24.10.2011
Ehrenamtliche Deeskalationsteams in Weimar
von Christina Haensel
Das Spiel hat 90 Minuten- und was passiert danach? Negative Erfahrungen im Fußball- EM- Jahr 2008, bei dem es während der Public-Viewing-Veranstaltungen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, fremdenfeindlichen Übergriffen, Verbrennen von Flaggen u.a. kam, ließen den Kriminalpräventiven Rat der Stadt Weimar über präventive Maßnahmen zur Verhinderung ähnlicher Ausschreitungen zur WM 2010 nachdenken.Eine eigens zur WM gegründete Unterarbeitsgruppe des Kriminalpräventiven Rats beriet in mehreren Sitzungen über Möglichkeiten, wie die WM als ein tolerantes, faires und friedliches Fest in Weimar erlebt werden kann. Maßnahmen waren dabei z.B. in Zusammenarbeit mit der Ausländerbeauftragten der Stadt kulturelle Besonderheiten der Fußball-„Gegner“ im Rahmenprogramm der Übertragungen zu zeigen und ein multikulturelles Kinder- und Familienfest zu organisieren. Jugendliche der Stadt besprühten innerhalb eines Graffiti-Projektes Stromkästen und Trafohäuschen der Stadtwerke (die das Vorhaben finanziell unterstützten) zum Thema „Sport frei von Extremismus“. Der Stadtsportbund mit dem Modellprojekt gegen Extremismus kooperierte mit der Europäischen Jugendbildung- und Jugendbegegnungsstätte Weimar JBW und der Stadtverwaltung zu einem Ausstellungsprojekt „Ballarbeit- Migranten im Fußball“ uvm.
Unterstützender Baustein des Gesamtvorhabens war die Gründung von sogenannten „Deeskalationsteams“. Hintergrundgedanke war, dass oft durch aufmerksame Mitbürger eine gewisse gewaltbereite oder konfliktgeladene Stimmung gespürt werden kann. Bevor es zur Eskalation kommt, könnte hier eingegriffen werden. Die Beamten der Polizei werden jedoch erst gerufen, wenn der Konflikt bereits ausgebrochen ist. Auch die Möglichkeiten der Security beim Public Viewing sind beschränkt und ohnehin nur auf die Lokalitäten fokussiert. Ausschreitungen sind jedoch auch auf dem Heimweg der Fans bzw. auf spontanen Freudenfeiern auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu erwarten.
Dies führte zu der Idee, engagierte Bürger zu gewinnen, die sich bereit erklären, sich im Team während und nach Ende von Deutschlandspielen in der Innenstadt zu bewegen und zu beobachten, wo Stresssituationen entstehen und dann ggf. deeskalierend einzugreifen. Dies geschah durch Aufrufe im BürgerInnenbündnis gegen Rechts und in einer Verwaltungsmitteilung der Stadtverwaltung. Bei der Auswahl der Personen für die Deeskalationsteams wurde auf eine gewisse „Eignung“ geachtet. Besonnenes, konsequentes Handeln war ebenso Voraussetzung wie das Achten auf Selbstschutz.
In drei Workshops wurden die ehrenamtlichen Helfer (im Alter von 16 bis 75 Jahren) durch einen Konfliktmanager (FH) geschult. Sie erhielten grundlegende theoretische Einblicke und Handlungsstrategien. In kleineren Rollenspielen wurden Möglichkeiten der Intervention geübt und ausgewertet.
Für die jeweiligen Public-Viewing-Veranstaltungen fanden sich jeweils 3-4 Teams, die aus mindestens 2 Personen zusammengesetzt waren. Mindestens eine Person des Teams musste die Schulung absolviert haben. So war es möglich, dass der Helferkreis kurzfristig mit engagierten Personen erweitert werden konnte.
Zu Beginn des Einsatzes gab es eine Lagebesprechung, bei der gleichzeitig die Teams für unterschiedliche „Routen“ eingeteilt wurden. Sie bewegten sich durch die Stadt und hielten dabei Augen und Ohren offen, mögliche Konfliktherde rechtzeitig zu erkennen und dann ggf. zeitnah einzugreifen. Zum Glück waren nicht allzu viele Interventionen nötig. In den Fällen, wo gehandelt werden musste, geschah es besonnen und stieß auf Zustimmung bei Betroffenen und Passanten/ Einwohnern. Das Ziel des Projektes, präventiv einzuwirken und entstehende Konflikte im Keim zu ersticken, konnte durch den ehrenamtlichen Einsatz von engagierten Bürgern gut erfüllt werden. Gleichzeitig wurde damit das Bestreben der Stadt Weimar, eine lebenswerte Stadt mit einem guten Sicherheitsgefühl zu sein, unterstützt.
Nachdem die Deeskalationsteams einige Zeit „arbeitslos“ waren, kamen sie im September 2011 erneut zum Einsatz. Dieses Mal ging es nicht um Fußball, sondern um die Abschlussveranstaltung des schulübergreifenden Projekttages. Dieses ist ein durch Schülerinnen und Schüler der Weimarer Gymnasien und Regelschulen selbst organisiertes Unterfangen. In ca. 40 Workshops arbeiten die Jugendlichen einen Tag lang zu den verschiedensten Themen der Demokratie-Erziehung. Am Abend gibt es eine große Abschlussparty im Jugend- und Kulturzentrum mon ami. Leider kam es dabei im letzten Jahr zu Auseinandersetzungen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die die geschlossene Veranstaltung nicht besuchen durften (da sie keine Schüler mehr sind). Dies sollte in diesem Jahr auf Bitten der SchülerInnen durch den Einsatz der Deeskalationsteams verhindert werden. Im Organisationsteam des Projekttages wurden zusätzlich 10 Jugendliche gefunden, die eine Schulung (organisiert vom Kriminalpräventiven Rat) durchliefen. Schwerpunkte des Seminars waren dabei u.a.: Verhalten in akut bedrohlichen Situationen, gewaltfreie Kommunikation nach Marschall Rosenberg, körpersprachliche Aspekte und Beispiele aus eigener Erfahrung.
Es gelang durch besonnenes Handeln der Jugendlichen und der „erfahrenen Deeskalierer“, mit den Nicht- Teilnehmer-Gruppen vor dem mon ami ins Gespräch zu kommen, zu begründen, warum die Veranstaltung einen geschlossenen Charakter hat und welche Möglichkeiten es gibt, ähnliche Veranstaltungen einmal für die gesamte Stadt zu organisieren. So blieb die Veranstaltung friedlich.
Es ist gut, dass in Weimar ein Pool ehrenamtlicher Menschen zur Verfügung steht, die kurzfristig bei Aktionen und Festen für ein friedliches und tolerantes Miteinander sorgen können. Dieser Pool soll weiter ausgebaut und gefestigt werden.