15.12.2010
Der mündige Bürger ist das Zentrum der Demokratie
150 Jahre Hugo Gaudig – Internationales Symposium am 9. Dezember 2010 in Leipzig
Vor 87 Jahren stand der Leipziger Reformpädagoge Hugo Gaudig vor seinen SchülerInnen. Es war der Tag seiner Verabschiedung in den Ruhestand. Mit sorgenvollen Augen blickte er in die vielen bekannten Gesichter und sagte: „Die Jugend der ‚Jugendbewegung’ rufte zu selbstverantwortlichem Tun auf und endet damit, sich dem autoritären Willen eines Führers zu unterwerfen! Von ihm, dem Führer, wird’s abhängen, was in der Zukunft aus unserem Volke wird; so stiehlt sich die Jugend aus ihrem Herzen das Gefühl der Selbstverantwortlichkeit, den Willen zu einem gemeinsamen Handeln, zu dem jeder einzelne sein Bestes beisteuert, bei dem jeder einzelne nicht auf den Befehl des Führers wartet, sondern dem Befehl seines Herzens gehorcht.“ Einige Jahre später wurde das 3. Reich proklamiert und die Ansätze und Methoden einer demokratischen Reformpädagogik im Sinne Gaudigs verhallten ungehört.Am 9. Dezember 2010 kamen mehrere dutzend Menschen im Festsaal des Neuen Rathauses in Leipzig zum Internationalen Symposium „150. Geburtstag - Hugo Gaudig“ zusammen: Nicht nur um der Persönlichkeit Hugo Gaudigs zu gedenken, sondern auch um das, was ihm als brennenden Demokraten wichtig war, wieder der breiten Öffentlichkeit zu zuführen. Dies, so Dr. Gregor Rosenthal, Geschäftsführer des Bündnisses für Demokratie und Toleranz (BfDT), sei einer der Gründe, warum das Bündnis sich hier und heute auf vielfache Art einbringt. „Sehen Sie es mir nach, wenn ich heute Gaudigs Thesen und Methoden von den zahlreichen Experten vorstellen lasse. Ich möchte meinen Blick auf seine Leistungen für die Demokratieerziehung richten und dabei hervorheben, wie mannigfaltig Menschen heute in ganz Deutschland seine Ideen ehrenamtlich umsetzen.“ So verwies Rosenthal in seiner Rede auf Gaudigs Wirken in Leipzig und europaweit und setze seine Vorstellung vom mündigen, selbstkritischen wie aufgeweckten Bürger in den Kontext des Schulmuseum Leipzigs, dem Kooperationspartner des BfDT bei diesem Symposium. „Sie, Frau Urban, führen als Leiterin des Schulmuseums gemeinsam mit ihren Mitarbeitern, den Kindern und Jugendlichen vor Augen, wie kostbar die Erfahrungen der vormaligen Generationen sind. Und was es bedeutete, zur Zeit der Weimarer Republik, der NS-Diktatur und der DDR-Zeit in die Schule zu gehen und Kind zu sein.“ Exemplarisch nannte Rosenthal dabei die Namen von Dr. Werner Teumer, Reinhard Kuhrts und Dietmar Wachtel, die als Zeugen dieser Zeit in der Ausstellung „Gegen den Strom – Schule im Widerstand“ des Schulmuseums Leipzig angeführt werden: „Sie gerieten durch ihre Flugblattaktionen in Gefahr oder wurden durch ihre regimekritischen Jugendstreiche um ihre berufliche Zukunft gebracht.“ Jeder von ihnen ist nach seinen Möglichkeiten regimekritisch aktiv geworden – selbst wenn damit Repressalien und Verfolgung verbunden waren. Immer wieder sind es die einzelnen Menschen, die bis heute unsere Gesellschaft prägen, indem sie Verantwortung für den Staat und seine Bürger übernehmen.
So wie die Ehrenamtlichen der beiden Vereine in Hamburg und München, von denen Rosenthal zum Schluss berichtete. „Leseleo e.V.“ fördert mit seinen Lesepatenschaften die Entwicklung und das schulische Fortkommen von Kindern, die häufig in ökonomisch schwachen Wohnvierteln leben und deren Eltern durch eigene Sprachbarrieren das Fördern der Lesekompetenz schwerer fällt. Diese Kinder erfahren in diesen für sie kostbaren Stunden, welche Welten sich durch Bücher öffnen, aber auch, dass es Menschen gibt, die sich mit viel Zeit nur für sie engagieren. „NEIN heißt NEIN“ ist ein Theaterstück des Münchner „Power-Child e.V.“. Zusammen mit dem Grenzzieher Linus gehen die Kinder auf die Suche nach ihren eigenen Grenzen und erfahren dabei schon im frühen Alter wie wichtig es ist, für seine Ansichten und Wünsche einzutreten. Demokratieerziehung muss bereits bei den Jüngsten dieser Gesellschaft beginnen.
Besonders ergreifend machte dieses Symposium die Anwesenheit der Enkelin des Pädagogen Hugo Gaudig, Hella Bauer. Gemeinsam mit ehemaligen und zum Teil hochbetagten Schülerinnen Gaudigs, erinnerte sie an ihren Großvater und gab dem zu Teilen auch wissenschaftlichen Symposium eine persönliche Note.
