17.11.2011

„Wir müssen die Kinder stark machen!“ - Ein Nachmittag für das Ehrenamt

"Vereine stark machen für Vielfalt im Fußball" am 21. Oktober 2011 in Berlin

Foto: LSVD
Foto: LSVD
Foto: LSVD
Foto: LSVD
Am 21. Oktober 2011 kamen Vereinsmitglieder aus Berliner und Brandenburger Vereinen, Verbandsvertreter und Projektkoordinatoren im Alten Stadthaus von Berlin zusammen, um gemeinsam zu Themen wie Diskriminierung, Gewalt auf und am Rande des Fußballplatzes sowie Chancen der interkulturellen Öffnung zu diskutieren. Gemeinsam mit dem Berliner Fußball-Verband (BFV) und dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) organisierte das Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt (BfDT) diesen Nachmittag für das Ehrenamt im Sport.

Nach und nach füllte sich am Freitagnachmittag der ehrwürdige Bärensaal in Berlins Mitte. Vor dem imposanten Stadtwappen wartete das Podium auf seine Redner am Abend. Zunächst jedoch nahmen die rund 80 sportpolitisch engagierten Gäste Platz, um den prägnanten wie anschaulichen Begrüßungsworten Gerd Liesegangs, Vizepräsident des Berliner Fußball-Verbands und Botschafter für Demokratie und Toleranz des BfDT, zu zuhören. Liesegang, der hauptberuflich bei den Berliner Verkehrsbetrieben tätig ist und sein Amt als Vizepräsident rein ehrenamtlich ausübt, machte schnell deutlich, was dieser Nachmittag für den Fußball nicht sein sollte und zwar keine „Show-Veranstaltung“. Die Mehrheit der Anwesenden arbeitet selbst ehrenamtlich als Spielleiter, Trainer, Spielbeobachter oder ist ein engagiertes Elternteil. Auf Diskriminierung und Gewalt stoßen viele von ihnen bei Spielen der eigenen oder fremden Vereine. Sport ist auch ein Abbild gesamtgesellschaftlicher Prozesse. Gemeinsam mit qualifizierten Referenten aktuelle Probleme zu diskutieren und zu erfahren, an wen man sich wenden kann, wenn Hilfe benötigt wird, war das Ziel der fünf Workshops.

Gleich in den ersten beiden Workshops griffen die Veranstalter Reaktionen auf, die gar nicht selten so im Wortlaut auch zu vernehmen sind: „Was sollen wir denn noch alles machen?“ bzw. „Bei uns gibt es das nicht!“ Zunächst, und da waren sich alle Workshopteilnehmer wie Referenten einig, steht der Sport im Vordergrund. Er schafft es Kinder und Jugendliche zu begeistern, ihnen Ziele, aber auch Regeln im positiven Sinne vorzugeben. Doch hier können Probleme auftreten, die am Ende jeden betreffen: das Kind, das Elternteil, den Trainer, den Schiedsrichter und auch den Fan. Viele der Workshopteilnehmer berichteten immer wieder vom mangelnden Respekt und physischer wie psychischer Gewalt auf dem Spielfeld und am Spielfeldrand. Den Ehrenamtlichen der Vereine kommt hier eine enorme Verantwortung zu. Sie dürfen Beschimpfungen oder Tritte nicht ignorieren, sondern müssen sich mit den Vorkommnissen auseinandersetzen. Doch wie reagieren, wenn sich die Angesprochenen selbst in der Klärungssituation gewalttätig verhalten? Wie mobilisiere ich alle, d.h. auch die Eltern, die selten zu Vereinsspielen kommen, um gemeinsam über notwendige Regeln im Umgang miteinander zu diskutieren? Hier gibt es in und um Berlin zahlreiche Ansprechpartner und Modellprojekte, die Gerd Liesegang und sein Co-Referent Roland Keiner, der für die Kreuzberger Vereine zuständig ist, den Anwesenden vorstellten. Eine Teilnehmerin, die sich wissenschaftlich mit dem Thema Homophobie im Sport auseinandersetzt, brachte es schließlich auf den Punkt: „Es geht um diesen Dreiklang: Sehen – Zuhören – Reden.“ Damit unterstrich sie auch Gerd Liesegangs Fazit zum Schluss: „Bei uns gibt es das nicht, gibt es nicht! Vielleicht kennt nicht jeder Verein jedes Problem. Jeder Verein ist anders. Aber mindestens eines der hier genannten, ist jedem schon untergekommen. Jetzt kommt es darauf an zu handeln und nicht wegzusehen!“

Ein ebenfalls aktuelles Thema wurde im Workshop 5 aufgegriffen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft stellten sich die Frage: „Wie kann es gelingen, Mädchen- und Frauenfußball im Amateurbereich nachhaltig aufzubauen?“ Alle waren sich einig, dass ausreichend Bedarf vorhanden ist und gerade junge Mädchen großes Interesse am Fußball haben. „Zu uns kommen immer wieder Mädchen aus dem Kiez und fragen, ob sie bei uns mitmachen können. Wir müssen sie dann immer zu Türkiyemspor schicken, weil wir selbst noch keine Mädchenmannschaften gegründet haben. Das wollen wir jetzt ändern!", erklärte ein Vereinsmitglied des KSF Anadolu-Umutspor aus Berlin-Kreuzberg. Andere waren bereits weiter, stießen bei ihrer Arbeit jedoch immer wieder auf Hindernisse. Schwierigkeiten auf dem Weg zu einem gelungenen Frauenfußball im Verein sind u.a. zu wenige ausgebildete Trainer und Übungsleiter, Platzmangel, Vorbehalte der Eltern, die sich einen anderen Sport für ihre Töchter wünschen, und kulturelle Besonderheiten bei Mädchen mit Migrationshintergrund. Um diese Hindernisse zu bewältigen erarbeiteten die Workshopteilnehmer drei Hauptlösungsansätze: Mehr Schulungen und Fortbildungen für Trainerinnen und Trainer im Bereich Mädchenfußball, mehr Frauen in die Ehrenämter des Vereins, um die Lobby des Frauenfußballs zu stärken und mehr interkulturelle Kompetenz und Aufklärung im Verein durch geschulte Fachkräfte. Bei einem waren sich am Ende alle einig: Die Zukunft des Frauenfußballs ist weiblich. „Denn statistisch gesehen“, so Marion Hornung, Vizepräsidentin des Landessportbunds Berlin, „ist das Entwicklungspotential im Männerfußball bereits ausgeschöpft. Wer also als Verein wachsen will, muss in den Frauenfußball investieren.“

Marion Hornung war es dann auch, die gemeinsam mit dem Präsidenten des Berliner Fußball-Verbandes, Bernd Schultz, dem Staatssekretär für Sport, Thomas Härtel, sowie Silvio Peritore vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma auf die einzelnen Workshopergebnisse und Empfehlungen einging. Deutlich wurde dabei abschließend, dass Jung wie Alt Anreize benötigen, um ein zeitintensives Ehrenamt auszufüllen. Hier wurden vom Berliner Senat bereits Schritte getan. So gibt es eine Ehrenamtskarte, die Vergünstigungen anbietet, aber auch auf anderen Ebenen erkennt der Senat Ehrenamt an. So berichtete Staatssekretär Härtel von seinem eigenen Blick auf Bewerbungen und Biographien. Stehe dort ein Ehrenamt, sei dies ein Pluspunkt. Und auch wenn der BFV-Präsident Bernd Schultz kritisch anmerkte, dass die Bürokratie es den Ehrenamtlichen nicht immer unbedingt einfacher macht, konstatierten alle Beteiligten auf dem Podium, dass es sicherlich noch ein weiter Weg vom Wunsch zur Wirklichkeit sei, aber dass erste Meilensteine bereits gemeinsam gegangen worden sind. Schließlich einigt Sport und Politik das gemeinsame Ziel: Kinder für das Leben stark zu machen.

Interner LinkFilmbeitrag über "Vereine stark machen" am 21.10.2011 auf Youtube
Download-IconProgrammflyer zur Veranstaltung