auch wenn der 1. FC Union am Montagabend nicht ganz so glänzen konnte, wie in den drei Spielen zuvor, überzeugte die an Union angeschlossene Initiative „Schöner Eisern ohne Nazis“ - kurz s.e.o.n. - mit gesellschaftspolitischem Engagement.

Im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus organisierte die überparteiliche und sich klar gegen Rechtsextremismus positionierende Fan-Initiative eine 3-teilige Veranstaltungsreihe. Begann diese mit einem Blick auf die Situation von „Lesben und Schwulen auf dem Platz und den Rängen“, wurde sie am 25. März mit einem Blick auf den Polnischen Fußballalltag fortgeführt. Unter dem Titel „Pyro, Provo, Policja“ kamen Darius Lapinski, Fanbeauftragter der polnischen Regierung für die EM 2012 in Polen, Dr. Gregor Rosenthal, Leiter des BfDT und Sicherheitsbeauftragter der WM 2006 in Deutschland, Jan Krapf, Union-Fan und mit über 400 besuchten Spielen in ganz Polen Kenner der Szene sowie Thomas Dudek, Journalist u.a. für „11 Freunde“, zur Historie der Danziger Fußball-Szene, zusammen.

Insbesondere mit Blick auf die nahende Europameisterschaft im Fußball in Polen und der Ukraine interessierte es nicht nur die Engagierten s.e.o.n.isten, sondern auch zahlreiche Union-Fans und Fußball-Begeisterte wie Fußball und die Fan-Szene in Polen organisiert sind. Nach einem interessanten Einblick in die historischen Entwicklungen der Fan- bzw. Ultra-Kultur in Polen durch Thomas Dudek, waren insbesondere die Berichte Lapinskis über den Aufbau von bisher vier Fan-Projekten in Polen interessant. Sowohl Dudek, Krapf und Lapinski zeichneten ein sehr vielfältiges Bild der polnischen Fan-Szene. Dieses ist weit davon entfernt, sich nur auf die – durch die Medien auch in Deutschland bekannt gewordenen – gewaltsamen Auseinandersetzungen verfeindeter Hooligan-Szenen zu begrenzen. Fans in Polen sind so unterschiedlich wie in anderen europäischen Ländern auch. Sie alle eint am Ende der starke Zusammenhalt innerhalb der Gruppierungen und die zum Teil extreme Identifikation mit dem Fußballverein. Dass diese nicht nur zu Zeiten der Solidarnosc-Bewegung auch politisch motiviert war, sondern auch heute noch Fans durchaus politisch Stellung beziehen, legte Thomas Dudek da. Darius Lapinski beschrieb den aus seiner Sicht typischen polnischen Fan wie folgt: „Er ist um die 50, hat einen dicken Bauch, einen Schnauzer und ungefähr zwei Promille Alkohol im Blut“. Insbesondere letzteres, so ergänzte Krapf, ist dem Alkoholverbot in polnischen Stadien geschuldet.

Der Moderator der Podiumsdiskussion, Jonas Gabler, Journalist aus Berlin, brachte einen Konflikt auf die Agenda, der auch in Deutschland anhaltend kontrovers diskutiert wird: die Beziehung zwischen Fans/Ultras und den staatlichen Ordnungskräften. Dr. Gregor Rosenthal ging hier auf die stattgefundenen Veränderungen in der Beziehung Fans-Polizei seit den Vorbereitungen für die WM 2006 ein. Erstmals wurden die Vereinsanhänger viel stärker in das Sicherheitskonzept der Weltmeisterschaft eingebunden. Bei einem internationalen Kongress im Vorfeld der Spiele erhielt die Koordinierungsstelle Fanprojekte, die auch heute noch die Arbeit der einzelnen Fan-Projekte begleitet, die Gelegenheit über die eigene Arbeit, aber auch auf Wünsche und Positionen der Vereins einzugehen. „Die Einbeziehung der Fans“, so Rosenthal, „machte eine wesentliche Erweiterung der ursprünglichen Herangehensweise aus, nahm die Fan-Gruppierungen in die Verantwortung und verdeutlichte zugleich, welche positive und weitreichende Wirkung Fan-Arbeit nicht nur auf den Ablauf einer WM, sondern auch im regulären Spielbetrieb hat.“

Darius Lapinski, der bereits beim Fan-Fest in Klagenfurt mit über 5000 Teilnehmern anlässlich der EM 2008 mit dem Bündnis zusammen arbeitete, berichtete am Ende der über zweistündigen intensiven Diskussion von den ersten Aktivitäten der polnischen Fan-Projekte. So arbeiten die Danziger Ultras derzeit mit der Kunstakademie Danzig an einem gemeinsamen Projekt und ein anderes Fan-Projekt veranstaltete eine landesweit viel beachtete Konferenz zum Einsatz von Pyro-Technik. Fan-Projekte, so fassten es sowohl Lapinski als auch Rosenthal in ihren Abschlussstatements zusammen, sind wichtige zivilgesellschaftliche Akteure im Sport. Sie greifen Konflikte, Probleme und drängende Themen innerhalb und zum Teil auch außerhalb der Fan-Szene auf und können diese durch Gespräche, Veranstaltungen und nicht zuletzt kreative Aktionen wie Choreographien angehen und gewaltsame Auseinandersetzung vermeiden. „Dieses Modell der Gewalt einiger rivalisierender Fan-Szenen schreckt alles ab was Hirn hat“, so Lapinski. Die Fan-Projekte sollen hier auch jenen eine Heimat geben, die lieber den Dialog statt die Konfliktaustragung mit Fäusten suchen.

Die dreiteilige Veranstaltungsreihe der Initiative „Schöner Eisern ohne Nazis“ wird am 03. April wiederum mit Unterstützung des BfDT in der Eisern Lounge im Stadion An der Alten Försterei fortgeführt und beendet. Das Thema lautet dann „Rechtsextremismus und Fußball. Ein Aussteiger berichtet.“ Anmeldungen sind vorab zwingend notwendig. Alle weiteren Details zu dieser und den bereits stattgefundenen Veranstaltungen erhalten Sie Interner Linkhier.

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