12.08.2010
„Wir wollen ein Teil des Ganzen sein!“
Interview mit Emran Elmazi vom Amaro Drom e.V.
Sie wollen dazugehören, aktiv werden und endlich die jahrhundertealten Stereotype loswerden: Junge Sinti und Roma leben überall in Deutschland. Der Amaro Drom e.V. bietet ihnen eine Plattform zur Selbstorganisation. Bei seinen vielfältigen Aktivitäten vernetzen sich nicht nur unterschiedliche Gruppen von jungen Sinti und Roma, auch Nicht-Roma werden einbezogen. So zum Beispiel beim 2. Bundesjugendtreffen vom 10. bis zum 13. September 2010, an dem über 120 Jugendliche teilnehmen werden. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) unterstützt das Treffen bereits zum zweiten Mal und wird selbst mit vor Ort sein. Emran Elmazi erzählt von der Bedeutung dieser Begegnung und was er im letzten Jahr dort erlebt hat.Lieber Herr Elmazi, Sie sind Vorstandsmitglied des Amaro Drom e.V. Wofür steht der Verein?
Der Verein ist eine interkulturelle Jugendselbstorganisation von Roma und Nicht-Roma. Schwerpunkte des Vereins sind die soziokulturelle Arbeit und die Stärkung der Eigeninitiative, der Mobilisierung, der Vernetzung und des Selbstwertgefühls jugendlicher Roma und ihre politische und gesellschaftliche Beteiligung. Das Bewusstsein über die eigene Herkunft, Kultur und Geschichte, aber auch über die Kultur und Geschichte des Landes, in dem sie leben, nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Als junge Europäer wollen wir einen aktiven Beitrag in der Gesellschaft leisten zu Toleranz und Respekt, Völkerverständigung und Integration. Deutschland ist nicht nur Wohnort, es ist auch unsere Heimat.
Wie erreicht der Verein diese Ziele?
Der Verein stärkt die Jugendvernetzung und den Aufbau lokaler Jugendgruppen. Wir organisieren Seminare, Freizeiten und Kulturveranstaltungen. Zudem sind wir Mitbegründer des internationalen Jugendnetzwerks „ternYpe - International Roma Youth Network”. Es wurde Anfang 2010 von Roma Jugendorganisationen aus acht verschiedenen Ländern gegründet. Das erscheint mir um so wichtiger, da Erfahrungsaustausch und Kooperation gerade für eine kleine Volksgruppe wie die unsere notwendig sind, um die Selbstorganisation zu stärken und gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen. Im April konnten wir den ersten European Roma Youth Summit organisieren und 60 Jugendlichen aus 12 Ländern vor dem EU-Romagipfel in Cordoba eine Stimme geben. Am 2. August 2010 brachten wir 80 Jugendliche – Roma, jüdische, polnische und deutsche Jugendliche – in Auschwitz zusammen zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 66. Jahrestages der SS-Mordaktion in Auschwitz und zu einem dreitägigen Seminar, um über die Bedeutung und den Umgang mit Geschichte zu diskutieren.
Mit welchen Herausforderungen sehen sich junge Sinti und Roma heute konfrontiert?
Es gibt viele Stereotype und Vorurteile, mit denen die Jugendlichen in ihrem Alltag konfrontiert sind. Ein Stereotyp ist beispielsweise das romantisierende, Tanz und Musik lägen uns im Blut, oder auch Reisen und Fernweh. Das stimmt alles nicht, es gibt viele Sinti und Roma, die seit Jahrhunderten sesshaft sind. Die meisten haben dasselbe Bedürfnis wie die Mehrheitsgesellschaft: sich einfach mit der Familie irgendwo niederlassen und ein geregeltes Leben in sozialer Sicherheit führen. Diese Vorurteile lassen sich nur gemeinsam mit Nicht-Roma abbauen durch Begegnungen und Dialog.
Die Stigmatisierung der Sinti und Roma macht es ihnen nicht nur schwer einen Job zu finden, sondern auch ihre eigene Kultur zu leben. Der überwiegende Teil der Probleme basiert auf einem fehlenden Selbstbewusstsein – oft haben wir die Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft internalisiert und glauben selbst daran. Daher brauchen wir ein Selbstbewusstsein, damit wir uns auch in der Öffentlichkeit mit unserer Kultur, unserer Sprache, unserer Eigenständigkeit wieder verteidigen und behaupten können.
Vom 10. bis zum 13. September findet das 2. Bundesjugendtreffen von jungen Sinti und Roma in Göttingen/Duderstadt statt. Was wird dort los sein?
Nach dem großen Erfolg des 1. Bundesjugendtreffens in Berlin 2009 soll auch dieses Jahr wieder ein Bundesjugendtreffen stattfinden mit über 120 Jugendlichen aus ganz Deutschland, aber auch mit Gästen aus anderen europäischen Ländern. Dieses Treffen ist für alle interessierten Jugendlichen gedacht und möchte zur Stärkung der Eigeninitiative und bundesweiten Vernetzung junger Sinti und Roma beitragen, um gemeinsam unsere Zukunft zu gestalten. In den verschiedenen Themenfeldern, die uns angehen, wollen wir unsere Meinungen austauschen und diskutieren. Es gibt Workshops zum Thema Geschichte der Sinti und Roma, Bildung, Frauenempowerment und Menschenrechte/Antiziganismus, aber auch Theater-, Musik- und Tanzworkshops. Außerdem wollen wir beim 2. Bundesjugendtreffen unsere Jugendzeitschrift herausgeben, die gleichzeitig die erste von Sinti und Roma initiierte Jugendzeitschrift Deutschlands sein wird. Als Höhepunkt wird am Sonntag ein großes öffentliches Roma Musik- und Kulturfestival stattfinden.
Welche Erfahrungen haben Sie beim 1. Bundesjugendtreffen im letzten Jahr gemacht?
Ich habe durchweg positive Erfahrungen sammeln dürfen. Am Anfang hatten die Jugendlichen sehr viele Berührungsängste untereinander. Die kulturellen Hintergründe und Erfahrungen der Teilnehmenden waren so unterschiedlich und vielfältig. Aber es entwickelte sich ein unglaublich offener Begegnungsraum mit viel Spaß an der gemeinsamen Arbeit. Es sind viele Freundschaften zwischen Roma untereinander und mit Nicht-Roma entstanden, die zu weiteren Projekten führten, in Nordrhein-Westfalen sogar zur Gründung eines neuen Landesverbandes. Die Teilnehmer haben den Willen gezeigt, lokal Verantwortung für andere Jugendliche zu übernehmen, sie zu motivieren und in weitere Aktivitäten miteinzubeziehen. Gerade diese Vernetzung und Aktivierung zur Verantwortungsübernahme und Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen sind wesentliche Elemente unseres Empowerments. Um eine kontinuierliche und nachhaltige Vernetzung und Selbstorganisation zu ermöglichen, sollen jedes Jahr ein großes nationales Bundesjugendtreffen und zahlreiche kleine Seminare und Vernetzungstreffen der lokalen Gruppen stattfinden.
Was erwartet die Roma-Community von Politik und Gesellschaft?
Insbesondere von der Politik erwarten wir eine stärkere Unterstützung bei der Selbstorganisation. Wir wollen die Gesellschaft aktiv mitgestalten können. Daher ist unbedingt auch eine Förderung der Potenziale junger Sinti und Roma nötig, z.B. durch Stipendien. Der Aufbau von neuen Strukturen und die Stärkung des Engagements unserer jungen Zielgruppe sind nur mit ausreichend gesellschaftlicher und politischer Unterstützung möglich. Von der Mehrheitsgesellschaft erwarten wir den Abbau diskriminierender Strukturen und mehr Respekt, Verständnis und Solidarität für Sinti und Roma. Wir wollen von der Gesellschaft als Teil des Ganzen anerkannt werden. Selbst in Medien und Politik sind Stereotype ständig präsent und werden viel zu selten hinterfragt. Integration ist ein Prozess, der die Offenheit, den Respekt und das Engagement aller Seiten benötigt. Die Entwicklungen der rechtsradikalen Bewegung in Ungarn, aber auch die stigmatisierende Politik von Frankreichs Präsident Sarkozy in den letzten Wochen, die Roma als Kriminelle darzustellen, Siedlungen zu zerstören und sie in andere neue EU-Länder abschieben zu wollen, sollte uns warnen und uns daran erinnern, welche Verantwortung Politik und Gesellschaft einer Minderheit gegenüber haben!
Wie wichtig ist gerade die Unterstützung von Organisationen wie dem Bündnis für Demokratie und Toleranz bei der Realisierung Ihrer Ziele?
Dank der Unterstützung des Bündnisses für Demokratie und Toleranz konnten wir im letzten Jahr unser erstes Bundesjugendtreffen „Terne Sinti & Roma“ durchführen. Da wir mit unserer Arbeit nicht nur unter uns bleiben möchten, ist das Bündnis für uns aber vor allem auch wichtig als Plattform, durch die ein Austausch und ein Bewusstsein für das vielfältige gesellschaftliche Engagement entstehen. Wir freuen uns sehr über die öffentliche Aufmerksamkeit, da auch wir einen aktiven Beitrag zu Demokratie und Toleranz in diesem Land leisten. Gleichzeitig laden wir alle Menschen ein mehr über Sinti und Roma zu erfahren und mit uns in Kontakt zu treten.
