19.04.2018
Interview mit Gudrun Tack von „Flüchtlingen ein Gesicht geben“
Gudrun Tack im Gespräch
Was haben junge geflüchtete Menschen in ihrem Heimatland aufgegeben? Wie lebten sie? Was haben sie während ihrer Flucht erlebt? Was hat sich in Deutschland für sie verändert? Die Gruppe „Migranten mischen mit“ haben junge Menschen dazu interviewt und präsentieren die Ergebnisse in einem Bühnenprogramm und einer Ausstellung. Im Gespräch erzählt Gudrun Tack von den Zielen und Erfolgen des Projekts „Flüchtlingen ein Gesicht geben“.
Zur Gruppe "Migranten mischen mit (MMM)" gehören insgesamt 20 motivierte Personen, die geflüchteten Menschen ein Gesicht geben und deren individuelle Geschichten erzählen möchten. Wer sind diese Personen und wie kam es zur Idee für das Projekt?
Die meisten Gruppenmitglieder haben selbst Fluchterfahrung und sie wissen, wie Geflüchtete sich fühlen, die ihre Heimat verlassen müssen, neu nach Deutschland kommen und wie schwer es ist, sich hier einzuleben. Daher war es ihnen wichtig, ein Projekt durchzuführen, in dem junge Geflüchtete selbst zu Wort kommen, sich mitteilen können und durch welches die Bevölkerung von ihnen erfährt.
Im Jahr 2016 wurde die Gruppe "Migranten mischen mit (MMM)" für ihr Projekt „Flüchtlingen ein Gesicht geben“ im Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ des BfDT ausgezeichnet. Seitdem besteht das Projekt fort und erhält stets positive Rückmeldungen. Worin, denken Sie, besteht das Erfolgsrezept des Projekts?
In unserem Projekt kommen junge Menschen zu Wort, die über ihr Leben in ihren Heimatländern, die Gründe für ihre Flucht, die traumatischen Fluchterlebnisse und ihr neues Leben in Deutschland berichten. Das Ganze wird mit musikalischen Einlagen verknüpft und erzeugt eine besondere Atmosphäre. Die Zuschauer erhalten Einblicke in das Leben der Jugendlichen vor den Krisen in ihren Herkunftsländern, werden aber auch mit der brutalen Realität im Zusammenhang mit Verfolgung und Krieg konfrontiert. Die Mischung aus Informationen, Musik aus ihren Herkunftsländern, Street Dance, Poetry Slam und Rap¬ - alles wird auf hohem künstlerischem Niveau vorgetragen und weist auf die Stärken und Ressourcen junger Geflüchteter hin. Die Zuschauer verlassen die Veranstaltung mit einer Mischung aus Betroffenheit, Befreiung und Verbundenheit. Dies alles trägt sicherlich zum Erfolg des Projektes bei.
Sie haben bereits in verschiedenen Städten das Bühnenprogramm aufgeführt und konnten so zahlreiche Menschen für die Thematik des Projektes sensibilisieren. Erzählen Sie von Ihren Erfahrungen und Erfolgen!
Geplant war zunächst nur eine einmalige Aufführung des Theaterstücks, die mit einer zweiwöchigen Fotoausstellung von geflüchteten Menschen im Stadtmuseum Lippstadt verbunden war. Die erste Aufführung war sehr emotional, weil die Familien unserer Akteure anwesend waren und sie schon nach wenigen Minuten in Tränen ausbrachen, als sie zunächst die schönen Bilder aus Syrien auf der Leinwand sahen, untermalt mit einem populären, melancholischen Lied, und dann kam der abrupte Wechsel zu den Kriegsbildern. Nach der Aufführung kamen viele Zuschauer zu uns, unter ihnen viele Lehrer, und äußerten den Wunsch, dass wir die Aufführung für die Schulklassen weiter fortsetzen sollten. Wir haben das Theaterstück anschließend aufgrund der hohen Nachfrage noch dreimal in Lippstadt aufgeführt, und es kam wie ein Schneeballeffekt zu weiteren Aufführungen in Gevelsberg, mehrmals in Berlin (Friedrich-Ebert-Stiftung, Neujahrsempfang der AWO, Interkulturanstalt Westend) und zweimal in Sárospatak in Ungarn.
Die Fahrt nach Ungarn haben wir von den Preisgeldern finanziert, die wir vom BfDT im Jahr 2016 für unser Projekt erhalten haben. Eingeladen wurden wir von S. Enghy, der als Professor an der Theologischen Hochschule in Sárospatak tätig ist. Er hatte das Ziel, das angespannte Klima in seinem Ort, das sich gegen Geflüchtete richtet, zu verbessern und erhoffte sich, dass wir mit unserem Bühnenstück die Zuschauer erreichen und zum Nachdenken bringen.
Die Zeit in Ungarn war ein besonderes und unvergessliches Erlebnis für uns. Während unserer Auftritte spürten wir zunächst eine kritische Haltung vieler Zuschauer. Je länger wir auf der Bühne standen, desto stärker nahm ihre Anteilnahme und Empathie zu. Die meisten Besucher hatten zuvor keinen Kontakt zu geflüchteten Menschen gehabt, nach der Aufführung suchten viele von ihnen das Gespräch zu uns und wir verbrachten einen schönen Abend mit ihnen.
Regelmäßig erhalten Sie Einladungen von verschiedenen Trägern und Privatpersonen, Ihr Projekt in deren Stadt durchzuführen. Da eine Umsetzung stets mit Kosten verbunden ist, haben Sie einen Aufruf zum Crowdfunding gestartet. An wen richtet sich dieser Aufruf und wie kann das Projekt konkret unterstützt werden?
Ja, es stimmt, wir erhalten viele Anfragen, die wir zurzeit leider noch zurückstellen müssen, weil die Finanzierung noch nicht gewährleistet ist. Crowdfunding ist für uns eine gute Möglichkeit, Auftritte zu finanzieren. Bis zum 29.4.2018 geht es in erster Linie darum, eine große Anzahl an Unterstützern zu bekommen, damit die Hertie Stiftung, die dieses Crowdfunding unterstützt, nochmals eine größere Summe für die vorderen Plätze dazugibt. Unser Aufruf richtet sich an jede einzelne Person, die unser Projekt unterstützen möchte. Die Unterstützung kann ab 5 Euro erfolgen, größere Spenden sind natürlich sehr willkommen. Sehr wichtig ist auch, möglichst viele Unterstützer zu gewinnen! Am 9. Mai 2018 endet unser Crowdfunding, bis dahin müssen wir die Summe von 10.000 € erreicht haben. Am besten schauen Sie einmal unter:

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir unser Projekt lange weiterführen können, weil zum einen die Nachhaltigkeit unserer Aufführung sehr groß ist und es zu einem positiven Klima zwischen geflüchteten Menschen und Einheimischen beiträgt. Das haben die bisherigen Aufführungen deutlich gezeigt. Zum anderen habe ich erlebt, wie wichtig das Projekt für die Gruppenmitglieder ist und wie stolz sie auf das Erreichte sind. Das Projekt hat bei allen zu einer Stärkung ihrer Persönlichkeit geführt und sie setzen sich weiterhin aktiv für unsere Ziele ein, nämlich für ein Leben in einer weltoffenen, toleranten Gesellschaft. Das ist allen Gruppenmitgliedern wichtig und dies wollen sie auch gerne an andere Jugendgruppen in anderen Städten nicht nur weitervermitteln, sondern diese auch aktiv mit einbeziehen.