23.06.2016

"Die Vormundschaft für minderjährige Flüchtlinge bringt viele Herausforderungen mit sich."

Interview mit "Do it!"

Do it! engagiert sich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (Foto: Do it!)Do it! engagiert sich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (Foto: Do it!)
Die Anzahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die in Jugendhilfeeinrichtungen in Wuppertal leben, steigt stetig. Sie kommen ohne Eltern oder Verwandte nach Deutschland in der Hoffnung, Sicherheit, Geborgenheit und eine neue Lebensperspektive zu finden. Das Projekt "Do it!" begleitet ehrenamtliche Vormünder für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Wuppertal. Die Vormünder kümmern sich um die Klärung der aufenthaltsrechtlichen Fragen, um Schulbesuch und Ausbildungsmöglichkeiten, altersgerechte Unterbringung und medizinische Versorgung. Achim Pohlmann ist Projektleiter und berichtet von „Do it!“.

Interview mit Achim Pohlmann



Welche Ziele verfolgt das Projekt „Do it!“?
Die unbegleitete Einreise minderjähriger Flüchtlinge (UMF) gilt laut Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz als eigenständiges Kriterium für Inobhutnahme und verlangt die unverzügliche Bestellung eines Vormundes bis zum 18. Lebensjahr. Die problematischen Lebensgeschichten der Jugendlichen und komplexe aufenthaltsrechtliche Gegebenheiten erfordern dabei eine intensive Begleitung und Unterstützung der Flüchtlingskinder. Vor diesem Hintergrund wurde 2007 das Projekt „Do it!“ ins Leben gerufen. Es gewinnt, qualifiziert und begleitet ehrenamtliche Vormünder für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Während bislang Amts- und Vereinsvormundschaften die Regel waren, meistens im Verhältnis von einem Vormund zu 50 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, erweitert „Do it!“ somit die bestehende Angebotsstruktur von Vormundschaften und schafft ein 1:1 Betreuungsverhältnis, was der oft sehr komplexen Situation der UMF am ehesten gerecht wird. Ein weiteres Ziel ist es, die Zivilgesellschaft mit ins „Boot“ zu nehmen, um durch aktive Mitgestaltung die Aufnahmebereitschaft in Deutschland zu erhöhen.

Wie wird den unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten geholfen? Wie wird diese Hilfe angenommen? Ein Aufgabenschwerpunkt der Vormünder liegt in der Hilfe bei der Aufenthaltsverfestigung ihres Mündels. Unsere Erfahrung zeigt aber auch, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unter der Obhut eines ehrenamtlichen Vormunds deutliche Integrationsleistungen aufweisen. Durch den Einsatz der Ehrenamtlichen wird die Teilhabe an schulischer und beruflicher Bildung gefördert. Die Jugendlichen erleben ihre Vormünder als erreichbare Ansprechpartner und profitieren von deren vielfältigen Erfahrungen und beruflichen Qualifikationen. Umgekehrt erleben die Ehrenamtlichen ihre nützliche Aufgabe und die wachsende Beziehung zu einem jungen Menschen aus einem anderen Kulturkreis als bereichernd. Die Jugendhilfeeinrichtungen empfinden die Tätigkeit der Ehrenamtlichen wiederum als wertvolle Ergänzung zu ihrer pädagogischen Arbeit. Durch diese Verbindungen entsteht gelebte Integration vor Ort.

Mündel zu Besuch bei seinem Vormund (Foto: Do it!)Mündel zu Besuch bei seinem Vormund (Foto: Do it!)
Wie bereiten Sie die Helfer/-innen auf ihre Arbeit vor?
Die Vormundschaft für minderjährige Flüchtlinge bringt viele Herausforderungen mit sich. Vormünder müssen sich zum Beispiel mit Fluchtursachen, Entwurzelung und Traumatisierung befassen. Hinzu kommt das vielschichtige Aufenthalts- und Asylrecht. Um die Ehrenamtlichen optimal auf ihre verantwortliche Aufgabe vorzubereiten, haben wir ein besonderes Qualifizierungs- und Betreuungskonzept entwickelt:
Es erfolgt eine Schulung zu Themen der Jugendhilfe und aufenthaltsrechtlichen Aspekten. Gegenstand der Schulung sind die Aufgaben und Besonderheiten der Vormundschaft, die Stationen eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren, das Berichtswesen für das Familiengericht und den Kooperationspartner des Vormunds, Kinder- und Jugendhilfe sowie psychosoziale Situation und Traumatisierung von Flüchtlingskindern und -jugendlichen und psychologische Aspekte bei der Führung einer Vormundschaft.
Nach Abschluss der Qualifizierung erhält jeder Vormund ein umfangreiches Handbuch, das als Nachschlagewerk mit Informationen und Kontakten auffährt und dadurch eine zusätzliche Sicherheit bei der Beantwortung vieler Fragen bereithält. In regelmäßigen Gruppentreffen haben die Vormünder die Gelegenheit zu erfahren, wie andere mit ähnlichen Problemen umgehen. Sie können sich Anregungen holen und Erfahrungen weitergeben und mit Gleichgesinnten ein Netzwerk aufbauen, das ihre selbstständige Arbeit unterstützt. Zudem bieten wir den Ehrenamtlichen eine kontinuierliche Beratung und unterstützen bei fachspezifischen Fragen, konkreten Entscheidungen oder auch Informationsbeschaffung.

Mit welchen Partnern aus Politik und Zivilgesellschaft kooperieren Sie?
Wir kooperieren vor Ort mit den strukturellen Partnern, also den Jugendämtern und den Jugendhilfeeinrichtungen, in denen die UMF untergebracht sind. Darüber hinaus mit Bürgern, Vereinen und Migrantenselbstorganisationen. Da wir das Konzept von „Do it!“, die ehrenamtliche Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als dritte Säule in der Versorgung etablieren wollen, kooperieren wir mit Kommunen, Verbänden und suchen Gespräche mit politischen Akteuren auf Landes- und Bundeebene und den direkten Kontakt zu den entsprechenden Ministerien.

Was hat sich seit Ihrem Gewinn beim Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ 2014 verändert und was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Seit Sommer 2015 hat sich die Situation dramatisch verändert. Die Nachfrage nach unseren Projektergebnissen ist immens gestiegen. Es sind noch nie so viele Flüchtlinge, insbesondere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, nach Deutschland gekommen. Nicht zuletzt deswegen wurde für diese spezielle Gruppe ein neues Verteilungsverfahren in Deutschland eingeführt, welches eine Landesverteilung der UMF vorsieht. Bislang gab es einige Bundesländer, in denen so gut wie keine UMF lebten. Durch den neuen Verteilungsschlüssel sind nun nahezu alle Jugendämter in Deutschland für die Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zuständig. In vielen Kommunen liegen keine Strukturen und Erfahrungen in diesem Bereich vor. Der Transfer unserer Projekterfahrungen ist daher nicht nur Ziel, sondern eine Notwendigkeit. Es bedarf eines großen Engagements Kommunen und Jugendämter von der neuen Versorgungssäule „Do it!“ zu überzeugen - und diese Herausforderung nehmen wir gerne an.

Weitere Informationen finden Sie auf der Interner LinkWebsite des Projekts und im Download-IconFlyer.