23.02.2012
Stark ohne Gewalt – Stark in Vielfalt
von Mathias Kaps
Ich war Lehrer in Hannover und hatte eine ungewöhnliche Band kennen gelernt. Die internationale Musiktruppe Gen Rosso hatte mich durch ihr echtes authentisches Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und ein multikulturelles Miteinander beeindruckt.In der Schule herrscht schnell das Gesetz des Stärkeren, Schwache können sich nur mit Mühe Respekt und Solidarität erkämpfen und die Tendenz zur Gewalt ist zumindest verbal und in subtiler, manchmal indirekter Form von Mobbing oder Bullying, wie man das bei uns nennt, fast in allen Schulformen zu finden. Gen Rosso tourte gerade mit einem Musical, in dem es um die wahre Geschichte eines jungen Afro-Amerikaners geht, der der Gewalt in seinem Stadtviertel mit viel Idealismus entgegen tritt und am Ende sogar mit dem Leben bezahlt.
Im Gespräch mit Kollegen, befreundeten Pädagogen, engagierten Sozialarbeitern und Aktiven in der Jugendarbeit haben wir beschlossen, dieses Musical in unsere Schulen zu holen. Die Künstler von Gen Rosso waren von der Idee begeistert, zumal sie schon seit vielen Jahren im Anschluss an ihre Konzerte Workshops für Jugendliche anbieten.
Das war im Jahr 2005. Seit 2006 gibt es das Projekt „Stark ohne Gewalt“: Bis zu sechs Monate macht eine Schule Stärke und Gewalt zum Thema, bereitet sich inhaltlich in verschiedenen Fächern darauf vor, erarbeitet im Vorfeld Inhalte und eigene Themenschwerpunkte dazu. Dann kommt Gen Rosso. Eine Woche lang reist die international besetzte Band mit kompletter Ausrüstung an, erarbeitet in drei Tagen gemeinsam mit den Schülern das Musical. Die Schüler entdecken dabei, was in ihnen steckt: Sie tanzen, singen, bedienen das Mischpult, sitzen am Verfolgerscheinwerfer, moderieren, basteln Requisiten. Und das Ergebnis? Ein beeindruckendes Musicalspektakel oft mit respektablem Vorprogramm, strahlende Kids auf der Bühne, stolze Eltern im Publikum, Lokalpolitiker, die wieder Hoffnung schöpfen und allen Akteuren begeistert auf die Schulter klopfen.
Aber dabei bleibt es nicht und das ist der eigentliche Clou des Projektes: Das Anliegen von „Stark ohne Gewalt“ ist es, die Lehrer, die Schüler und das Umfeld mit ins Boot zu holen: Der Kriminologe und ehemalige niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer hat es mal den „Klimawandel an der Schule“ genannt. Es geht darum, auf die Stärken der Schüler zu setzen, ihre Talente, ihre Fähigkeiten ins Licht zu rücken, sie dazu zu ermutigen, auch gegen den Trend für andere einzutreten, an sich, aber auch an die Stärken der anderen zu glauben. Und dafür bietet der Starkmacher e.V., den wir gegründet haben und der inzwischen viele weitere Projekte koordiniert, viele Folgeprojekte. Zum Projekt „Stark ohne Gewalt“ gehört ein anschließendes Seminar für „Botschafter integrativer Stärke“, in dem interessierte Schüler erste kleine Mikroprojekte entwickeln, um Akzente zu setzen, in ihrer Schule und in ihrer Stadt auch in kleinen Schritten etwas zum Positiven zu verändern.
Das Projekt „Stark ohne Gewalt“ unterstützt ganz bewusst Netzwerke mit Partnern vor Ort: Mit Bildungsträgern, der Agentur für Arbeit, mit Unternehmen, die Auszubildende suchen, mit Jugendeinrichtungen, die Hilfestellungen für junge Leute in schwierigen Situationen geben. So kann eine Schule den ihr anvertrauten Jugendlichen einen Übergang in die Ausbildungs- und Berufswelt erleichtern.
Und wer profitiert von diesem Projekt? Vor allem Jugendliche, die sonst schnell durch alle Netze fallen: Die Echos aus den Hauptschulen, berufsbildenden Schulen, aus Sonderschulen, Spezialeinrichtungen für junge Leute mit schwierigem sozialen Umfeld und der Jugendpsychiatrie sind die bewegendsten. Da erzählen Lehrer von erstaunlichen Lernerfolgen in den anschließenden Unterrichtseinheiten, Psychologen sind verblüfft über plötzliche Therapieerfolge bei aussichtslosen Fällen, Eltern reiben sich die Augen angesichts unerwarteter positiver Veränderungen, die sie bei ihrem Nachwuchs feststellen.
Meinen Lehrerjob habe ich inzwischen an den Nagel gehängt. Inzwischen haben wir mit Freunden und Fachleuten aus ganz unterschiedlichen Disziplinen den Starkmacher e.V. gegründet. Wir entwickeln immer wieder neue Projekte, um Jugendlichen in unserer Gesellschaft Einstiegschancen zu ermöglichen, Berufsaussichten zu verbessern, jungen Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen rechtzeitig aufzufangen und mit ihnen neue Perspektiven zu entwickeln.
„Stark ohne Gewalt – Stark in Vielfalt“ ist unser wichtigstes Standbein, unser größtes Projekt. Wir werden dabei von vielen unterstützt – die wichtigste Förderung erhalten wir vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch das Programm „XENOS – Integration und Vielfalt“. XENOS will Demokratiebewusstsein und Toleranz stärken und Fremdenfeindlichkeit und Rassismus abbauen. An mehr als 50 Standorten wurde das Projekt inzwischen durchgeführt, über 30.000 Schüler und sicher 2000 Lehrerinnen und Lehrer waren aktiv involviert. Wir arbeiten mit einem Team von mehr als 80 ehrenamtlichen „Starkmachern“, die in kleinen Teams eine solche Projektwoche begleiten, dolmetschen, einen unschätzbaren Dienst in der Organisation und im reibungslosen Miteinander leisten.
Und das macht stark!
