07.04.2011
Der Leseleo e.V.
Von Annegret Böhm (Leseleo e.V.)Als Klassenlehrerin stellte ich fest, dass fast alle Schüler meiner Grundschulklasse Deutsch nur als Zweitsprache sprechen. Eigentlich hatte ich mir gewünscht und auch eingefordert, dass Primarschüler eine Leseförderung erhalten, wenn sie diese brauchen. Trotz intensiver Bemühungen wurde aber bald klar, dass es im Unterricht der Grundschulklasse an Zeit fehlte, um individuell auf die Sprachschwierigkeiten der Schüler einzugehen. Schließlich fanden sich sechs Studenten der Uni Hamburg, die helfen wollten, den Kindern Chancen auf eine gute Bildung zu ermöglichen. So gründeten wir 2008 gemeinsam einen Verein, den Leseleo e.V. Mit dem Leseleo e.V. (Leselöwen-Verein) haben wir es geschafft, studentische Lesepaten an Primarschüler zu vermitteln.
Bei uns können Klassenlehrer im Einzelfall ganz einfach nachfragen, ob gerade ein Lesepate zur Verfügung steht. Nach intensiver Vorbereitung und Gesprächen treffen sich Eltern, Lehrer und Student, um einen Förderort zu verabreden. Wir arbeiten an siebzehn verschiedenen Hamburger Schulen und fördern immer an sicheren Orten: in der Schule, der Bücherhalle oder zu Hause. Da jedes Kind auf einen unterschiedlichen lebensweltlichen Spracherwerb zurückgreift, orientiert sich unsere Leseförderung an den individuellen Sprachvoraussetzungen. Wir arbeiten in Tandems, damit wir dem Anspruch an Individualisierung gerecht werden können: Gemeinsam bewältigen ein Student und ein Schüler im Lesen die besonderen, individuellen Schwierigkeiten. Die Studenten fördern eine Zeitstunde pro Woche, wir stellen ihnen Fördermaterial bereit und geben Fortbildungen zum Thema „Lesen fördern“.
Bei der Förderung orientieren wir uns an der individuellen Bedürfnislage der Schüler. Diese ermitteln wir, hier knüpfen wir an. Wir möchten, dass Leseleos über Lesefähigkeit und Leseerfahrung verfügen, Kenntnisse über Literatur erwerben, Texte erschließen und auch schon mal präsentieren, zum Beispiel bei den Langner Märchentagen. Vor allem soll Lesen aber Vergnügen bereiten. Wir besorgen Bücher, die die Interessenlage der Schüler treffen. Es kann passieren, dass Schüler so motiviert werden, dass sie immer weiter lesen wollen. Sie übernehmen dann aktiv Verantwortung für ihren eigenen Bildungsprozess, fordern mehr Informationen oder erbitten von sich aus Hilfe. Bereits zwei Schüler haben eine Klasse übersprungen und bekommen Begabtenförderung durch das Landesinstitut.
Viele der Studenten haben heute selbst einen Migrationshintergrund. Daraus ergibt sich ein positives Nebenprodukt. Sie stellen eine Art „Best Practice-Beispiel“ und Vorbild für die Schüler dar, denn sie haben den Weg zur Universität hinter sich. Im Idealfall finden wir einen Studenten, der die gleiche Herkunftssprache hat. Auch ein erfreuliches Nebenprodukt: Durch die enge Kooperation von Eltern, Student und Schüler findet eine Öffnung der Elternhäuser gegenüber Schule statt, die Eltern werden aktiv mit einbezogen.
Wir wollen Neugier und Wissbegierde wecken und erhalten. Da das Lesen eine Auseinandersetzung mit der Welt ermöglicht, gleichzeitig der inneren und der äußeren, schaffen wir auch konkret Anlässe für die Kinder, an ihrer Umwelt teilzunehmen. Uns im Verein ist es wichtig, kulturelles und soziales Leben einzubeziehen und die Kinder aus ihrem Stadtteil herauszubringen. Eine Möglichkeit der kulturellen Teilhabe sind unter anderem unsere Exkursionen (Zoo, Hafen, Bauernhof, Kindervorlesungen, Theaterbesuche, Kunstausstellungen, Musikvorführungen). Wer möchte, kann zum Jahrestreffen der Leseleos eine Präsentation vorbereiten. In diesem Jahr wurde ein selbstinszeniertes Theaterstück (eine Kooperation der Leseleos und Paten) aufgeführt sowie einige kleine Vorleseproben. Auch einzelne Eltern hielten vor zum Teil völlig fremden Eltern von anderen Schulen einen kleinen Vortrag über ihre Erfahrungen mit dem Leseleo und der Kooperation mit ihrem Paten. Lesekompetenz ist zudem eine wichtige Grundlage für Medienkompetenz, die ebenfalls kulturelle Teilhabe ermöglicht.
Beim Lesen entstehen neue Welten im Kopf. Damit diese Welten auch „begreifbar“ werden, erkunden die Tandems über die Leseförderung hinaus auch noch die Stadt. Wir danken den Paten für diesen zusätzlichen Einsatz und den Eltern dafür, dass sie uns ihre Kinder anvertrauen und diese Erfahrungen ermöglichen. Wir danken für die großzügigen Spenden. Das Geld ist in Bildung gut angelegt. Das belegen wir auch mit der regelmäßigen Evaluierung unserer Arbeit, die immer und besonders auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist.