08.07.2011
„Verzweifeln Menschen nicht auch an unserer Demokratie?“
Das 3. Wunsiedler Forum ging erfolgreich zu Ende
Am 13. Oktober 2010 kamen rund 100 Teilnehmer aus ganz Bayern im oberfränkischen Wunsiedel zusammen, um über das Thema des Tages „Wie viel Demokratiefeindlichkeit muss die Demokratie zulassen?" kontrovers zu diskutieren. Das Forum wird jährlich gemeinsam von der Stadt Wunsiedel, dem BfDT und dem Bayerischen Bündnis für Toleranz und Menschenwürde organisiert.„Diese Thematik am heutigen Tag ist eine, zu der es sich leidenschaftlich diskutieren lässt. Ich stelle mir dabei häufig die Frage: Verzweifeln Menschen nicht auch an unserer Demokratie?" Mit diesen Worten eröffnete Karl-Willi Beck, Erster Bürgermeister Wunsiedels, das 3. Wunsiedler Forum und zeichnete damit den Verlauf der folgenden Debatten vor. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen sehr aktuelle und vielschichtig zu beantwortende Fragen: „Welche Grenzen werden der Demokratie gesetzt, wer setzt sie und warum und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für das praktische Engagement für eine starke Demokratie?"
Vielschichtigkeit war dann auch der Ansatz und das Ziel der drei Veranstalter des Wunsiedler Forums. Sowohl die Stadt Wunsiedel als auch das Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) und das Bayerische Bündnis für Toleranz und Menschenwürde erkannten die Brisanz der Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse von Justiz, Polizei und den Verwaltungsorgane für all jene, die entweder diese Entscheidungen treffen und abwägen müssen oder die auf der Seite der Demonstranten und bürgerschaftlich Engagierten stehen. Wer vermutete, dass dieses Thema einen drögen Einschlag haben könnte, wurde in den sieben intensiven Stunden des Forums eines Besseren belehrt.
In seiner Eröffnungsrede betonte Dr. Gregor Rosenthal, Geschäftsführer des BfDT, dann auch zum einen den intensiven Austausch des Forums, das einen bundesweiten Modellcharakter hat, und verwies zum anderen auf den nachträglichen Gewinn der Foren bisher. Nicht nur gibt es einen konstanten Dialog unter den Entscheidungsträgern der Region, sondern die Themen sprechen auch jene MultiplikatorInnen an, die dann die Ergebnisse der Workshops und Vorträge in ihre Bündnisse vor Ort tragen. Dabei, so Rosenthal, einigen sich alle Teilnehmer auf eine faire Debatte und betont in Hinblick auf das Thema des Tages, dass es „heute nicht um Justizschelte oder Vorwürfe geht, die uns im Übrigen auch nicht zukommen. Es geht zu allererst darum, die Entscheidungen und Handlungskriterien des anderen nachvollziehen zu können." „Justizentscheidungen und Urteile", so Rosenthal, „haben immer auch eine soziale Komponente." Sie werden zur alltagsnah erlebten Praxis. Sie zu erklären und damit eine „Basis zu schaffen" ist die notwendige Voraussetzung um „Verständnis auch für unliebsame Entscheidungen" zu wecken.
Diesen Ansatz konnte auch Andrea Breit, Richterin und Pressesprecherin am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München, nur unterstützen: „Ich bin sehr froh, vor Ihnen heute sprechen zu können und damit die Möglichkeit zu erhalten, Verständnis zu wecken für die Feinheiten und Gründe unserer Entscheidungen." Denn, so Breit, es gehe nicht darum ausschließlich die Rechte des einen oder des anderen zu wahren, sondern darum, die Grundrechte jedem Menschen in unserem Land zu garantieren. Reinhard Kunkel, Polizeipräsident Oberfrankens, nahm diesen Gedanken auf und verwies mit Nachdruck auf den Umstand, dass hinter den Uniformen immer auch Menschen stehen, die „keine Meinungen vertreten oder alleinig schützen, sondern die in diesen Momenten für die Grundrechte eines jeden Bürgers eintreten." Er betonte dabei deutlich, dass für ihn „Demokratie und Feindlichkeit zwei Begriffe sind, die nicht zusammen gehören".
Mit dem Jenaer Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter und Michael Helmbrecht, ehemaliger Sprecher der Bürgerforums Gräfenberg und nunmehr stellvertretender Vorstand der Allianz gegen Rechtsextremismus der Metropolregion Nürnberg, gewannen die Veranstalter zwei Persönlichkeiten, die sich in den vergangenen Jahren immer wieder rechtsextremen Aufmärschen entgegen stellten. Der Bürgermeister Jenas tritt selbst bei Gegendemonstrationen als Bürger auf, um jenen Mut zu machen, die noch unentschlossen sind. Michael Helmbrecht, der schilderte, wie Rechtsextreme sein Konterfei und das einer Mitstreiterin auf Handzetteln verbreiten, wendet sich immer wieder fragend an die Vertreter der Justiz und Polizei auf dem Podium und fordert von den Entscheidungsträgern mehr Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte der Zivilgesellschaft. Als Bürgermeister Schröter dann ein Bild mit seinem Portrait mit dem Untertitel „Wanted - Dead or Alive" zeigt, das an Jenaer Hauswände gesprüht wurde und zugleich von den „Sprengkräften in unserer Gesellschaft" spricht, die zu solchen Aktionen führen, stimmen viele aus dem Plenum zu. Dennoch, so Schröter in seinem Schlussstatement, „dürfen Demokratinnen und Demokraten nicht die gleichen Mittel anwenden, mit denen Nazis arbeiten. Best-Practice-Beispiele wie Gräfenberg und Wunsiedel, die beide vom BfDT ausgezeichnet wurden, zeigen deutlich, wie das Engagement für Demokratie und Toleranz in der Praxis funktionieren kann."
Vom Podium wurden die Themen dann in die Workshops getragen. Hier erhielten die Forumsteilnehmer die Möglichkeit die Podiumsgäste direkt auf ihre Situationen vor Ort anzusprechen und Probleme kritisch zu hinterfragen. Im ersten Workshop, den Dr. Gregor Rosenthal leitete und den Michael Helmbrecht als Fachreferent unterstützte, trafen Akteure verschiedenster Bündnisse aus Weiden, Schweinfurt, Fürth und Gräfenberg zusammen um zu der Frage „Müssen unsere Bündnisse für alle offen sein?" zu diskutieren. Dabei wurde deutlich, dass der Pluralismus eines Bündnisses eine Vorbedingung sein muss, aber auch zu Auseinandersetzungen führen kann. Dennoch, und darüber waren sich die Diskutanten einig, ist es wichtig eine demokratische Diskussionskultur zu schaffen und gleichzeitig Grenzen aufzuzeigen. Eine dieser Grenzen ist dabei die Gewaltfreiheit. Weitere Grenzen können sich auch im strukturellen Bereich befinden. So berichteten zwei der Bündnisvertreter, dass die Rolle des Sprechers für sie eine entlastende und kontinuierliche Funktion hat. Rudolf Schäfer, Sprecher des Gräfenberger Bürgerforums, gab den Workshopteilnehmern zum Schluss einen Tipp mit auf den Weg: „Es ist wichtig interne Prozesse eines Bündnisses aufmerksam zu begleiten. Das Bürgerforum Gräfenberg engagierte dafür eigens einen Supervisor und auch Weiterbildungen bringen die eigene Arbeit voran."
Die eigene Arbeit voran bringen, die thematische Weiterentwicklung des Forums garantieren und die Eindrücke und Anregungen der Teilnehmer einfließen zu lassen, war dann auch Ziel und Zweck des Abschlussplenums. Sowohl die Teilnehmer als auch die Veranstalter konnten dabei zum Schluss eine Idee gemeinsam vertiefen: Im nächsten Jahr soll die Rolle der Medien verstärkt in den Blickpunkt genommen werden. „Medien", so Reinhard Kunkel, „transportieren bestimmte Bilder und Rollenverständnisse". Die Prozesse dahinter zu beleuchten, Vertreter der Medien zu Wort kommen zu lassen und gemeinsam in den Dialog zu treten, sind dann die Ziele der Veranstalter für das Wunsiedler Forum 2011.
