12.08.2010
Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 31. Juli 2010 in Hannover
Mutterkreuz und Autobahn – Rechtsextremismus und Geschichtsmythen
Mythen und Halbwissen werden manchmal zu handfesten Ansichten und Meinungen. Das kann gefährlich sein, insbesondere wenn dieser Effekt durch extremistische Gruppen instrumentalisiert wird. Immer wieder versuchen Rechtsextreme, Geschichte und geschichtsträchtige Orte in ihrem Sinne umzudeuten und zu relativieren. Diesem sensiblen Thema widmete sich eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 31. Juli 2010 in Hannover. Hauptreferent war Prof. Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin und Beiratsmitglied des Bündnisses für Demokratie und Toleranz (BfDT). Aber auch auf der anderen Seite des Rednerpults war das BfDT vertreten: Der stellvertretende BfDT-Geschäftsführer und Leiter der Themenbereiche Extremismus und Antisemitismus Markus Priesterath nahm ebenfalls an der Multiplikatorentagung teil.Nach der Einführung durch Landtagsabgeordnete Sigrid Leuschner hielt Prof. Benz seinen Vortrag „Kraft durch Freude, Mutterkreuz und Autobahn: Mythen über das Dritte Reich“. Viel Aufschlussreiches konnten die 130 Tagungsgäste daraus erfahren, über das Geschichtsbild der rechtsextremen Szene ebenso wie über Geschichtsmythen, die über deren Grenzen hinaus verbreitet sind. Benz plädierte für einen kritischen Umgang mit historischen Fakten und wies auch auf die Rolle der Medien bei der Mythisierung hin. Durch sie erlangten beliebige Zeitzeugen demnach leichter das Mitgefühl und den Glauben von Zuschauern und Lesern als die Forschungen anerkannter Wissenschaftler. Praktisch wurde dieses Phänomen im Anschluss von Steffen Holz, Regionssekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Niedersachsen-Mitte, am Beispiel des Wincklerbads in Bad Nenndorf beschrieben. Das Wincklerbad blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, nach 1945 war es unter anderem ziviles Internierungslager für Naziverbrecher. Heute wird es von Rechtsextremisten als Ort alliierter Verbrechen stilisiert. Jedes Jahr wächst die Zahl der Teilnehmer am Trauermarsch, der dort von rechtsextremen Gruppen veranstaltet wird.
Um ihre Version der Geschichte an den Mann zu bringen, schwankt die Taktik der Rechtsextremen zwischen Leugnung und Relativierung, Beschönigung und Verherrlichung. Mit klaren Argumenten dagegen vorzugehen ist nicht immer einfach. Deshalb erhielten die Teilnehmer im Anschluss an die Referate die Möglichkeit, sich in fünf verschiedenen Workshops aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Schwerpunkte waren unterschiedlich gesetzt, zum Beispiel auf Werbeaktionen und -taktiken der rechten Szene, mediale Berichterstattung, die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft und auch auf ganz konkrete Beispiele für die Besetzung historischer Daten und Orte durch Rechtsextremisten. So konnten sich die Teilnehmer, die sich aus einer heterogenen Gruppe von Politikern, engagierten Bürgern und Interessenvertretern zusammensetzten, je nach eigenem Interesse und Arbeitsschwerpunkt dem Thema nähern. Dass großer Informationsbedarf besteht, wurde dabei sehr deutlich. Die Teilnehmer machten zwei Haupthandlungsfelder aus: Zum einen dürften Naziaufmärsche und die Vereinnahmung öffentlicher Räume durch Rechtsextreme kein lokales Problem bleiben, das Engagement dagegen müsse sich stärker vernetzen. Zum anderen müssten gefährdete Orte ausgemacht und ihr historisches Umfeld kritisch und wissenschaftlich aufgearbeitet werden, um der rechten Propaganda etwas entgegensetzen zu können.
An beiden Punkten möchte das BfDT ansetzen. „Der Wunsch der Zivilgesellschaft nach Hintergrundwissen, Austausch und stärkerer Vernetzung beim Kampf gegen Neonazis ist sehr vehement“, fasst Markus Priesterath die Ergebnisse zusammen. „In Hannover konnten wir erste Gesprächsangebote machen und Impulse geben.“ Auf der Tagung habe man wertvolle Erfahrungen machen können. Die werden sich sicher bezahlt machen: Im zweiten Halbjahr 2010 wird das BfDT Transferseminare durchführen, die sich mit ebendiesen Ansätzen befassen werden.
