24.09.2009
„Projekt:Perspektivwechsel“ – Einen Tag lang die Welt mit anderen Augen sehen
Die Schüler der vierten Klasse der Grundschule Mühldorf-Mößling sind aufgeregt und fröhlich, denn heute ist Basketball angesagt. Sie rennen durch die Turnhalle und versuchen, möglichst viele Bälle in den Korb der gegnerischen Mannschaft zu werfen. Das besondere dabei: Sie spielen heute nicht nur miteinander, sondern es sind auch einige Rollstuhlfahrer in ihren Mannschaften. Das „Projekt:Perspektivwechsel" ist zum Projekttag an ihre Schule gekommen, um mit ihrem Programm Berührungsängste und Vorurteile abzubauen.Das „Projekt:Perspektivwechsel" des Fördervereins Gemeinsam Mensch e.V. gibt es schon seit 2002. Gegründet wurde es von Anita Donaubauer und Andy Horbas und gemeinsam mit dem Münchner Förderzentrum, der Volkshochschule München und der Stadtsparkasse München entwickelt. Anita Donaubauer und Andy Horbas sind behindert und bis heute die Vorsitzenden des Projektes.
Im Rahmen des Projektes besuchen sie Kindergärten und Schulen, um einen ganz besonderen Projekttag durchzuführen. Über 5000 Kinder und Jugendliche haben sie so schon erreicht.
Zur Einleitung wird das Gespräch mit den Kindern und Jugendlichen gesucht. Es wird ihnen erklärt, was Behinderungen sind und wie sie entstehen. Wichtig ist es vor allem, den Kindern die erste Scheu zu nehmen. Die Leiter des Projekts sind selbst behindert, sie fordern die Kinder auf, Fragen zu stellen und reden offen mit ihnen über das Thema.
Im Anschluss geht es dann in einen Parcour. Hier werden Behinderungen simuliert, so dass die Schüler hautnah erleben können, wie es sich anfühlt, behindert zu sein. Die verschiedenen Stationen beinhalten „Riechen, Fühlen, Hören", einen Blinden- und einen Rollstuhlparcour. Das „Projekt:Perspektivwechsel" hat eigens auch weitere Hilfsmittel entwickelt, wie zum Beispiel spezielle Handschuhe, mit denen sich eine Greifbehinderung simulieren lässt. Die Kinder und Jugendlichen können so lernen, wie Menschen mit Behinderung die Aufgaben des Alltags bewältigen, wie zum Beispiel Schuhebinden oder Äpfelschälen.
An das spielerische Kennenlernen schließt sich ein gemeinsames Basketball- oder Kickerspiel an. Am Ende der Veranstaltung treffen sich noch einmal alle Teilnehmer zum Gespräch und der Reflexion der vielen neuen Erfahrungen des Tages.
Zu einem Projekttag am 11.12.2008 an der Grundschule in Mühldorf-Mößling am Inn waren nicht nur die Kinder eingeladen, sich zu beteiligen. Auch das Mitglied des Deutschen Bundestags, Herr Stefan Maier, und Breschkai Ferhad vom Bündnis für Demokratie und Toleranz waren anwesend, um vor Ort die großartigen Leistungen des Preisträgers des Wettbewerbs „Aktiv für Demokratie und Toleranz 2007" mitzuerleben.
Dies bot die Gelegenheit Anita Donaubauer, die 1. Vorsitzende des Projekts, zu ihren Erfahrungen zu befragen.
Liebe Frau Donaubauer, wie ist die Idee zu dem Projekt entstanden?
Mit dem Herrn Horbas zusammen, das war 1997. Wir haben uns dafür interessiert, was passiert überhaupt in Schulen zu dem Thema. Dann haben wir gemerkt, dass das relativ wenig ist. Wir haben dann einfach mal einen Parcour aufgebaut, das erste Mal am Marienplatz in München, und das Rollstuhlführerprogramm für Kinder durchgeführt. Dabei haben wir festgestellt: „Aha, das interessiert die Kinder doch!" Wir wollten erreichen, dass die sogenannten „normalen" Leute ihre Berührungsängste verlieren, und das auf positive, spielerische Weise. Und natürlich mehr Verständnis für Menschen mit Behinderung schaffen. Das kann man nur erreichen, wenn die Leute das selber ausprobieren können.
So haben wir das „Projekt:Perspektivwechsel" Stückchen für Stückchen entwickelt.
Am Anfang waren die Schwierigkeiten sehr, sehr groß. Wir wurden nur wenig ernst genommen, als wir Träger und Unterstützer für das Projekt suchten. Niemand hat die Notwendigkeit so eines Projekts gesehen!
Mittlerweile arbeiten 40 Menschen mit und ohne Behinderung bei uns, 10 davon Sonder- und Sozialpädagogen. Es wurden sogar schon drei Diplomarbeiten über das Projekt:Perspektivwechsel geschrieben, drei weitere stehen gerade an. Das ist sehr schön und wichtig für uns. Die Diplomarbeiten analysieren unsere Arbeit. Sie haben zum Beispiel festgestellt, dass vor allem Kinder mit Migrationshintergrund von unserer Arbeit profitieren. Sie haben auch oft in der Gesellschaft Probleme anerkannt zu werden. Für sie ist es schön zu sehen: „Du kannst was schaffen!"
Wie sind Ihre Erfahrungen heute? Stehen Schulen und Schüler Ihrer Arbeit offen gegenüber?
Wir besuchen ja ganz viele verschiedene Schulen, vom Kindergarten bis zur Berufsschule. Die meisten Anfragen für Projekttage kommen aber von den Jahrgangsstufen 6 bis 8.
Die Arbeit mit den Jugendlichen ist ein Erlebnis, das ich nicht missen will. Wenn wir am Vormittag ins Klassenzimmer kommen, dann sind die Kinder meistens sehr still und zurückhaltend. Am Schluss aber spielen wir Basketball oder Kicker zusammen und haben Spaß. Es entstehen richtige Freundschaften zwischen den Teilnehmern und Betreuern! Oft sind schon Schüler nachher als Praktikanten zu unserem Projekt gekommen. Projekt:Perspektivwechsel ist eine ganz wichtige Erfahrung, für beide Seiten!
Die Lehrer reagieren durchweg positiv. Sie sagen immer, sie erkennen ihre Schüler nicht wieder, sie sind an dem Tag wie ausgewechselt. Die Kinder konzentrieren sich, weil sie sich ja auch anstrengend müssen und aufpassen. Wir fordern ihnen schon was ab und sie bekommen über den Tag viele unterschiedliche, neue Eindrücke. Wir versuchen, wirklich alles zu beantworten und keine Frage auszulassen.
Was war eines der schönsten Erlebnisse bei Ihrer Arbeit für Sie?
Da hatte ich zum Beispiel ein Erlebnis in Dachau. Und zwar waren wir da in einer Hauptschule, wo auch ein Schüler mit einer Behinderung war. Bis zu diesem Projekttag haben sich seine Mitschüler noch nie mit ihm beschäftigt. An dem Tag haben sie ihn gefragt: „Was hast du eigentlich genau? Oder wie ist das passiert?" und sind richtig offen mit ihm umgegangen. Ich denke, da wurde das Leben der ganzen Klasse verändert. Sie nehmen aufeinander Rücksicht. Wir versuchen Ihnen aber auch zu vermitteln, dass man nicht alles aus Rücksicht machen soll. Wir sagen Ihnen: „Jeder kann auch mal nein zur Hilfe sagen. Du musst nicht, aber Du kannst!"
Liebe Frau Donaubauer, was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Für das Projekt:Perspektivwechsel wünsche ich mir, dass es nicht mehr so abhängig von Spenden ist und das in den Lehrplan kommt, wenigstens einmal während Schulzeit einen Projekttag zum Thema Behinderung zu machen und jedes Kind so einen Projekttag erlebt.
Ich selbst würde mir wünschen, dass Menschen mit Behinderung bewusster in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Weil so wie es jetzt ist, leben alle einfach nur nebenher und nicht miteinander. Keiner weiß eigentlich richtig, was der andere macht oder wie es ihm geht. Und das betrifft doch auch alle.
Mehr Informationen finden Sie unter www.projekt-perspektivwechsel.de Für finanzielle Unterstützung sind Anita Donaubauer und ihr Team jederzeit dankbar.
Stadtsparkasse München
BLZ 701 500 00
KontoNr 290 130
Verwendungszweck: "Förderverein"
Kreissparkasse Mühldorf
BLZ 711 510 20
KontoNr 109

