23.04.2015

Preisträger im Wettbewerb "Aktiv für Demokratie und Toleranz" 2014 – Projekt "Ausbildung zum Tischler und zur Tischlerin"

Interview mit Sabine Bollhorst von Berufliches und Soziales Lernen e.V.

Ein Auszubildender kurz vor der Gesellenprüfung bei der Arbeit (Foto: VBS)Ein Auszubildender kurz vor der Gesellenprüfung bei der Arbeit (Foto: VBS)
Der Verein Berufliches und Soziales Lernen im Hunsrück e. V. (VBS) betreibt eine Ausbildungsstätte im Tischlerhandwerk und ein Tagungshaus. Seit Gründung der Werkstatt wurden mehr als 150 Jugendliche zu Tischlern und Tischlerinnen ausgebildet. Die Erfolgsquoten sind überdurchschnittlich hoch. Die Zielgruppe der Ausbildungsmaßnahmen kann i. d. R. keine Ausbildung in einem Wirtschaftsbetrieb absolvieren, weil sie wegen ihrer persönlichen Situation oder wegen lebensgeschichtlich bedingter Schwierigkeiten besondere Unterstützung benötigt. Wegen Kürzungen öffentlicher Mittel gibt es seit 2002 keine kostendeckende Finanzierungsgrundlage mehr für die Ausbildungsmaßnahmen. Seitdem arbeitet der Verein überwiegend auf der Basis von Spenden. Alle Ausbildungsmaßnahmen betreffenden Arbeiten - außer der fachlichen Anleitung der Azubis durch den Tischlermeister – erfolgen unentgeltlich und ehrenamtlich.

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem vorbildlichen Projekt?
Wir bieten Ausbildungsplätze im Tischlerhandwerk für benachteiligte Jugendliche an. Benachteiligte Jugendliche sind wegen ihrer persönlichen oder schulischen Defizite trotz des Fachkräftemangels immer noch chancenlos auf dem Ausbildungsmarkt. Die Ausbildung soll den Jugendlichen einen Berufsabschluss ermöglichen.

Es ist ein niedrigschwelliges Angebot für Jugendliche mit Defiziten, die die Hürden eines Bewerbungsverfahrens auf dem Ausbildungsmarkt nicht hatten überwinden können. Im VBS gilt es nicht, durch Ämter in eine sogenannte „Maßnahme“ geschickt zu werden oder die perfekte Bewerbungsmappe vorzulegen, die ohnehin niemand selbst erstellt hat. Vielmehr zählt die Bewährung in einem längeren Praktikum. Hier zeigt sich, wer ein Händchen fürs Handwerk und die Power zum Aufholen seiner schulischen Lücken hat. Jeden Tag wird auch Theorie gepaukt. Lerneifer und Durchhaltevermögen im Praktikum sind das Ticket in die Tischlerausbildung.
Die Massivholzwerkstatt hat sich im Laufe der Jahre einen ausgezeichneten Ruf erworben. Auch die Handwerksbetriebe der Region haben das erkannt, so gibt es für nahezu jeden Azubi nach der Lehre auch einen Arbeitsplatz.

Auszubildende im zweiten Lehrjahr (Foto: VBS)Auszubildende im zweiten Lehrjahr (Foto: VBS)
Neben der fachlichen Qualifizierung, die sich durch das Bestehen der Gesellenprüfung zeigt, sind dem Verein das soziale und interkulturelle Lernen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Fremden, Menschen mit Behinderung oder Andersdenkenden wichtige pädagogische Anliegen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass ein gemeinsamer Alltag und damit gemeinsame Erfahrungen von Einheimischen und Migranten wesentlich zum Abbau von Intoleranz beitragen können, entschied sich der Verein stets bewusst für eine gemischte Azubi-Gruppe von Einheimischen und "Fremden", um die interkulturelle Verständigung und Toleranz zu fördern. Oft sind es junge Leute, denen der Zugang zur schulischen und beruflichen Bildung erschwert ist, die eine intolerante Haltung gegenüber Fremden oder Schwächeren entwickeln. Denn geringes Selbstwertgefühl und Perspektivlosigkeit führen zu "Sozialneid" auf diejenigen, denen es vermeintlich besser geht oder die als Bedrohung empfunden werden. Der Verein will hier bewusst gegensteuern, in dem er Auszubildende in einer Konstellation einstellt, dass eine mit Einheimischen und Migranten besetzte Gruppe drei Jahre als Auszubildende zusammenarbeitet. Durch das gegenseitige Kennenlernen in der Ausbildung entwickeln sich Toleranz und Offenheit zwischen den Kulturen wie auch zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Übergeordnetes Ziel der Ausbildungsmaßnahmen ist es, den Jugendlichen durch die erfolgreiche Ausbildung Selbstwertgefühl, positive Erfahrungen im Team und eine Zukunftsperspektive zu bieten.

Mit welchen Akteuren und Akteurinnen aus Zivilgesellschaft, Politik und Religion kooperieren Sie dabei?
Die Realschule plus in Sohren-Büchenbeuren führt mit ihren KoA-Klassen ("Keiner ohne Abschluss") regelmäßig in unserer Werkstatt Praktikumsprojekte durch. Aus der Gruppe dieser Praktikanten rekrutieren sich viele der späteren Azubis. Mit dem Evangelischen Jugendhof Martin-Luther-King in Wolf kooperieren wir bei der Betreuung der minderjährigen Flüchtlinge. Wir kooperieren mit dem Jugendamt des Rhein-Hunsrück-Kreises, um besonders benachteiligten Jugendlichen eine gute pädagogische Unterstützung in allen Lebenslagen bieten zu können. Die Auszubildenden besuchen in ihrer Freizeit die ausbildungsbegleitenden Hilfen der Handwerkskammer Koblenz, um ihren Schulstoff nachzubereiten. Ehrenamtliche unternehmen mit den Azubis Museums- und Kinobesuche und kochen mit ihnen gemeinsam zu besonderen Anlässen.

Für die Finanzierung der Ausbildungsmaßnahmen erhalten wir Zuwendungen durch die Stiftung der Kreissparkasse Rhein-Hunsrück, durch die Aktion Arbeit im Bistum Trier, die Evangelische Kirche im Rheinland, einige Gemeinden sowie durch Unternehmen, Stiftungen und viele Privatpersonen. Nur durch eine breite öffentliche Solidarität ist es überhaupt möglich, die Ausbildungsplätze anzubieten, denn der Verein erhält keinerlei öffentliche Förderung. Da die Arbeit mit Benachteiligten nicht nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten möglich ist, werden Spenden benötigt.

Welche Auswirkungen hatte der Gewinn auf Ihre Arbeit?
Der Gewinn erhöhte den Bekanntheitsgrad unseres Vereins. Das ist von besonderer Bedeutung, da wir keinerlei Mittel für Werbung haben. Eine solche Auszeichnung ist auch eine Art "Qualitätsbeweis", die uns bei der Kooperation mit öffentlichen Stellen zu mehr Akzeptanz verhilft.

Was konnten Sie im Jahr 2014 erreichen und welche Aktionen planen Sie für die Zukunft?
Dank des guten Spendenaufkommens, zu dem auch das Preisgeld gerechnet wird, konnten wir zwei zusätzliche Ausbildungsplätze anbieten. Zwei junge Flüchtlinge aus Afghanistan erhielten einen Ausbildungsplatz. Damit können sie nach der Gesellenprüfung ihre Zukunft sichern. Wir möchten auch in Zukunft Ausbildungsplätze für Flüchtlinge anbieten. Dazu ist es notwendig, weitere Spender zur Finanzierung der Ausbildungsplätze zu finden.

Kontakt:
Verein Berufliches und Soziales Lernen im Hunsrück e. V.
Sabine Bollhorst
Zum Kyrbach
55487 Sohrschied
Tel: 06763 534
info[at]vbs-sohrschied.de
Interner Linkwww.vbs-sohrschied.de