17.01.2011
„Was erwartet ihr von uns?!“
Jugend und Arbeitgeber im Gespräch am 15. Dezember 2010
Trotz Schneetreiben saßen am Morgen des 15. Dezember 2010 alle 120 eingeladenen Jugendlichen pünktlich im Saal der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Was heute auf dem Stundenplan stand, wollten sie sich nicht entgehen lassen: einmal mit denen zu sprechen, die sie nach dem Schul- oder Studienabschluss einstellen werden. Unter dem Motto „Was erwartet ihr von uns?!“ hatte die KAS und das Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte und Arbeitgeber zusammengebracht, um nach Gründen zu suchen, warum sie sich, trotz gleicher Qualifikation, häufig weniger erfolgreich als ihre Mitschüler ohne Zuwanderungsgeschichte auf dem Arbeitsmarkt etablieren – und was von beiden Seiten getan werden kann, um diese Situation zu verbessern.„Zeigt, wer ihr wirklich seid, und nutzt den Tag, um mit den Personalchefs in Gespräch zu kommen!“, forderte Moderatorin Özlem Sarikaya (Bayrisches Fernsehen), die durch die Veranstaltung führte, die Jugendlichen auf. Rita Schorpp von der KAS schloss sich dieser Einladung zum Gespräch an. Das große Interesse an der Veranstaltung zeige, wie wichtig das Thema sei, betonte sie in ihrer Begrüßungsrede. „Was heißt es, dass Fatima und Mohammed schwerer einen Job finden als Christine oder Klaus?“
Auch der BfDT-Geschäftsführer Dr. Gregor Rosenthal machte in seiner Begrüßung auf diese gesellschaftliche Situation aufmerksam. 57% der deutschen Jugendlichen finden eine Lehrstelle, aber nur 24% der Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte. Bei den Studienanfängern machen sie nur 10% aus. Verändernde Impulse müssen nicht nur von den Zugewanderten, sondern auch von der Mehrheitsgesellschaft ausgehen. In diesem Zusammenhang stellte Rosenthal die Arbeit des BfDT vor und wies darauf hin, wie vielfältig sich MigrantInnen und BürgerInnen mit einer Zuwanderungsgeschichte in der Zivilgesellschaft engagieren. Ebenso machte er deutlich, dass dieses Engagement oftmals von jenen „weichen Eigenschaften“, den so genannten soft skills wie Teamplay, Fairness und Umsicht zeugt, die gerade auch auf dem heutigen Arbeitsmarkt gefragt sind. Für neue Ideen habe Rosenthal ein offenes Ohr: „Wer möchte, kann sich heute auch direkt an mich wenden!“
„Jung, rebellisch und aktiv!“, kündigte Özlem Sarikaya die sich anschließende Theatertruppe DEPARTURE Berlin an. Noch während die Jugendlichen zur thematischen Einstimmung kurze „Bewerbungsbögen“ mit Fragen zu ihren Zielen und Vorstellungen über die Zukunft ausfüllten, erklangen die ersten Töne des Stücks von DEPARTURE über die Lautsprecher. Junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte erzählten aus ihrem Leben, bevor die Darsteller die Bühne betraten. In ihrem tempo- und abwechslungsreichen Stück setzten sie sich mit den spezifischen Herausforderungen auseinander, denen sich Jugendliche mit anderer Herkunft gegenüber gestellt finden. „Obwohl ich von beiden Ländern was habe, bin ich in beiden Ländern fremd“, stellte Nachwuchsschauspieler Yasim fest. Fremdheit wurde immer wieder im Stück aufgegriffen. „Fremd ist unbekannt“, hieß es an einer Stelle. „Dann müssen wir uns kennenlernen – so einfach kann das sein!“, endete sein Schauspielpartner Domme.
Zu diesem Kennenlernen des jeweils anderen forderte auch Prof. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie Mitglied des BfDT-Beirats, in ihrem Impulsreferat die Anwesenden auf. Vor allem Mut und Optimismus seien gefragt, wenn Vorbehalte auf beiden Seiten ausgeräumt werden sollen. „Wenn ich mir hier die vielen motivierten Gesichter anschaue, denke ich: Da sollte sich doch jeder darum reißen, solche Jugendliche einzustellen!“ Deshalb seien gerade die Arbeitgeber in der Verantwortung, den vielmals konstatierten Fachkräftemangel heute durch Investitionen in die Ausbildung der nächsten Generation auszugleichen und gerade das Potential der Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Zuwanderungsgeschichte nicht ungenutzt zu lassen.
Dann war es soweit. Die Vertreter aus der Wirtschaft und Verwaltung betraten das Podium: Oskar Heer, Leiter Arbeitspolitik der Daimler AG, Julia Jaspers, Referentin für Personal- und Bildungsstrategie bei der DB Mobility Logisitcs AG Berlin, Prof. Dr. Carlos Melches-Gilbert von der Hochschule Magdeburg-Stendal, Unternehmer Norbert Geyer von der Geyer-Gruppe, Dr. Pavel Uttitz, Abteilungsirektor der Deutschen Sparkassenakademie und Sabine Janneck vom Bundesverwaltungsamt, Projektleiterin Personalentwicklung, stellten sich den kritischen Fragen des jugendlichen Publikums. Vor allem wollten die Beteiligten ergründen, wie die unterschiedlichen Chancen auf dem Berufsweg von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund zustande kommen. Dabei berichteten viele auch von ihren eigenen Erfahrungen. „Ich habe einen Notendurchschnitt von 1,5 und bekomme trotzdem nur Absagen. Woran kann das liegen?“, wollte ein Schüler wissen. Ein Mädchen machte sich Sorgen, dass sie wegen ihrem Kopftuch keine Lehrstelle für ihren Wunschberuf Bankkauffrau finden könnte. Daraufhin wurde auch diskutiert, wieso das Kopftuchtragen zum Beispiel im Servicebereich der Deutschen Bahn nicht möglich ist.
Vollständig können die erschwerten Bedingungen für Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte natürlich nicht nachvollzogen werden. Allgemein sollten sie sich aber nicht von der Statistik abschrecken lassen. „Aus dem Frust muss Mut werden, lasst euch nicht einschüchtern, probiert es weiter!“, rieten die Podiumsgäste den Jugendlichen immer wieder. Nicht nur Julia Jaspers zeigte sich erstaunt darüber, wie ernst die Jugendlichen dieses Problem sehen: „Ich werde in Zukunft viel sensibler mit dem Thema umgehen und auch vieles von dem heute Erfahrenen in meine Arbeit integrieren.“
Vieles ist eine Frage der Einstellung und Wahrnehmung, auf beiden Seiten. Wenn aber erst einmal Strukturen und Vorbilder geschaffen werden, funktioniert auch die Integration auf dem und über den Arbeitsmarkt. Mit gutem Beispiel voran gehen die Vertreter der Wirtschaft und Verwaltung auf dem Podium, die von ihren vielfältigen Maßnahmen zur Gleichstellung schon im Bewerbungsverfahren berichteten. „Die Gäste heute sind sicher vorbildlich“, sagte Ahmed aus dem Publikum. „Vielleicht könnten sie auf andere Unternehmen zugehen, die noch nicht so viel auf dem Gebiet tun, und ihre positiven Erfahrungen kommunizieren.“
Die Podiumsdiskussion, die immer konkretere Form annahm, war somit der ideale Ausgangspunkt für die anschließenden Workshops, in denen die Jugendlichen mit Fachleuten aus der Zivilgesellschaft über verschiedene arbeitsmarktrelevante Themen wie: „Interkulturalität als Vorteil sehen“ oder „Wie kann ich mich ehrenamtlich engagieren und was bringt es mir in der Berufswelt“ debattierten. Die Ergebnisse wurden dann anschließend von allen gemeinsam im Plenum besprochen. Dort wurde deutlich, dass viele Jugendliche gerade durch ihre Zuwanderungsgeschichte zahlreiche Zusatzqualifikationen mitbringen. Nicht nur Mehrsprachigkeit, sondern auch das Kennen und Verstehen anderer kultureller Umgangsweisen und Gepflogenheiten ist für viele Arbeitgeber ein unschätzbarerer Zusatznutzen. „Kennt eure Stärken und Schwächen und arbeitet gezielt an den Dingen, die ihr gut könnt“, riet Barbara Seibert von Young Migrant Talents bei der Abschlusspräsentation des Workshops „Stärken stärken“ auf. Mit ganz konkreten Tipps waren Strategien erarbeitet worden, wie die Jugendlichen ihre Berufswünsche umsetzen können, wie beispielsweise der erfolgreiche Weg in die erträumte Selbstständigkeit als Barbesitzer. Die jugendlichen Teilnehmer gingen mit der Erkenntnis nach Hause, dass oft gerade die Dinge, die ihnen Spaß machen, auch zu einer gelungenen Karriere führen können. „Das eigene ehrenamtliche Engagement kann dabei ein Schlüssel dazu sein“, schloss Sinem Turac die Ergebnispräsentation. Diesen intensiven Tag werden alle Teilnehmer sicher nicht so schnell vergessen, ebenso wie die Jugendlichen und Arbeitgeber nach Möglichkeiten suchen, ihre zahlreichen Ideen für ein erfolgreiches Arbeitsverhältnis zukünftig umzusetzen.