14.07.2010

Antiziganismustagung des Zentrums für Antisemitismusforschung am 9. und 10. Juli 2010

„Man sagt, aus Hund wird kein Speck, aus Zigeuner kein Mensch“

Diese Wiedergabe eines Sprichwortes stammt von einem rumänischen Kind, das von der Wissenschaftlerin Esther Quicker wie viele andere Kinder aus drei rumänischen Landkreisen gebeten wurde in einem Aufsatz niederzuschreiben, was es über Roma und Sinti denkt. Esther Quicker war eine von vielen Wissenschaftler und Praktikern, die sich am 9. und 10. Juli im Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin trafen. Die Tagung war mit dem Titel überschrieben „Antiziganismus: Vorurteil und Diskriminierung“ und gab damit nicht nur den Inhalt vor, sondern griff auch die Schwierigkeit der definitorischen Präzision auf. So steht der Begriff „Antiziganismus“ durchaus in der Debatte, vom oft pejorativ genutzten „Zigeuner“ ganz zu schweigen. Das Beiratsmitglied des Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung Prof. Wolfgang Benz wies darauf hin, dass dieser Begriff stets in Anführungsstrichen zu denken sei.

Im Mittelpunkt der Tagung stand die Situation der Roma und Sinti in Rumänien. Dabei nutzten die Vortragenden sowohl aktuelle als auch historische Quellen. So erfuhren die Gäste der Tagung, dass Roma und Sinti unter der Habsburger Monarchie Rechtlose waren. Teilweise wurden sie wie Sklaven gehandelt, verkauft oder „vererbt“. Petre Matei aus Bukarest berichtete über die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und konnte hier von einer interessanten Umkehrung der Verhältnisse im Vergleich zu heute berichten. So wäre der Antiziganismus in den Jahren zwischen 1918 und 1933 vergleichsweise geringer gewesen als der Antisemitismus. Heute hätte sich dieses Verhältnis komplett gedreht. Auch Prof. Wolfgang Benz wies auf Parallelen der Ablehnung und Diskriminierung beider Minderheiten hin. Als eine der Anwesenden im Publikum bei dem Vortrag von Adriana Tutura vom Zentralrat der Sinti und Roma in Heidelberg kritisch fragte, ob nicht beide Seiten – Roma wie Rumänen – aufeinander zugehen müssten, verwies Benz auf die Komplexität der Zusammenhänge. Es sei ein „naiver Denkfehler“ zu glauben, eine Minderheit müsse sich nur Liebkind machen und die Probleme seien damit behoben. Auch die jüdischen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland vor 1933 hätten immer wieder darauf hingewiesen, dass sie zu dieser deutschen Nation gehörten, dennoch wurden sie verfolgt und ermordet. Es kommt bei diskriminierenden Prozessen darauf an, dass die Mehrheit begreift, dass sie integrativ und nicht ausgrenzend wirken muss.

Der sehr aktuelle und praxisnahe Beitrag von Adriana Tutura stieß im Verlauf des ersten Tagungstages dann auch auf ein großes, zum Teil sehr differenziertes Echo. „In Rumänien“, so Tutura, „leben 1,2 bis 2,5 Millionen Roma und Sinti. Auch wenn Erfolge in der Bildungssituation zu verzeichnen sind, ist die soziale Lage der meisten von ihnen mehr als prekär.“ 66%, so Adriana Tutura, würden in Armut leben, 20% sogar in extremer Armut. Die Frage der Bildung griff auch Esther Quicker auf. Sie promoviert zu der Frage, wie sich Vorurteile gegenüber Sinti und Roma auf die junge Generation übertragen. Dabei stellte sie durch ihre Befragungen und Aufsätze Erstaunliches fest. Zum einen sind es vor allem Kinder der gut verdienenden Mittel- und Oberschicht, die starke Ressentiments gegenüber Roma und zum Teil auch Ängste äußern. Mit den Begründungen, sie würden aus Brennpunkten kommen und könnten das Klassengefüge stören bis hin zu Vorabstigmatisierungen wie „die Kinder sind dumm“ oder „die Kinder sind behindert“ wird Romakindern der Zugang zum rumänischen Schulsystem verwehrt. Die Separation verstärkt jedoch die Kluft und die Vorurteile zwischen Roma und Rumänen. Esther Quicker dazu: „Die Schule ist der wichtigste Ort für persönliche Kontakte zwischen Roma und Rumänen. Je stärker die Kinder miteinander in Berührung kommen, desto weniger äußern sie Vorurteile gegenüber ihren Schulkameraden.“

Dass Vorurteile jeglicher Art gegenüber den Roma und Sinti - nicht nur in Rumänien - sich durch alle Lebensbereiche ziehen, wurde auch in den weiteren Vorträgen und anschließenden Diskussionen der Tagung thematisiert.


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