14.07.2011
„Echt clever!“ - Gewaltprävention durch Bildung und Sport
Von Oswald Marshall (Boxclub Minden)Der deutsche Sinto Oswald Marschall war Anfang der 1970er Jahre im deutschen Amateurboxsport mehrfacher deutscher Nationalstaffelboxer und für sein Land auch Teilnehmer an der Europameisterschaft 1974 in Kiew. Nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn wurde Oswald Marschall Vorsitzender und Trainer des Boxclubs Minden und hat diesen mittlerweile zu einem der erfolgreichsten und angesehensten Boxvereine in Westfalen entwickelt, der einen deutschen Meister, einen Dritten der Jugendeuropameisterschaft und noch 12 weitere Medaillengewinner bei Deutschen Meisterschaften hervorgebracht hat. Marshall betreut seit vielen Jahren junge Sportler aus dem In- und Ausland, die sowohl der Minderheit der Sinti und Roma als auch der deutschen Mehrheitsbevölkerung sowie anderen Nationalitäten angehören. Über den sportlichen Aspekt hinaus vermittelt der Verein den jungen Menschen vor allem Grundwerte wie Teamgeist, Disziplin, Anstand und Verantwortung. Ziel ist es, die Aus- und Fortbildung Jugendlicher im schulischen und außerschulischen Bereich zu fördern.
Inzwischen finden in Zusammenarbeit mit Mindener Schulen in regelmäßigen Abständen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen in den Räumen des Vereins statt. Neben konkreter Hausaufgabenhilfe wird auch ein starkes Gemeinschaftsgefühl unter den Schülerinnen und Schülern entwickelt und deren Lernmotivation gefördert. Es ist vorgesehen, Studierende zu unterstützen und die Möglichkeit zu gewähren, den Leistungssport mit den Anforderungen ihres Studiums und teilweise beruflichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Die Erfahrung der jüngsten Vergangenheit hat gezeigt, dass einige vielversprechende Boxtalente auf Grund der beruflichen und akademischen Doppelbelastung den Boxsport aufgeben oder einschränken mussten, sodass die Heranbildung von Spitzensportlern nur noch in Ausnahmefällen und unter großen Belastungen geschehen konnte. Neben der Breitenförderung soll deshalb künftig auch eine kontinuierliche Elitenförderung stattfinden. Ein breites Netzwerk, bestehend aus gesellschaftlichen Kräften, aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur, soll künftig in die Vereinsarbeit integriert werden, um die gesetzten Ziele zu erreichen.
Im Jahr 2010 hat sich unter dem Vorsitz von Oswald Marschall der Verein Deutscher Sinti e.V. Minden konstituiert und ist inzwischen eine Mitgliedsorganisation des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Auch im Verein Deutscher Sinti werden die im Boxclub gesetzten gesellschaftspolitischen Ziele verfolgt und umgesetzt. Dort liegen die Schwerpunkte auf der Unterstützung junger Sinti und Roma in Fragen der schulischen, beruflichen und akademischen Aus- und Fortbildung, der interkulturellen Begegnungsmöglichkeiten zwischen Angehörigen der Minderheit und der Mehrheitsgesellschaft sowie der Aufklärung der Öffentlichkeit über den nationalsozialistischen Völkermord an den 500.000 Sinti und Roma und dessen Auswirkungen bis heute. Großen Wert legt Oswald Marschall darauf, dass es heute, fast 70 Jahre nach dem Holocaust, nicht um Schuldzuweisungen gehen kann, sondern vielmehr darum, Auschwitz niemals zu vergessen. Im Erinnern soll die Chance begriffen werden, heute gegen alle Formen der Diskriminierung vorzugehen. Dabei ist es unverzichtbar, unsere Grundwerte wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde stets gegen die Gefahren, die aus Rassismus und Antiziganismus erwachsen, zu verteidigen.
Beide Vereine leisten einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit, zur Gewaltprävention und zur Bekämpfung von Antiziganismus und Rassismus. Die Arbeit trägt ebenso zur weiteren Identitätsbildung innerhalb der Gruppe der Sinti und Roma bei, zumal Verein, insbesondere dessen Vorsitzender Oswald Marschall, in zahlreichen west- und norddeutschen Städten regelmäßige Veranstaltungen für Angehörige der Minderheit, aber auch für die Öffentlichkeit durchführt, und über die Arbeit des Zentralrats und des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma informiert. Besonders der Aspekt der Begegnung und des Dialogs „auf Augenhöhe“ zwischen Angehörigen der sogenannten Mehrheitsbevölkerung und der Minderheit sowie zwischen den unterschiedlichen Generationen soll zu einem besseren Zusammenleben beitragen.
Dabei ist stets zu bedenken, dass Sinti und Roma eben nicht nur als Angehörige einer Minderheit zu betrachten sind, sondern zugleich immer auch Teil der Gesamtgesellschaft sind. Das Leben von Oswald Marschall ist ein gutes Beispiel dafür, wie soziale Verantwortung und Respekt zwischen Mehrheits- und Minderheitsangehörigen und einer allgemeinen Wertevermittlung Hand in Hand gehen können. Besonders der gesellschaftliche und der bildungspolitische Aspekt ist dabei wichtig. Junge Menschen werden zur Eigenverantwortung und damit auch zur Verantwortung für die Gemeinschaft erzogen. Auf Grund seines sozialen Engagements wurde der Boxclub Minden als gemeinnütziger Verein anerkannt und am 31. März 2011 für die Aktion „Echt Clever“ durch das Bündnis für Toleranz und Demokratie ausgezeichnet.