06.05.2008
„Konflikttransformation. Chance für eine ganzheitliche Integrationsarbeit“
Fachtagung weist auf hohen Bedarf für professionelle Konfliktberatung in Deutschland hin
von Philipe Sufryd (Forum Ziviler Friedensdienst e.V.)Experten aus Wissenschaft und Praxis, Verbänden und Behörden trafen sich am 17. April 2008 auf Einladung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Arbeitsgemeinschaft Ziviler Friedensdienst in Deutschland (ArGe ZFDiD), um sich über die Chancen neuer Methoden der Konflikttransformation für die Integrationsarbeit in Deutschland auszutauschen. Einig waren sich die rund 120 Teilnehmer der vom Forum Ziviler Friedensdienst e.V. organisierten Fachtagung „Konflikttransformation. Chance für eine ganzheitliche Integrationsarbeit", dass frühzeitige Interventionen erforderlich sind, um Konflikte in eine gewaltfreie und produktive Richtung zu lenken. Deutschland befinde sich gegenwärtig in einem „Window of Opportunity": Jetzt gebe es die Chance, aber auch die Notwendigkeit, um gewaltpräventive Maßnahmen nicht nur zu diskutieren, sondern auch auf die Schiene zu bringen. Dabei komme Methoden der professionellen Konfliktberatung eine besondere Rolle zu.
Ziviler Friedensdienst in Deutschland
Die hohe Zahl an Teilnehmern mit kommunalen Hintergründen dokumentiert den immensen lokalen Beratungsbedarf in Integrationsfragen. In der Diskussion, die maßgeblich durch kenntnisreiche Eingaben aus dem Teilnehmerfeld bereichert wurde, zeigte sich ein großes Interesse, neue Methoden der Konfliktbearbeitung wie den Zivilen Friedensdienst in Deutschland (ZFDiD) zu nutzen.
Langfristige Projekte
In Gilles Duhem, Geschäftsführer des Fördervereins Morus 14 e.V. aus Berlin, kam ein ausgewiesener Praktiker zu Wort. Duhem, als Stadtplaner und langjähriger Quartiersmanager bestens vertraut mit Konflikten insbesondere in Stadtvierteln mit hohen Migrantenanteilen, schilderte die Möglichkeiten und Grenzen von wirksamer Konfliktbearbeitung am Beispiel des Rollbergviertels in Berlin-Neukölln. Mit einem eindringlichen Appell gegen falsche Toleranz und für ein Umdenken im Handeln wandte er sich an die politisch Verantwortlichen: Eine umfassende Bearbeitung von Konflikten wirke nur, wenn sie langfristig angelegt sei und von Fachkräften geleistet werde, die über das notwendige Rüstzeug für die professionelle Transformation von Konflikten verfügen und angemessen bezahlt werden. Ehrenamtliches Engagement sei ausgesprochen wichtig, aber könne nur gelingen, wenn parallel eine hauptamtliche Anleitung, Stärkung und Vernetzung erfolge. Dabei zeige die Erfahrung des Quartiersmanagement, dass die Unabhängigkeit Hauptamtlicher von kommunalen Strukturen ausgesprochen hilfreich sei, da kommunale Akteure immer auch Teil eines Konfliktsystems seien.
Einbindung aller Akteure eines Konfliktsystems
Der französische Soziologe Charles Rojzman stellte den von ihm entwickelten systemorientierten Ansatz der „Thérapie sociale" vor - ein Konzept, welches in vielen Städten Frankreichs und in den Vorstädten von Paris angewandt wird. Ziel der Methode sei es, Menschen mit verschiedenen Werten, Normen und kulturellen Hintergründen zum Zusammenleben bzw. zum Zusammenarbeiten zu verhelfen. Die „Thérapie sociale" gehe davon aus, dass jede/r in einem System eine Verantwortung für das Funktionieren bzw. Disfunktionieren des Gesamten trägt. Es gebe zwei verschiedene Anwendungsformen der Thérapie sociale: Fortbildung von Mitarbeitern öffentlicher Institutionen und die Arbeit in kommunalen Projektgruppen als Abbild einer Mikrogesellschaft der jeweiligen Stadt. Zum „Thérapeute social(e)" ausgebildete Projektleiter schaffen einen Rahmen der Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz, der es den Teilnehmenden ermöglicht, von den wahren Problemen reden zu können. Rojzman betonte, der Arbeitshorizont von „Thérapie sociale" könne nicht einfach nur ein Stadtquartier oder eine Zielgruppe sein. Entscheidend seien vielmehr die jeweiligen Konflikträume. Alle an einem Konflikt beteiligten Akteure müssten miteinbezogen werden.
Prävention statt Repression
In die Fachtagung eingeführt und damit den Rahmen für die gelungene Veranstaltung gesetzt hatte Prof. Dr. Roland Roth von der Fachhochschule Magdeburg-Stendal. Roth hob in seinem Vortrag zum Thema „Gegenwärtige und zukünftige Konfliktdynamiken in Deutschland" an den Themenfeldern Jugend, Integration und Rechtsextremismus exemplarisch hervor, wie sich die seit den 1980er Jahren beschleunigten sozialen Wandlungsprozesse auf die „Konfliktfähigkeit" der deutschen Gesellschaft auswirken. Dabei weist er sozialen Konflikten eine durchaus positive Rolle zu. Mit dem Ende der außergewöhnlichen Stabilität der deutschen Gesellschaft nach dem 2. Weltkrieg kämen latente soziale Probleme aber mehr und mehr zum Vorschein. Diese Entwicklung sei sehr ernst zu nehmen. Repressive Konflikteinhegung bedeute eine verspielte Chance. Vielmehr müsse jetzt strategisch die Nutzung präventiver Konfliktbearbeitung diskutiert werden, um gewaltförmige Eskalationsprozesse zu vermeiden.
Hauptamtlicher Fachdienst
Die abschließende Podiumsdiskussion zum Thema „Methoden der ganzheitlichen Konflikttransformation als Chance für die Integrationsarbeit in Kommunen und Stadtquartieren?" griff die Thesen der Impulsreferate auf. Dabei stand die Lösungsorientierung im Vordergrund, getreu dem Motto Handeln statt Diskutieren.
Dr. Michael Griesbeck, Vizepräsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingen, stellte heraus, dass die notwendige Auseinandersetzung über den Umgang mit Konfliktpotenzialen auch im Rahmen der Debatten über zukünftige Integrationsmaßnahmen geführt werden müsse. Dies griff Bernhard Müller, Sprecher der ArGe ZFDiD und Vorstandsmitglied des Forum Ziviler Friedensdienst e.V. auf: Innergesellschaftliche Konfliktbearbeitung sei ein gesamtgesellschaftliches Thema. Müller unterstrich, dass es notwendig sei, professionelle Konfliktberatungskompetenzen zu schaffen und erläuterte, welchen Beitrag der Zivile Friedensdienst in Deutschland als ein hauptamtlicher Fachdienst leisten könne.
Eine vollständige Dokumentation der Fachtagung finden Sie in Kürze auf

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Philipe Sufryd
Forum Ziviler Friedensdienst e.V.
(0228) 850 851 86
sufryd@forumZFD.de
Arbeitsgemeinschaft Ziviler Friedensdienst in Deutschland

