16.12.2010
Erfolgreiche Vernetzung der Zivilgesellschaft gegen den Missbrauch historischer Orte und Daten durch Rechtsextremisten
Tagung auf der Wewelsburg am 10. und 11. Dezember 2010
Beeindruckend und wehrhaft erschien sicher den meisten Teilnehmern der Tagung „Missbrauch historischer Orte und Daten durch Rechtsextremisten“ die mittelalterliche Wewelsburg. Sie war nicht nur wegen ihrer historischen Bedeutung, sondern auch durch ihre Erinnerungs- und Gedenkstättenkonzeption der ideale Veranstaltungsort und Kooperationspartner für das Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) und das Ministerium für Inneres und Kommunales, Nordrhein-Westfalen, die gemeinsam die Tagung vorbereitet und durchgeführt haben.Welche wechselhafte Geschichte die Wewelsburg und der Kreis Büren, heute Kreis Paderborn, mit der Burg erlebten, berichtete Heinz Köhler, Kreisdirektor des Kreises Paderborn. Er führte die anwesenden Teilnehmer aus zivilgesellschaftlichen Initiativen und Bündnissen, Ordnungsämtern und Kommunen, aber auch Polizisten und Pädagogen durch die Jahrhunderte, um zum Schluss ausführlicher auf die Zeit des Nationalsozialismus einzugehen. „Es ist dem stetigen und hartnäckigen Einsatz eines jungen Mädchens hier vor Ort zu verdanken“, berichtete Köhler, „dass heute ein Mahnmal an die ermordeten Häftlinge des KZ Niederhagen erinnert. Die Wewelsburger können die Verbrechen zwischen 1933 und 1945 nicht verdrängen. Tag für Tag werden sie durch diese Burg an das Geschehene erinnert und zu einer Auseinandersetzung damit gezwungen.“
„So objektiv und konkret greifbar Orte und Daten erscheinen mögen, so wenig sind sie es im Alltag“, führte Dr. Gregor Rosenthal, Geschäftsführer des BfDT, in seiner anschließenden Rede an. „Geschichte ist stets auch ein Teil unseres kollektiven Gedächtnisses, ein Stück erfahrener Identität.“. Die Auseinandersetzung mit Orten wie der Wewelsburg, aber auch Dresden, den Rheinwiesen von Remagen oder das Winckler-Bad in Bad Nenndorf ist oft schwierig. Jahrelange war die Wewelsburg, als ein Beispiel, eine Pilgerstätte der Rechten in Deutschland. Mit einer rigiden Hausordnung, die unter anderem das Tragen rechtsextremer Symbole oder das Zeigen des Hitlergrusses ausdrücklich verbietet, konnten diese Besuche seit dem Jahr 2006 weitestgehend unterbunden werden. Als gelungene Beispiele der Verdrängung von Rechtsextremen und der Besetzung von Themen, Daten und Orten durch Demokraten, nannte Rosenthal die Stadt Wunsiedel als langjährigen Kooperationspartner des BfDT und das zivilgesellschaftliche Engagement in Bad Nenndorf. „Durch kreative Ideen und das Zusammenarbeiten aller Akteure vor Ort konnte die Stadt Wunsiedel die jährlichen Hess-Gedenkmärsche unterbinden und mit dem Wunsiedler Forum wurde eine bayernweite Plattform für das dauerhafte Engagement gegen rechte Aufmärsche und Aktionen etabliert.“ Das Urteil zu Wunsiedel ist heute noch Bezugspunkt für viele Gemeinden und Kommunen in Deutschland, die rechte Aufmärsche verhindern wollen.
Gleich im Anschluss an die offizielle Begrüßung gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung in den Nordturm der Wewelsburg. Dieser ist mit seinem Obergruppenführersaal und der Gruft für Rechtsextreme ein nahezu sakraler Ort. Durch kreative Kniffe jedoch kehrt das Kreismuseum Wewelsburg diese Überhöhung u.a. der schwarzen Sonne im Obergruppenführersaal ins Lächerliche um. Orangene Sitzkissen liegen auf dem Symbol, das von Rechtsextremen gerne als nicht strafbarer Ersatz für das Hakenkreuz verwendet wird. Ein Ausstellungsführer des Kreismuseums berichtete zudem von kleinen Begebenheiten, die ihm schnell zeigen, wer unter den Besucher zu diesem Symbol eine besondere Bindung hat: „Wenn ich mich, meinem Publikum zugewandt, immer mehr mit den Schuhen der schwarzen Sonne nähere, sehe ich oft in ein oder zwei Gesichtern einen verzerrten Ausdruck, der mir schnell deutlich macht, dass dieser Mann oder diese Frau die Sonne nicht mit Schuhen getreten sehen will.“ Das Kreismuseum Wewelsburg konzipierte seine Ausstellung, die über die Ideologie und den Terror des NS-Systems aufklärt, zudem so, dass die Besucher der Burg erst durch die Ausstellung „Wewelsburg 1933-1945“ gehen müssen, bevor sie, stets geführt, in den Nordturm gehen dürfen.
Am frühen Samstagmorgen war es BfDT-Beiratsmitglied Professor Dr. Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, der den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen bundesweiten und wissenschaftsbezogenen Überblick über die Thematik „Missbrauch historischer Daten und Orte durch Rechtsextremisten“ gab und dabei stets pointiert-humorvoll verschiedene Orte und die Denkweisen von Rechtsextremisten aufzeigte. Dabei wurde deutlich: Verklärende rechte Denkweisen mögen lächerlich wirken. Sobald sie jedoch die Köpfe der Menschen erreichen und einen kollektiven Sinn stiften, können sie in jedem Ort dieses Landes zu einer Gefahr werden, denn, so später der Geschäftsführer des Bündnisses „wenn die Bürgerinnen und Bürger dieser Orte wegschauen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der ein oder andere diese Logik als Realität begreift und sich für den vermeintlichen Mut und die Kameradschaft der Rechtsextremen begeistert“.
Mit einem umfassenden Überblick gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann in die insgesamt fünf Workshops. Die Entscheidung für einen der Workshops fiel schwer, denn sie deckten Probleme und Fragestellung ab, die sich für alle Engagierten vor Ort im Alltag ergeben. So entschieden sich viele Anwesende für den Workshop „Rechtsextreme Kampagnen im Internet und die mediale Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten im Netz“, den die Chefredakteurin von netz-gegen-nazis.de Simone Rafael und ihr Kollege Joachim Wolf leiteten. Der anfängliche Input und der dann folgende Praxisteil sollten vor allem dazu animieren sensibler auf Beiträge und Texte im Netz zu reagieren, wachsam zu sein und selbst zivilgesellschaftlich aktiv im Netz zu werden. Das Jenaer Aktionsnetzwerk stellte in einem weiteren Workshop seine Aktionsformen und das Leitmotiv „Sagen was wir tun, und tun, was wir sagen“ dar und rief dabei durchaus auch Kontroversen hervor. Diese trugen dazu bei, dass Akteure aus Dortmund, aus Dessau oder aus Vlotho sich mit unterschiedlichen Vorgehensweisen auseinandersetzten, um neue Ideen mitzunehmen, aber vielleicht auch einige in anderer Form umzusetzen. In ihrem Workshop „Der 1. Mai: Die soziale Frage als Kampagnenthema des Rechtsextremismus“ griffen Dr. Thomas Grumke und Thomas Pfeiffer vom Innenministerium Nordrhein-Westfalen die Problematik der Besetzung von sozialen Themen auf. „Der 1. Mai wird immeröfter von den Rechtsextremisten besetzt. Mancherorts sind dann mehr Teilnehmer bei einer Neonazi-Demonstration als auf einer Gewerkschaftskundgebung“, so einer der Workshopteilnehmer im Anschluss. Dass es wichtig ist, die soziale Frage nicht den rechten Kräften zu überlassen, machten die Referenten auch an diesem 1. Mai als Datum fest.
Abschließend kamen alle Referenten, Teilnehmer und Veranstalter in einem Plenum zusammen, um die wichtigsten Ergebnisse festzuhalten. Diese werden in den kommenden Monaten durch das BfDT noch einmal aufbereitet und sollen im Frühjahr als Praxishandreichung allen Interessierten zugänglich gemacht werden, denn das Thema brennt nicht nur den rund 70 Anwesenden unter den Nägeln. „Es hat sich gezeigt, dass Rechtsextreme dort den Rückmarsch antreten, wo ein starkes und umfassendes zivilgesellschaftliches wie kommunales Engagement sowie praktikable Konzepte vorhanden sind“, fasste Gregor Rosenthal das Ziel dieser Tagung auf der Wewelsburg bei Paderborn zum Schluss zusammen.