14.07.2010
Interview mit Koordinatorin Ulrike Koch
„So früh wie möglich mehr Chancen geben“ - Die Stadtteilmütter in Kreuzberg


Liebe Frau Koch – Wer sind die Stadtteilmütter und was tun sie?
Stadtteilmütter sind Multiplikatorinnen. Es gibt sie bei uns in Kreuzberg seit 2007. Die Stadtteilmütter sind Frauen unterschiedlicher Nationalität, die arbeitslos sind oder genügend Zeit haben. Viele kommen aus der Türkei, wir haben in jedem Durchgang aber auch zwei bis drei deutsche Frauen dabei.
Die Stadtteilmütter werden ein halbes Jahr lang im Bereich Entwicklung und Erziehung von Kindern qualifiziert, um die Erziehungskompetenz von Eltern zu stärken. Untersuchungen belegen immer wieder, dass in bestimmten Regionen Kinder bereits mit Defiziten eingeschult werden. Das hat natürlich Auswirkungen auf ihren weiteren Schulerfolg. Es ist wichtig, diesen Kindern so früh wie möglich mehr Chancen zu geben. Sie sind ja nicht etwa dümmer. Sie müssen einfach von Anfang an besser unterstützt werden. Das betrifft alle Nationalitäten gleichermaßen. Eltern wollen natürlich, dass ihr Kind den Schulabschluss schafft, viele sind aber überfordert oder zu belastet in ihrer eigenen Lebenssituation. Auch das Jugendamt, mit dem wir eng zusammenarbeiten, unterstützt diesen Ansatz der Frühförderung, wenn die Eltern noch motiviert und bereit sind, dazuzulernen.
Was macht die Stadtteilmütter zu guten Multiplikatorinnen?
Aufgrund der ähnlichen Kultur und der sprachlichen Kenntnisse kriegen Stadtteilmütter einen guten Zugang zu den Communities. Sie erwerben das Vertrauen der Familien leichter. Dazu kommt, dass sie auf Augenhöhe agieren, anders als wir Profis in den Beratungsstellen.
Wie wird man Stadtteilmutter?
Die Frauen schreiben eine Bewerbung an uns, die kann ruhig Fehler haben. Sie müssen ausreichende Deutschkenntnisse nur vom Wortschatz her haben, weil sie die Qualifizierung auf Deutsch verstehen müssen. Stadtteilmütter müssen Interesse am Thema haben, aufgeschlossen und kommunikativ sein, weil wir auch aufsuchende Familienarbeit machen. Sie müssen über Reflexionsvermögen verfügen, denn sie treffen auf Familien mit unterschiedlichen Problemen, aus unterschiedlichen Nationen und mit unterschiedlichen Werten, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Sie sollten auch selbst nicht gerade in einer belastenden Situation stecken, denn dann ist man nicht so aufnahmefähig.
Die Ausbildung dauert ein halbes Jahr, die Frauen werden an zwei Vormittagen geschult. Häufig besuchen sie an einem dritten Vormittag zu jedem der 11 Module, unseren Themenschwerpunkten, zwei Einrichtungen, um die Angebote für Familien kennenzulernen um sie ggf. auf sie hinweisen zu können. Dann machen die Frauen eine Prüfung. Für die Ausbildung erhalten sie ein Zertifikat, wonach sie ihre Arbeit als Stadtteilmütter beginnen können.
Wie sieht ein typischer Einsatz für die Stadtteilmütter aus?
Der typische Tag einer Stadtteilmutter sieht vielleicht so aus: Sie kommt morgens ins Familiencafé, bietet dort Tee an, versucht mit Eltern ins Gespräch zu kommen und herauszufinden, wo deren Bedürfnisse liegen. Oder sie hilft bei der Organisation einer Info-Veranstaltung zu gesunder Ernährung mit. Nachmittags hat sie dann zum Beispiel einen Familienbesuch, der auch vorbereitet werden muss. Schwierig ist es, wenn die Familien auch andere Probleme haben. Die Stadtteilmütter müssen dann entsprechend weitervermitteln.
Wie werden die Stadtteilmütter in der Bevölkerung aufgenommen?
Das Bedürfnis nach einer Stadtteilmutter, die begleitet und bei Problemen hilft, vielleicht sogar eine Freundin wird, ist sehr groß. Es ist natürlich einfacher, wenn jemand konkret fragt: „Ich hab noch keine Kita-Stelle, kannst Du mir helfen?“, als darüber zu sprechen, wie eine Mutter, ein Vater selbst aktiv werden kann. Deshalb sollen die Stadtteilmütter auch als Vorbild agieren. Alle haben eine Tasche, in der sie Info-Material mitnehmen können. Oder auch schon mal ein Bilderbuch oder Spiel, das sie den Eltern vorführen, damit die sehen, wie viel Spaß die Förderung von Kindern macht.
Das BfDT will als Ansprechpartner und Impulsgeber vor allem auch Projekte aus der Zivilgesellschaft vernetzen. Wie wichtig sind eine lebendige Zivilgesellschaft und die Kooperation mit Akteuren für die Arbeit der Stadtteilmütter?
Ganz wichtig. Wir arbeiten ja schon mit vielen Netzwerken. Einmal haben wir mit unserem Projekt das Netzwerk „Frühe Bildung“ geschaffen. Dann gibt es noch das Netzwerk der Eltern und die Sozialraum AG, in der alle sozialen Einrichtungen des Stadtteils vertreten sind. Es ist trotzdem so, dass wir personell sehr eng ausgestattet sind. Es wäre super, wenn wir zum Beispiel durch das Bündnis unterstützt würden, die bestehenden Netzwerke weiter zu pflegen und auszubauen.
Was steht zur Zeit an, gibt es spezielle Perspektiven für das Projekt?
Die Väterarbeit ist bei uns noch in den Kinderschuhen, da müsste noch viel mehr Geld investiert werden. Was gut gelaufen ist, ist die Qualifizierung zum Thema, das wir als elftes Modul mit in die Ausbildung der Stadtteilmütter übernommen haben. Ansonsten sind wir dabei, eine Sozialassistentenausbildung mit dem neuen Schwerpunkt „Interkulturelle Familienarbeit“ voranzutreiben. Wir wollen Möglichkeiten schaffen für die Stadtteilmütter, sich weiter zu qualifizieren und berufliche Aussichten zu entwickeln. Das ist auch die größte Motivation für die Frauen, Stadtteilmütter zu werden: anderen helfen und Kindern, auch den eigenen, Perspektiven zu eröffnen in dem Land, in dem sie aufwachsen.
