15.08.2013

Herr Friehe, Präsident des Bundesamtes für Justiz im Gespräch über Opferhilfe

Härteleistungen für Opfer extremistischer Überfälle

Wir führten ein Gespräch mit Herrn Friehe, Präsident des Bundesamtes für Justiz, über die Opferhilfe


Herr Friehe, Präsident des Bundesamtes für Justiz
Herr Friehe, könnten Sie sich und Ihre Organisation bitte für unsere Leser/-innen kurz vorstellen? Was genau ist Ihre Aufgabe?

Das Bundesamt für Justiz, dessen Präsident ich bin, wurde am 1. Januar 2007 errichtet. Es hat seinen Sitz in Bonn und ist zentrale Dienstleistungsbehörde für die Justiz in Deutschland. Wenn Sie beispielsweise ein Führungszeugnis benötigen, bekommen Sie es vom Bundesamt für Justiz; denn wir führen das Bundeszentralregister, in dem alle strafrechtlichen Verurteilungen vermerkt werden. International kümmern wir uns darum, dass Unterhaltsberechtigte auch grenzüberschreitend ihren Unterhalt bekommen. Wir kümmern uns um Auslandsadoptionen oder auch um Kinder, die ins Ausland entführt wurden. Das „volle Programm“ kann man unter Interner Linkwww.bundesjustizamt.de nachlesen. Hier und heute ist besonders über die Härteleistungen zu reden, die Opfer extremistischer Übergriffe oder terroristischer Straftaten vom Bundesamt für Justiz erhalten. Herzlichen Dank, dass ich diese Aufgabe hier vorstellen darf.

Wer genau kann sich an Sie wenden? Wer hat einen Anspruch auf Härteleistungen?

An uns kann sich wenden, wer Opfer eines extremistischen Übergriffs oder einer terroristischen Straftat geworden ist. Dabei sind die Voraussetzungen für einen extremistischen Übergriff einfacher, weshalb hier der Schwerpunkt unserer Fälle liegt. Von einem extremistischen Übergriff sprechen wir dann, wenn jemand aus extremistischen Motiven heraus Opfer einer Körperverletzung, aber auch einer massiven Bedrohung oder Ehrverletzung geworden ist. Aus welcher „Richtung“ der Extremismus kommt, ist unerheblich; das Motiv kann also rechtsextrem, linksextrem, fremdenfeindlich, antisemitisch oder auch islamistisch sein.

Welche Schäden werden ersetzt?

Eine Härteleistung kann für Körperschäden und für Verletzungen des Persönlichkeitsrechts geleistet werden. Auch wenn man berufliche Nachteile erlitten hat, beispielsweise durch Lohnausfall, kommt eine Härteleistung in Betracht. Härteleistungen können darüber hinaus auch die Kinder oder andere Unterhaltsberechtigte eines Opfers erhalten, wenn das Opfer verstorben ist oder wegen Arbeitsunfähigkeit keinen Unterhalt mehr leisten kann. Sachschäden werden dagegen nicht erfasst. Die Härteleistung ist allerdings eher eine Hilfe, keine echte Entschädigung. Man darf nicht vergessen, dass es auch die Opferentschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz gibt. Als ergänzende Hilfe wird die Härteleistung regelmäßig pauschal gewährt. Wir leisten eine rasche, möglichst unbürokratische Einmalzahlung.

Warum machen Sie einen Unterschied zwischen terroristisch und extremistisch?

Das hat historische Gründe. Es gibt nämlich zwei Richtlinien, eine für die Opfer extremistischer Übergriffe, die andere für die Opfer terroristischer Straftaten. Die Richtlinie für die Opfer terroristischer Straftaten wurde 2002 erlassen, nach dem Terroranschlag in Djerba/Tunesien. Damals war es nicht möglich, den Opfern Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren; nur durch die Richtlinie konnte man den Betroffenen helfen. Mittlerweile ist das Opferentschädigungsgesetz erweitert worden; die damalige Lücke besteht heute nicht mehr.

Wie würden Sie den Unterschied in einfachen Worten erklären (damit Betroffene wissen, mit welchen Formularen sie sich an Sie wenden müssen)?

Um es vorweg zu sagen: Wir helfen natürlich auch dann, wenn das falsche Formular verwendet wurde. Wir füllen dann gemeinsam mit der antragsstellenden Person das richtige Formular aus. Wenn der Vorfall in Deutschland passiert ist, sollte man grundsätzlich die Härteleistung für einen extremistischen Übergriff beantragen. Die Voraussetzungen für einen extremistischen Übergriff sind, wie gesagt, einfacher; man bekommt die Härteleistung, ohne dass ein terroristischer Hintergrund der Tat geklärt werden müsste. Die Richtlinie zur Zahlung von Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten wird daher im Wesentlichen dann herangezogen, wenn die Tat im Ausland erfolgte, wie beim Anschlag in Djerba/Tunesien.

In welchen Fällen können Sie Zahlungen von Härteleistungen an die Opfer terroristischer oder extremistischer Straftaten leisten? In welchen Fällen ist es nicht möglich?

Es gibt drei wichtige Einschränkungen, wann Leistungen nicht gewährt werden. Die erste habe ich eben schon erwähnt: Es gibt keine Härteleistung für Sachschäden. Zweitens muss stets eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass dem Übergriff extremistische Motive zu Grunde lagen. Für einen rechtsextremen Übergriff reicht es nicht, dass ein Ausländer oder jemand, der so aussieht, körperlich verletzt wird. Man muss schon fragen, wie es geschah: Waren die Täter/-innen Rechtsextreme? Gab es ausländerfeindliche Drohungen oder beleidigende Äußerungen? Jedenfalls, wenn es so war, ist die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit gegeben. Und das Dritte: Lag der Vorfall in einer Zeit, in der die jeweiligen Richtlinien noch gar nicht galten, also vor 1999 beziehungsweise 2002, kommt eine Härteleistung nur sehr selten in Betracht.

Welche Nachweise müssen Betroffene erbringen, um von den Leistungen profitieren zu können?

Zunächst muss das Antragsformular ausgefüllt und unterschrieben werden. Man findet es auf unserer Internetseite, also Interner Linkwww.bundesjustizamt.de. Weiterhin ist es wichtig, ärztliche Unterlagen beizufügen; so können wir das Ausmaß des körperlichen Schadens einschätzen. Damit der Antrag zügig bearbeitet werden kann, ist es zudem hilfreich, wenn ein möglicherweise bereits ergangenes Strafurteil beigefügt wird. Um eine Soforthilfe zu bekommen, reicht auch eine Anklageschrift oder der Polizeibericht aus. Natürlich unterstützen wir die Betroffenen bei der Antragsstellung. Auf unserer Internetseite gibt es überdies ein Merkblatt in Deutsch, Englisch und Türkisch.

In den Richtlinien ist von Opfern die Rede. Zählen dazu auch Angehörige von Opfern?

Ja, durchaus. Das spielt auch praktisch zur Zeit eine große Rolle, nämlich bei den Hinterbliebenen der NSU-Morde. Wenn etwa Angehörige selbst gesundheitliche, zum Beispiel psychische Schäden davontragen, ist eine Härteleistung angebracht.

Wie „schnell und unbürokratisch“ kann die Hilfe für Opfer in der Regel geleistet werden?

In den klaren Fällen dauert es nur Tage, bis eine Soforthilfe geleistet wird. So war es bei den NSU-Fällen: Nachdem die Mord- und Anschlagsserie als solche erkannt war, gab es innerhalb von zwei Wochen die ersten Leistungen.

Wie viele Menschen nehmen die Härteleistungen bisher in Anspruch?

Die Zahlen schwanken je nach den traurigen Anlässen. Bezogen auf extremistische Übergriffe, erhalten wir im Durchschnitt etwas mehr als hundert Anträge pro Jahr. Bei den terroristischen Straftaten im Ausland hatten wir 2008 den letzten Höhepunkt; damals war der Anschlag in Mumbai/Indien.

Ist es nötig, dass die Möglichkeit der Härteleistungen in der Öffentlichkeit bekannter gemacht wird, oder denken Sie, dass das Programm dem Großteil der Gesellschaft bekannt ist und im Notfall auch genutzt wird?

Das Programm muss die Opfer erreichen, und natürlich wünsche ich, dass möglichst niemand Opfer eines extremistischen Übergriffs oder einer terroristischen Straftat wird. Wenn es aber passiert, müssen diejenigen das Programm kennen, die mit dem Opfer zu tun haben: Polizei, Staatsanwaltschaft, die Opferschutzeinrichtungen. Gerade über die Opferschutzeinrichtungen erhalten wir viele Anträge. Wir weisen daher Polizei, Staatsanwaltschaften und Opferschutzeinrichtungen jedes Jahr erneut auf die bei uns erhältlichen Leistungen hin. Nochmals möchte ich mich auch für die Möglichkeit bedanken, unsere Arbeit hier vorstellen zu dürfen. Übrigens hört unsere Arbeit nicht beim Opfer auf; wir melden uns anschließend bei den Tätern/-innen und nehmen diese in Regress. Wer nicht freiwillig zahlt, gegen den wird vollstreckt. In Richtung auf mögliche Täter/-innen möchte ich hier und heute sagen: Sie werden für jeden Schaden bezahlen müssen.