14.12.2011

Bundesweite Tagung in Schwerin

Engagiert gegen Extremismus – Für eine lebendige Zivilgesellschaft

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So landschaftlich reizvoll Mecklenburg-Vorpommern und so beschaulich-schön Schwerin ist, so unerwartet sind oftmals die Kontraste in dem nördlichen Bundesland. Umbrüche wie die Wendezeit, der demographische Wandel und Abwanderung, Globalisierung und der Einbruch des Arbeitsmarktes kennzeichnen Mecklenburg-Vorpommern ebenso wie seine kreative und lebendige Bürgergesellschaft und seine prosperierenden Tourismusregionen.

Im Schweriner Schloss, ehemalige Residenz der mecklenburgischen Großherzöge und seit Herbst 1990 Sitz des Landtags, kamen am 02. und 03. Dezember rund 60 engagierte Bürgerinnen und Bürger zusammen, um über die Anforderungen an Politik und Zivilgesellschaft im Einsatz gegen Extremismus, Gewalt und Ausgrenzung zu diskutieren. Silke Gajek, Landtagsabgeordnete der Grünen und Vizepräsidentin des Landtages, eröffnete die zweitägige Tagung und hieß insbesondere auch die bundesweit angereisten Vertreterinnen und Vertreter zivilgesellschaftlicher Initiativen und Verbände, wie z.B. dem THW oder dem Lokalen Aktionsplan Minden (LAP), herzlich willkommen. Markus Priesterath, Leiter der Themenbereiche Extremismus und Antisemitismus beim BfDT, griff in seiner Rede den Grund auf, warum die Wahl auf Schwerin als Veranstaltungsort fiel: „Vor exakt einem Jahr zeichneten wir hier im Schweriner Schloss fünf Projekte aus Norddeutschland für ihr zivilgesellschaftliches Engagement aus. Im landesweiten Bündnis „WIR. Erfolg braucht Vielfalt“ fanden wir genau den Partner, den es für eine solche bundesweite Tagung braucht. Mecklenburg-Vorpommern muss sich mit der Präsenz der NPD im Landtag und rechtsextremen Kräften in der Fläche auseinandersetzen und nimmt hier, durch das engagierte Gegenhalten demokratischer Kräfte, bundesweit und positiv besetzt eine Vorreiterrolle ein.“

Dass hier konsequent reagiert und präventiv agiert wird, verdeutlichten auch die im Anschluss an die Begrüßung auftretenden Teilnehmer des Podiums zum Thema „Handlungsfähige Gesellschaft“.

Julian Barlen, Abgeordneter des Landtags und Mitbegründer von „Endstation Rechts“ verwies immer wieder auf die Notwendigkeit des „druckvollen Hinsehens“, gerade angesichts einer realen Bedrohung demokratischer Grundwerte – nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Befragt welche Emotionen die Erkenntnisse über den „Nationalsozialistischen Untergrund" bei ihm ausgelöst hätten, sagte er - ebenso wie der Staatsekretär im Innenministerium Thomas Lenz, Jürgen Trepte vom Unternehmerverband und Markus Priesterath, dass ein solches Ausmaß nicht konkret vorstellbar gewesen wäre. Nur Ute Lindenau verwunderten die neuen Erkenntnisse nicht. Als Bürgermeisterin Lübtheens, einer 4500-Seelen-Gemeinde im Landkreis Ludwigslust-Parchim, muss sie sich seit Jahren mit dem Zuzug von Rechtsextremen auseinandersetzen. „Das sind fanatische Nazis. Die arbeiten 24 Stunden für ihre Partei“. Udo Pastörs, Landtagsabgeordneter für die NPD und Bundesvorsitzender seiner Partei, betreibt ein Uhren- und Schmuckgeschäft im Ort. Die Kinder rechtsextremer Eltern spielen in der Zwergengruppe des Sportvereins. Gemeinsam und kontrovers wurden Möglichkeiten des zivilen Gegenengagements diskutiert. Was braucht es um, erfolgreich gegen Rechts anzugehen? Wo mangelt es an Unterstützung? Wo treten Polaritäten politischer Gesinnungen zutage, die ein gemeinsames Vorgehen gegen Anti-Demokraten verhindern? Alle Beteiligten sprachen sich, trotz zum Teil gegenteiliger Anknüpfungspunkte, für ein geschlossenes Agieren der zivilgesellschaftlichen und parteipolitischen Kräfte gegen Rechts aus. Zum Schluss fragte die Moderatorin des Podiums, Mo Asumang, die eine Sequenz ihres Films „Roots Germania“ zeigte und sich zum Teil mit persönlichen Erfahrungen in die Diskussion einbrachte, was sich alle Beteiligten für die nähere Zukunft wünschen würden. Jürgen Trepte faßte den am häufigsten geäußerten Wunsch mit diesen Worten zusammen: „Wenn wir uns in fünf Jahren wieder treffen und nicht mehr durch die Sicherheitsschleuse im Eingang müssen, weil es die NPD nicht mehr gibt, dann hat sich mein Wunsch erfüllt.“

Am darauffolgenden Samstag wurden viele Aspekte der deutlich länger gehenden Podiumsdiskussion im Einstiegsreferat Hartmut Gutsches aufgegriffen und in den anschließenden Workshops vertieft. Gutsche, Leiter des Regionalzentrums für demokratische Kultur Nordvorpommern-Rügen-Stralsund, stellte als „Mann der Beratungs- und Bildungspraxis, nicht der Wissenschaft und Politik“ vor allem jene Fragen, die die zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort in ihrer Praxis beschäftigen: „Wie lebendig ist die Demokratie in unserem Land? Wie aktiv präsentiert sich ,die' Zivilgesellschaft und vor allem bei welchen Themen oder gar ,Aufregern' und schließlich was und wer ist Zivilgesellschaft in Deutschland?“ Das Fazit, das viele nach seiner Rede zogen: Zivilgesellschaft ist stark und engagiert – doch kommt es vor allem auch darauf an jene mitzunehmen, die sich aus Desinteresse oder Enttäuschung aus dem politischen Leben herausziehen und „mal die anderen machen lassen“. Gutsche ging auf die Folgen jenes oft schwachen Zusammenhalts und mangelnden Für-Etwas-Eintreten ein: „Nationalistische und völkisch-autoritäre Strukturen bleiben wichtigste Nutznießer einer schwachen Bürgergesellschaft und profitieren von Defiziten der demokratischen Praxis.“

Was demokratische Praxis ist, wie dazu motiviert werden kann und welche strukturellen Voraussetzung dafür nötig sind, wurde in den anschließenden Workshops diskutiert. Ausschließlich Praktiker aus Beratungsnetzwerken, der Jugendfeuerwehr, des Präventionsrates Anklam oder des Landessportbundes nahmen sich die Zeit, z.B. der häufig gehörten Forderung nachzugehen: „Mach mal was – Zivilgesellschaft soll es leisten“ oder sie zeigten Möglichkeiten auf, in Zeiten knapper Kassen Projekte umzusetzen. Im vierten Workshop präsentierte der Ratzeburger Bürgermeister Rainer Voß zusammen mit Markus Priesterath zwei Best-Practice-Beispiele, konkret: gelungene Bündnisarbeit gegen Rechtsextremismus. Rainer Voß unterstützt als Bürgermeister aktiv die Arbeit des Ratzeburger Bündnisses, das im Jahr 2010 vom BfDT mit dem Preis „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet wurde. Dieser breite gesamtgesellschaftliche Zusammenschluss schaffte es, weite Teile der ortsansässigen Bevölkerung für kleinere und größere Aktivitäten gegen Rechts zu mobilisieren und damit das Vordringen Rechtsradikaler in einzelne Gremien, Vereine und Verbände zu verhindern. Das Wunsiedler Forum stand in der Präsentation Markus Priesteraths, Themenbereichsleiter beim Bündnis, im Vordergrund. Hier gelang es ebenfalls den demokratischen Kräften durch gemeinsames Handeln die massenhaften Aufmärsche internationaler und deutscher Rechtsextremer zu unterbinden. Das Wunsiedler Forum, das von der Stadt, dem Bündnis für Demokratie und Toleranz sowie dem landesweiten bayerischen Bündnis gegen Rechtsextremismus organisiert wird, vertieft zudem seit 2007 einzelne Aspekte in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in Dialogforen und Workshops. „Vor allem haben wir uns heute ausgetauscht, viele Fragen gestellt und gemeinsam analysiert, wo Knackpunkte im bürgerschaftlichen Engagement vor Ort bestehen, das heißt wo und wie wir stärker für demokratische Praxis motivieren können und welche Ideen Früchte tragen“, so einer der Teilnehmer des vierten Workshops.

Damit hat sich der zu Beginn von den Teilnehmern im offenen Dialogforum geäußerte Wunsch erfüllt, die zwei Tage in Schwerin für den Blick über den Tellerrand zu nutzen, voneinander zu lernen und gestärkt in die eigenen Vereine und Initiativen zurückzugehen. „So ratlos der Einzelne in solchen Momenten der Konfrontation mit Gewalt und Ausgrenzung ist, so wichtig ist es, sich Unterstützung zu holen und miteinander auszutauschen, denn umso leichter fällt einem dann das gemeinsame Handeln“, so Markus Priesterath zum Abschluss der Tagung.