16.06.2009

Deutschstunde. Lesen aus verbrannten Büchern 2008? - Protestaktion gegen eine NPD-Veranstaltung

Foto: Bürgerprotest, Nordbahngemeinden
Foto: Verbrannte Bücher, Nordbahngemeinden
Foto: Lesung, Nordbahngemeinden
Von Angelika Stobinski (Nordbahngemeinden mit Courage e. V.)

Die Frage: „Kann man mit einer Lesung gegen Nazis protestieren?“, ist durchaus berechtigt. Wir von den Nordbahngemeinden mit Courage standen vor dem Problem, dass die NPD Oberhavel wieder in einer unserer Kommunen ihre Kader versammeln wollte. Wir suchten also nach einer Idee für eine mehrstündige, öffentlichkeitswirksame Gegenveranstaltung zu einer von der NPD geplanten Versammlung im von ihr bereits gemieteten Gemeindesaal in Zühlsdorf/ Mühlenbecker Land. In leichtfertiger Weise hatten Bürgermeister und Verwaltung der rechtsextremen Partei diesen Raum zur Nutzung zur Verfügung gestellt. Noch in der Hoffnung, es würde gelingen die NPD auszubooten und ihre Verwaltungsklage gegen die Kündigung des Raumes würde scheitern, meldeten wir für den gleichen Tag zur gleichen Zeit eine Veranstaltung in den Räumen an.

Zunächst dachten wir an einen Liederabend mit allen Chören und Gesangsfreudigen aus den Nordbahngemeinden Birkenwerder, Hohen Neuendorf, Mühlenbecker Land und Glienicke. Ein großes Potential von Kulturfreunden schien uns zur Verfügung zu stehen, um einen mehrstündigen Liederabend zu gestalten. Doch bereits erste Anfragen enttäuschten unsere hohen Erwartungen: Viele erwiesen sich nicht als die Couragiertesten und Willigsten für unsere Absicht, Gesicht zu zeigen. Sie befürchteten gewalttätige Auseinandersetzungen bzw. wollten sich nicht zu weit „aus dem Fenster lehnen“. Also mussten wir diejenigen erreichen, die gegen die NPD protestieren wollten und ihnen Möglichkeiten zum Mitmachen aufzeigen.

Schließlich entschlossen wir uns, durch unseren Protest auch an die Bücherverbrennungen im Dritten Reich zu erinnern. Denn genau 75 Jahre zuvor, am 10. Mai 1933, wurden auf dem Berliner Opernplatz und in 21 weiteren deutschen Städten Bücher auf Scheiterhaufen verbrannt. Dieser barbarische Akt ging der organisierten Verfolgung jüdischer, marxistischer und pazifistischer Schriftsteller voraus, dem Vernichtungskrieg und Völkermord.

Die Kulturbarbarei der Nazis durch das Aufzeigen des geistigen Verlustes an großen humanistischen Werten augenscheinlich zu machen und damit die NPD zu demaskieren, schien uns mit der Erinnerung an die Autoren verbrannter Bücher nachvollziehbar. Die Traditionslinie aufzuzeigen, in der sich die NPD befindet, die all diese Verbrechen heute noch verherrlicht, relativiert oder leugnet, war unser Anliegen und wurde unsere konkrete Methode der Auseinandersetzung.

Jeder Mann und jede Frau konnte sich an der Lesung mit einem selbst ausgewählten Text, der die Länge von 10 Minuten nicht überschreiten sollte, beteiligen. Die Liste der Autoren, die in Frage kamen, ist sehr lang. Zu ihnen gehörten: Bertolt Brecht, Walter Benjamin, Ernst Bloch, Max Brod, Alfred Döblin, Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, Sigmund Freud, Heinrich Heine, Franz Kafka, Erich Kästner, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Anna Seghers, Arthur Schnitzler, Bertha von Suttner, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Franz Werfel, Arnold Zweig und Stefan Zweig, um nur einige zu nennen.

Wenn wir auch durch einen Verwaltungsgerichtsbeschluss den Versammlungsraum unter Protest der NPD überlassen mussten und nicht zurückerobern konnten, gestaltete sich der Bürgerprotest in Zühlsdorf doch zu einem eindrucksvollem zivilgesellschaftlichem Ereignis. Unter Beteiligung von Schülerinnen und Schülern, VertreterInnen der demokratischen Parteien, Vereinen, Initiativen, Jugendzentren und Kirchen, fand eine sehr emotionale Protestkundgebung statt, die mit viel Kritik an der Fehlentscheidung der Verwaltung und des Bürgermeisters einherging, aber auch mit einer großen Entschlossenheit, sich gegen den Einfluss der ewig Gestrigen zu wehren. Die mit Glockengeläut um 18.00 Uhr vor der Zühlsdorfer Kirche beginnende und nach vier Stunden im Saal einer in der Nähe gelegenen Gaststätte endende, ganz spezielle Deutschstunde mit Texten aus verbrannten Büchern, wurde ein voller Erfolg. Mehr als 70 Bürgerinnen und Bürger beteiligten sich. Nicht alle, die lesen wollten, kamen zu Wort.

Ein Höhepunkt der Lesung war zweifellos das Auftreten der 97-jährigen Schriftstellerin Elfriede Brüning, die selbst die Bücherverbrennung auf dem Opernplatz miterlebte und als Augenzeugin berichten konnte. Dem Ort Zühlsdorf als ehemalige Einwohnerin verbunden, beschrieb sie ihre Eindrücke und Gefühle, als die Bücher ihrer Kollegen vom Bund proletarisch revolutionärer Schriftsteller und viele ihrer Lieblingsbücher unter Gejohle ins Feuer geworfen wurden. „Es sei daran erinnert, dass die Bücherverbrennung nicht eine perfide Idee von Goebbels war, sondern eine von der deutschen Studentenschaft erfundene Aktion, die in der Bevölkerung breite Zustimmung fand. Das historische beschämende Ereignis sollte uns heute eindringlich lehren, dass es auf uns - die Mitte der Gesellschaft - ankommt, auf unseren humanistischen Geist und unsere Courage.“

Mehr Informationen unter Interner Linkwww.mit-courage.de!