23.08.2016
Interview mit Ahmad Mansour
Der BfDT-Botschafter 2016 und Islamismus-Experte spricht über Gründe von Radikalisierungen und was präventiv dagegen getan werden sollte
Ahmad Mansour ist Diplom-Psychologe und lebt seit 2004 in Deutschland. Er kommt aus Tira, einem kleinen arabischen Dorf in Israel. In seiner Jugend beinahe selbst radikalisiert, zählt er heute zu den wichtigsten Islamismus-Experten Deutschlands, beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Extremismus, die Demokratie und Toleranz fördern und führt Schulungen zu möglichen Präventionsansätzen gegen Radikalisierung und Unterdrückung durch. Gleichzeitig fordert er eine innerislamische Auseinandersetzung mit fundamentalistischen Strömungen. Hervorzuheben ist sein Engagement als Gruppenleiter des Projekts "HEROES - Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre".Als junger Palästinenser sind Sie beinahe radikalisiert worden. Wie kam es dazu und warum haben Sie sich davon abgewendet?
Als Jugendlicher war ich unzufrieden. Ich war Streber, wurde gemobbt und hatte kaum Freunde. Meine Lehrer haben das nicht gemerkt, der Imam aber fragte mich, ob ich in seine Koranschule kommen wolle. In dieser neuen Gruppe fand ich Geborgenheit, wurde akzeptiert und bekam das Gefühl, zu einer Elite zu gehören. Dazu bekam ich eine Aufgabe, eine Mission und die Möglichkeit gegen meine Eltern zu rebellieren. Am Anfang war alles harmlos. Aber mit der Zeit entwickelte ich Feindbilder und begann beispielsweise meine Nachbarin zu verachten, weil sie kein Kopftuch trug. Meine Rettung war, dass ich beim Psychologiestudium an der Universität Tel Aviv Bücher zu lesen begann und beim Diskutieren mit jüdischen Studenten merkte, dass sie gar keine Feinde sind. Zu dieser Zeit habe ich angefangen, meine bisherigen Haltungen kritisch zu hinterfragen. Und ich war neugierig auf das Leben in Tel-Aviv.
Sie nennen Radikalisierung ein Jugendphänomen. Warum?
Radikalisierung betrifft vor allem Jugendliche zwischen 15 und 23, die auf der Suche nach Orientierung und Halt, nach Identität und Struktur in ihrem Alltag sind. Die Mehrheit der radikalen Islamisten spricht die Sprache dieser Jugendlichen. Sie sind da, wo die Jugendliche sind: zum Beispiel dort, wo sie Fußball spielen und in den Straßen herumhängen. Sie sprechen Themen an, die den Jugendlichen wichtig sind: Sie sprechen mit ihnen über Diskriminierungserfahrungen und Rassismus, den die Jugendlichen vielleicht tagtäglich erleben. Sie geben ihnen Perspektiven und die Möglichkeit neu anzufangen. Zudem sind sie natürlich auch online sehr präsent. Sie kennen sich mit den sozialen Netzwerken sehr gut aus und sind daher in der Lage, die Jugendlichen zu erreichen und einige auch zu gewinnen.

Was braucht es um Radikalisierungen zu verhindern?
Die Prävention ist als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen. Es braucht, was diese Problematik angeht, zuerst ein Umdenken in der Gesellschaft. Die Politik muss verstehen, welch große und langfristige Aufgabe vor uns liegt.
Wir brauchen Reformen an unseren Schulen. Der Fokus muss viel mehr als bisher auf Wertevermittlung, Menschenrechte und Demokratie gelegt werden. Unter unseren Jugendlichen müssen wir kritisches Denken fördern. Wir müssen unsere Lehrer/-innen besser ausbilden und darauf vorbereiten, mit den Lebenswelten dieser Jugendlichen zurechtzukommen. Sie sollten auch Fähigkeiten erlernen mit Radikalisierungstendenzen umzugehen und gegebenenfalls präventiv zu agieren. Wichtig ist ebenfalls, dass die muslimischen Communitys in Deutschland den Mut finden, eine innerislamische Debatte zu führen.
Seit 2007 sind Sie Gruppenleiter bei HEROES, einem Projekt gegen Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung. Erzählen Sie kurz von der Idee hinter Heroes und von den Zielen des Projekts.
Heroes richtet sich an Jugendliche aus sogenannten „Ehrenkulturen“. In diesen Familien und Kulturkreisen hängt die Ehre der Familie oft mit der weiblichen Sexualität zusammen. Dies führt nicht selten dazu, dass Frauen in den Familien kontrolliert und in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. In extremen Fällen könnte es sogar zu Gewalt und Mord führen. Mit diesen Jugendlichen arbeiten wir sehr intensiv und sehr lange bis bei ihnen ein Bewusstsein für Gleichberechtigung entsteht und aus ihnen Helden, also Heroes werden, die als Vorbilder andere Jugendliche erreichen und sie für Freiheit und Gleichberechtigung begeistern wollen.
Wir gehen mit den Heroes in Schulen überall in Deutschland und sprechen mit Jugendlichen über Gleichberechtigung und Unterdrückung im Namen der Ehre. Durch Rollenspiele und Diskussionen versuchen wir die Schüler dazu zu bewegen, ihre Vorstellungen von Gleichberechtigung, Geschlechterrollen und „Ehre“ zu hinterfragen. Wir geben Alternativen und Denkanstöße und zeigen, dass man aus diesem Kulturkreis kommen und trotzdem für sexuelle Selbstbestimmung sein kann.
Vor welchen Herausforderungen steht die islamische Gemeinschaft selbst?
Sie steht vor der Herausforderung eine innerislamische Debatte zu führen, die dazu führt, dass ein Islamverständnis etabliert wird, welches mit radikalen Tendenzen nichts zu tun hat. Das heißt, ein Islamverständnis, das ohne Wenn und Aber hinter Demokratie und Menschenrechten steht und nicht auf Angst und Angstpädagogik basiert, nicht auf Buchstabenglaube, nicht auf Geschlechterapartheid und nicht auf Feindbildern. Wir brauchen einen anderen Islam, den wir den Jugendlichen als Alternative zum radikalen Islam anbieten können.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Frieden, Zusammenhalt und Freiheit.
Für sein jahrelanges, vielfältiges Engagement hat das Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt (BfDT) Ahmad Mansour am 23. Mai 2016 beim Festakt zur Feier des Tages des Grundgesetzes als Botschafter für Demokratie und Toleranz 2016 ausgezeichnet.
Einen Film über ihn finden Sie

Im Oktober 2015 erschien sein erstes Buch "Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen".