09.12.2016

Interview mit dem Netzwerk Tolerantes Sachsen

Das Netzwerk Tolerantes Sachsen stärkt Engagierte, die sich für ein menschliches und weltoffenes Sachsen einsetzen. Im Gespräch berichtet das Netzwerk, warum es wichtig ist, Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus einsetzen, Unterstützung zu bieten.
Zivilgesellschaftliches Engagement in Sachsen stärken - die Vernetzungstreffen des Netzwerks Tolerantes Sachsen (Foto: Netzwerk Tolerantes Sachsen)Zivilgesellschaftliches Engagement in Sachsen stärken - die Vernetzungstreffen des Netzwerks Tolerantes Sachsen (Foto: Netzwerk Tolerantes Sachsen)

Der Förderverein Tolerantes Sachsen e.V. dient der Förderung des Netzwerkes Tolerantes Sachsen. Aus welchem Anlass wurde das Netzwerk gegründet?

Das Netzwerk Tolerantes Sachsen wurde 2001 von zivilgesellschaftlich Engagierten als eine Vernetzungsplattform gegründet, um den notwendigen Erfahrungsaustausch und Lobbyarbeit zu betreiben. Die zivilgesellschaftliche Landschaft stand am Anfang ihrer Entwicklung. Alle mussten erst dafür kämpfen, überhaupt gehört zu werden – sowohl vor Ort als auch auf der regionalen und Landesebene. Viele, die das Problem des Rechtsextremismus und Rassismus ansprachen, wurden als Nestbeschmutzer diffamiert. Das Netzwerk wurde gegründet, um diesen Initiativen Unterstützung zu bieten und als Sprachrohr in Richtung Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung zu fungieren.

Erzählen Sie kurz von der vielfältigen, interkulturellen Arbeit des Netzwerks! Wie ist es aufgestellt und was sind die Ziele?

Rund 100 sächsische Organisationen und Initiativen sind derzeit Mitglied im Netzwerk Tolerantes Sachsen. Sie alle setzen sich für die Stärkung demokratischer Kultur und ein respektvolles Miteinander in einer vielfältigen Gesellschaft ein. Sie engagieren sich gegen Diskriminierung und rechtsmotivierte Gewalt. Thematisch ist das Netzwerk so vielfältig wie seine Mitglieder: Förderung demokratischer Gemeinwesenarbeit, LSBTIQ*-Themen, Inklusion und Empowerment der Neuangekommenen, Schulprojekttage zur Prävention, entwicklungspolitische Bildungsarbeit: von sachsenweit agierenden Beratungsnetzwerken über soziokulturelle Zentren bis hin zu lokalen Bürgerinitiativen – alle Mitglieder vereint das Ziel, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kreativ und gewaltfrei entgegenzuwirken und die gesellschaftliche Teilhabe Aller voranzubringen.

Inwieweit ist Ihre Arbeit insbesondere in Sachsen relevant?

Rechte und rassistische Einstellungsmuster sind in Sachsen weit verbreitet. Laut Sachsen-Monitor 2016 haben 44 Prozent der Sachsen hohe und mittlere gruppenbezogen menschenfeindliche Einstellungen. Durch PEGIDA und ähnliche Veranstaltungen in zahlreichen sächsischen Städten wurde diese Grundstimmung auf die Straße getragen. Doch auch am Stammtisch und im digitalen Raum verbreiten sich Hass und Hetze. Zudem vermerkt Sachsen die höchste Zahl rechtsmotivierter Übergriffe im Bundesvergleich. Im Durchschnitt wird jeden Tag ein Mensch angegriffen – auf Grund seiner Herkunft, Religion oder politischen Haltung (Statistik der RAA 2015). Das Netzwerk möchte in diesem Umfeld diejenigen Engagierten stärken, die sich für ein menschliches und weltoffenes Sachsen einsetzen.

Warum ist es wichtig, eine ausreichende Vernetzung bestehenden Engagements zu schaffen und zu stärken?

Gerade im ländlichen Raum wird das Engagement zumeist von einigen Wenigen getragen, die dafür sogar diffamiert bzw. bedroht werden. Wir als Netzwerk unterstützen unsere Mitglieder durch konkrete Stärkung vor Ort: Mit schneller Hilfe in Notsituationen und mit Vernetzungstreffen für den Austausch von best practice, Kompetenzentwicklung und Lösungsideen.

Mit welchen Akteuren aus Politik, Zivilgesellschaft und Religion kooperieren Sie?

Wir sind politisch unabhängig. Als Interessenvertretung unserer Mitglieder tragen wir deren Probleme, Bedarfe und Handlungsempfehlungen an Politik und Verwaltung heran.
Durch unsere zahlreichen Mitglieder sind wir weit in die unterschiedlichen Bereiche der Zivilgesellschaft vernetzt. Zu unseren Kooperationspartnern zählen Gewerkschaften, Vertreter/-innen der Kirchen (die AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte), Stiftungen (Amadeu Antonio Stiftung, Weiterdenken – Heinrich Böll Stiftung Sachsen), u.v.m.

Das BfDT unterstützte die Umsetzung dreier Regionaltreffen von Tolerantes Sachsen e.V. finanziell. Können Sie kurz skizzieren, worum es bei den Treffen ging?

Engagierte in ganz Sachsen sahen sich in diesem Jahr mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Probleme im Bereich Integration, der massive Anstieg rassistischer Einstellungsmuster und Demonstrationen sowie das Erstarken des Rechtspopulismus. Auf den drei Regionaltreffen im November 2016 diskutierten wir mit den Teilnehmenden daher konkrete Ideen wie wir diesen Entwicklungen mit vereinten Kräften begegnen können. Wir danken dem BfDT dafür, dass sie diese anregenden und fruchtbaren Treffen mit ermöglicht haben.

Welche konkreten Projektpläne haben Sie im kommenden Jahr?

Vorbehaltlich der Förderung planen wir 2017 eine Fortführung der TolSax On Tour, bei der wir im intensiven Austausch die Probleme und Bedarfe zivilgesellschaftlich Engagierter der breiten Öffentlichkeit vorstellen. Ihre Anregungen werden wir in der Veranstaltungsreihe TolSax Konkret umsetzen, die neben dem fachlichen Austausch insbesondere konkrete Weiterbildung bieten wird. Auf einer großen Dialogkonferenz im Herbst diskutieren Vertreter/-innen aus Zivilgesellschaft, Politik, Wissenschaft und Kunst die Herausforderungen durch den Rechtsruck der Gesellschaft – und wie die Demokratie gestärkt werden kann. Auch 2017 werden wir uns dafür einsetzen, dass zivilgesellschaftliches Engagement gestärkt und befördert wird – und nicht behindert. Wir sehen einen akuten Handlungsbedarf bei Politik und Verwaltung, auf lokaler wie sachsenweiter Ebene, die Probleme endlich ernst zu nehmen und langfristige Strategien für die Bekämpfung der rassistischen Grundstimmung im Freistaat zu entwickeln. Sehr gerne stehen wir dafür mit unserer langjährigen Erfahrung beratend zur Seite.

Weitere Informationen zum Netzwerk finden Sie unter Interner Linkwww.tolerantes-sachsen.de.