08.07.2011
“Zuhause bin ich in Berlin“
Finissage der Ausstellung „Erinnerungen an eine neue Heimat“ am 30. Juni 2011 in der Geschäftsstelle des BfDT
Am 30. Juni 2011 kamen rund 30 Gäste zur Finissage der Ausstellung „Erinnerungen an eine neue Heimat – Aus dem Leben deutscher Istanbulerinnen und türkischer Berlinerinnen“ in der Geschäftsstelle des Bündnisses für Demokratie und Toleranz zusammen. Die Co-Kuratorinnen Sarina Strumpen und Beate Klammt sowie Altun Aktürk, eine der in der Ausstellung porträtierten Frauen, tauschten sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion über Fremdheitserfahrungen und Heimatempfinden aus.Seit dem 4. Mai ist die zweisprachige Ausstellung „Erinnerungen an eine neue Heimat – Aus dem Leben deutscher Istanbulerinnen und türkischer Berlinerinnen“, die vom KulturForum TürkeiDeutschland e.V. durch sechs KuratorInnen konzipiert wurde, in der Geschäftsstelle des Bündnisses für Demokratie und Toleranz (BfDT) zu sehen. Anhand von Bildaufnahmen und Interviews zeichnet sie die Lebensgeschichten von vierzehn deutschen und türkischen Frauen nach, die aus ganz unterschiedlichen Gründen ihr Herkunftsland verlassen haben. Ganz bewusst werden Einzelschicksale porträtiert, die nur allzu oft in den verschiedenen Migrationsdebatten untergehen. Im Rahmen der Finissage wollte das BfDT seinen Gästen die Gelegenheit geben, die Hintergründe der Ausstellung kennenzulernen und aus erster Hand zu erfahren, wie es ist, seine Heimat zu verlassen, um anderswo ein neues Leben zu beginnen.
Sarina Strumpen und Beate Klammt erläuterten zunächst, wie die Idee zur Ausstellung entstand. „Bei einem Auslandsaufenthalt in Istanbul fiel uns auf, dass es dort eine große deutsche Gemeinde gibt, von der die meisten Menschen in Deutschland nichts wissen. Eine Gruppe von deutschstämmigen Frauen traf sich jede Woche in einem Café und tauschte sich auf Deutsch über ihren Alltag aus. So entstand die Idee, diese Frauen näher zu porträtieren und sie türkischen Frauen in Berlin gegenüberzustellen, um aufzuzeigen, dass Migration und Integration auf beiden Seiten geschieht“, erklärte Sarina Strumpen. Tatsächlich wandern Deutsche bereits seit Jahrhunderten in die Türkei aus. Viele Angehörige dieser Bosporusdeutschen, die deutsche Traditionen und die deutsche Sprache in der Türkei intensiv weiter gepflegt haben, gibt es in Istanbul jedoch nicht mehr. Stattdessen kamen viele Deutsche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Türkei. Manche wollten ihrer kriegszerstörten Heimat entfliehen, andere hatten ein gutes Arbeitsangebot, wieder andere verliebten sich bei einem Türkeiaufenthalt und entschlossen sich dort zu bleiben. Die Gründe zur Migration waren ebenso vielfältig und individuell wie die Gründe der türkischen Einwanderer in Deutschland. „Das wollten wir mit der Ausstellung und der Gegenüberstellung beider Perspektiven deutlich machen“, so Beate Klammt.
Die Türkin Altun Aktürk, die 1970 nach Berlin kam, erzählte in der Podiumsdiskussion von ihrer eigenen Entscheidung, ihrem Mann, der ebenfalls nach Deutschland wollte, aufgrund einer günstigen Gelegenheit voraus zu reisen und in Deutschland zu arbeiten. Die Kinder musste sie zunächst in der Türkei zurücklassen. Dass viele türkische Frauen alleine und eigenständig nach Deutschland kamen, um hier zu arbeiten, ist eine weitere Tatsache, die in der deutschen Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt ist. „So ein Unsinn“, kommentierte Altun Aktürk die gängige Meinung, dass größtenteils Hausfrauen ihren Ehemännern folgten, und berichtete, wie sie sich im West-Berlin der Siebziger Jahre zurecht fand. „Die Stadt war noch ganz zerstört, überall klafften Löcher in den Wänden. Es war schwer, eine passende Wohnung zu finden. Aber das hat die Menschen zusammen geschweißt – Türken und Deutsche. Es gab damals eine große Solidarität zwischen den Leuten.“ Man sei ihr fast ausschließlich positiv begegnet, selbst als sie noch kein Wort Deutsch sprechen konnte: „Ich habe keine Ausbildung. Lesen und Schreiben habe ich mir selbst beigebracht. Anfangs bin ich in einen Sprachkurs gegangen. Aber es war unmöglich, das durchzuziehen: Morgens stehst du um halb fünf auf, arbeitest bis drei oder vier, kommst nach Hause, gehst zum Sprachkurs, und wenn du dann heimkommst, ist es 11 Uhr. Vier Monate habe ich das durchgehalten, dann ging es nicht mehr. Ich habe von meinen Freunden Deutsch gelernt.“ Ihr Mann kam einige Zeit später nach Berlin, wollte jedoch nach kurzer Zeit wieder zurückkehren. Doch Altun Aktürk entschloss sich trotzdem zu bleiben: „Ich hatte mich entschieden, nach Berlin zu gehen, und wenn ich mich einmal entscheide, dann bleibt es auch dabei.“ Sie würde es jedes Mal wieder so machen, erklärte sie. Zuhause sei sie seitdem in Berlin, doch es ist ihr wichtig, zumindest ein paar Monate im Jahr in der Türkei bei den dort noch ansässigen Verwandten zu sein. „Zumindest so lange ich es noch schaffe“, sagte sie mit einem Augenzwinkern. Seit ihrer Rente engagiert sich Altun Aktürk ehrenamtlich als Seniorenvertreterin in Berlin-Neukölln und setzt sich speziell für die Belange von Senioren mit Zuwanderungsgeschichte ein. Sie lässt sich von niemandem kleinreden oder bevormunden: „Vor einiger Zeit war ich im Krankenhaus und ein deutscher Pfleger sprach absichtlich gebrochenes Deutsch mit mir. Da habe ich zu ihm gesagt: Jetzt reden Sie mal ordentliches Deutsch und dann können wir uns auch unterhalten! Da hat er dann erstmal rumgedruckst.“
Auf die Frage, was sie heutigen jungen Leuten raten würde, die vorhaben ihre Heimat zu verlassen, bemerkte Altun Aktürk, dass man diese Entscheidung gut abwägen und nicht zu schnell treffen solle. Damals sei alles sehr schnell gegangen und für ihr Kinder sei das sicher nicht leicht gewesen. Doch es habe diese große Solidarität zwischen den Menschen gegeben und den gemeinsamen Willen etwas aufzubauen. „Heute geht es vielen jungen Leuten nur um den Konsum, sie wollen nichts als kaufen und fernsehen, und wissen nicht mehr, wie hart wir für diese Gesellschaft gearbeitet haben.“ Es sei wichtig, einen Blick zurückzuwerfen und die Geschichten seiner Eltern und Großeltern zu kennen. Der persönliche und individuelle Blick, den die Ausstellung „Erinnerungen an eine neue Heimat“ auf das Leben von vierzehn deutschen Istanbulerinnen und türkischen Berlinerinnen wirft, leistet dazu einen wichtigen und facettenreichen Beitrag.
Die Ausstellung kann noch bis Ende Juli 2011 in der Geschäftsstelle des BfDT besichtigt werden. Um eine Anmeldung wird gebeten.
Kontakt:
Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT)
Annika Kahrs
Friedrichstraße 50, 10117 Berlin
Tel.: 030-254504-471, Fax: 030-254504-478
E-Mail: annika.kahrs@bpb.bund.de