16.12.2008
Die „Akte R“ – Der authentische Fall eines Stasiopfers als Theaterstück
Frappierend ist die Ähnlichkeit der Schaupieler mit den realen Personen, bestürzend die Authentizität und Identität der Handlung auf der Bühne mit den Geschehnissen vor zwanzig Jahren. Auch nach sechs Aufführungen stehen Mario Röllig noch die Tränen in den Augen, wenn der Vorhang fällt und die Darsteller sich vor dem Publikum verbeugen. Denn das Stück „Akte R", das auf der Probebühne des Theater Strahl gespielt wurde, ist seine Lebensgeschichte.Mario Röllig wurde 1987 von der Staatssicherheit inhaftiert, weil er seinen Geliebten, einen westdeutschen Politiker, nicht bespitzeln und aus der DDR fliehen wollte. Was folgte waren drei Monate und drei Tage von Folter und endlosen Verhören im Stasigefängnis Hohenschönhausen. Da sein Name auf einer Liste politischer Gefangener steht, die Erich Honecker der Bundesrepublik 1987 bei einem Besuch mit dem Versprechen der Amnestie als „Geschenk" übergibt, wird der erst 19-Jährige entlassen. Er schafft es nach Westberlin zu gelangen, wo ein neues Leben für ihn beginnt. Nach glücklichen Jahren kommt es zum Eklat: Als er seinem Vernehmer aus Hohenschönhausen wiederbegegnet und ihn zur Rede stellt, reagiert dieser mit Beschimpfungen und Ausreden. Rölligs Vergangenheit holt ihn ein, er erleidet einen Nervenzusammenbruch und muss in die geschlossene Psychiatrie. Erst die intensive Beschäftigung mit seiner Vergangenheit ermöglicht es ihm, wieder ein normales Leben zu führen.
„Für mich war es schockierend, als ich von Marios Geschichte erfuhr. Mir als Westdeutschen wurde das erste Mal das ganze Ausmaß der DDR-Diktatur bewusst.", sagt Mirko Böttcher Autor und Regisseur des Stückes „Akte R". Der persönliche Kontakt zu Röllig kam 2006 zu Stande, im Winter 2007 schrieb er das Stück. Anschließend machte er sich auf die Suche nach Partnern für sein Projekt und konnte unter anderem das Bündnis für Demokratie und Toleranz, den Kulturring Berlin e.V., den Förderverein der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen e. V. und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur für die Förderung der Produktion gewinnen. Zehn Aufführungen im Theater Strahl in Berlin-Schöneberg und fünf in der Gedenkstätte Hohenschönhausen sind das vorläufige Ergebnis dieser Kooperation.
Das Stück „Akte R" richtet sich insbesondere, aber nicht nur an junge Erwachsene ab 15 Jahren. Deshalb wurden besonders Schulen und Lehrer auf das Stück hingewiesen, die den Jugendlichen einen Rahmen geben können, sich dem Thema zu nähern. Das Wissensdefizit ist bei den jungen Generationen erheblich, was die Jugendlichen oft selbst bemängeln. Leider ist die DDR-Vergangenheit immer noch kein fester Bestandteil der Lehrpläne. Die Bearbeitung des Stoffes läuft auch im Unterricht auf freiwilliger Basis und hängt vom Engagement des jeweiligen Lehrers ab. Vier Lehrer der Poelchau-Oberschule in Charlottenburg haben die SED-Diktatur zum Thema der Projektwoche ihrer 9. Klassen gemacht. Sie haben mit ihren Schülern die Vorstellung von „Akte R" am 28.11. besucht und sind überrascht über die Reaktionen: „Durch den menschlichen Kontakt mit den Zeitzeugen erleben die Schüler einen ganz elementaren Zugang. Man erlebt eine Offenheit, die man sonst nicht kennt. Die Schüler sind regelrecht ergriffen von dem Thema und den Zusammenhängen.", so die Lehrer der Gesamtschule.
Denn die Aufarbeitung ist von größter Bedeutung für die zukünftigen Generationen, die die SED-Diktatur nur noch vom Hörensagen kennen. Die Auseinandersetzung mit den Tätern ist dabei besonders schwierig, entziehen sie sich doch meist jeder Diskussion, leben heute einen normalen Alltag und haben dieses Kapitel ihrer Vergangenheit geschlossen. Für den Einzelnen und die damaligen Opfer bedeutet dies oftmals, dass sie nicht lernen können, mit ihren Erfahrungen umzugehen und weiter darunter leiden müssen. Aber auch für die Gesellschaft im Ganzen wirkt sich diese Haltung hemmend aus, denn eine adäquate Aufarbeitung kann nur stattfinden, wo sich alle Beteiligten im offenen Dialog miteinander befinden. An Stelle dessen tritt eine Beschwichtigungs- und Beschönigungsmentalität, die die historischen Ereignisse verkennt und in ein falsches Licht rückt. Auch deshalb ist eine öffentliche und kritische Auseinandersetzung mit dem Thema SED-Diktatur unabdingbar, um auch richtige Schlüsse für heutiges demokratisches Handeln ziehen zu können.
Einen großen Beitrag dazu leistet das Stück „Akte R". „Die Aufführung bringt die Emotionen rüber, aber um die zu verstehen, muss man einfach mehr über das Thema erfahren. Man kann was durch das Stück lernen, vor allem sein eigenes Leben in einem freien Staat zu schätzen.", meint eine jugendliche Besucherin der Vorstellung im Theater Strahl. Für Mario Röllig ist das Stück auch Teil seiner persönlichen Vergangenheitsbewältigung. Mittlerweile jedoch geht sein Engagement darüber hinaus. Er ist nach jeder Vorstellung für ein Nachgespräch mit dem Publikum anwesend und gibt Führungen durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen, die auch Seminare und Projekttage für Schüler und Lehrer anbietet. Mario Röllig sieht für sich als Zeitzeuge einen Auftrag: „Man muss junge Menschen gegen Diktaturen sensibilisieren, egal ob sie dunkelbraun oder dunkelrot sind. Damit sich die Geschichte niemals wiederholt."
Autor und Regisseur Mirko Böttcher sucht für das Jahr 2009 noch Partner und Förderer, um weitere Gastspiele zu ermöglichen. Wenn Sie interessiert sind am Stück „Akte R", können Sie sich direkt an ihn wenden unter mirkoboettcher@web.de!
Weitere Vorstellungen finden statt am
4.12. 19:00 Uhr&5.12. 11:00 Uhr Theater Strahl, Probebühne
10./11./12.12. 10:00 Uhr&10./11.12 19:00 Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
Tickets und Infos:
Tel.: 030/69599222
Web:

