12.01.2018
Interview zur Initiative „Tante Inge“
Katja Karnitzschky im Gespräch
Stell dir vor, du bist 90, ganz allein und hast noch einen Wunsch. Aber niemand hört dich. Gruseliger Gedanke? Das finden Katja Karnitzschky und alle Engagierten von „Tante Inge“ auch! Sie möchten alten Menschen Gehör verschaffen und herausfinden: Was sind die Gedanken und Bedürfnisse eines 70, 80, 90 Jahre alten, vielleicht einsamen, Menschen?Katja Karnitzschky war bei der letzten BfDT-Veranstaltung „Engagiert im Alter –Vielfalt und Erfahrung fürs Ehrenamt“ am 08. Dezember 2017 in Bamberg dabei und bereicherte die Werkstatt „Alt und grau? Das war einmal… Wie sich das Altersbild verändert“ mit einem Bericht über ihre Tätigkeit bei „Tante Inge“. Heute erzählt sie im Gespräch mit uns von ihrem Ansporn und ihren Erfahrungen und Wünschen, die sie während und mit „Tante Inge“ gesammelt hat.
Während der BfDT-Veranstaltung „Engagiert im Alter – Vielfalt und Erfahrung fürs Ehrenamt“ am 8.12.2017 in Bamberg erzählten Sie uns davon, wie Sie mit der Idee von „Tante Inge“ im Gepäck nach Heidelberg kamen, um dort Ihr neues Studium zu beginnen. Ohne jegliche Kontakte in der Stadt schafften Sie es, ein großes „Tante Inge“- Netzwerk aufzubauen und andere von Ihrer Idee zu begeistern. Was genau steckt hinter dieser Idee?
Der Großteil der Menschen möchte im Alter nicht alleine sein. Die Idee von „Tante Inge“ ist, Begegnungsstätten im Alltag für den Austausch zwischen Alt und Jung zu schaffen. Am einfachsten ist es dabei, vorhandene Strukturen zu nutzen. Auf der einen Seite sind das die Strukturen der jüngeren Leute (z.B. Fachschaften an Universitäten), um gezielt Werbung für unsere Projekte zu machen. Auf der anderen Seite gibt es ebenso Seniorenzentren, Pflegeheime oder das Quartiersmanagement, die die Versorgung Älterer zur Aufgabe haben. Die Kunst ist es nun beide Generationen ungezwungen zusammenzuführen und voneinander dauerhaft zu profitieren.
Worin, denken Sie, besteht das Erfolgsrezept des Konzepts von „Tante Inge“?
Der demografische Wandel wird zukünftig den Anteil älterer Menschen an der Gesellschaft steigern. Unser Konzept trifft also auf einen wachsenden Bedarf der gesellschaftlichen Teilhabe bei Älteren einerseits und auf begeisterungsfähige Einrichtungen als Kooperationspartner wie Seniorenheime andererseits. Hinzu kommt, dass jüngere Leute heutzutage mobiler sind und zunehmend örtlich getrennt von der eigenen Familie leben aufgrund von Studium oder Arbeit. Ich höre oft, dass sich die Jüngeren danach sehnen, trotzdem mit Älteren in Kontakt zu treten. „Tante Inge“ schließt die Lücke zwischen den Generationen dort, wo bisherige Gesellschaftsstrukturen keine Verbindungen vorgesehen haben. Die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit, sowie Geborgenheit besteht bei Alt und Jung gleichermaßen.
Wie kam die Initiative zustande und weshalb ist es so wichtig, dass Alt und Jung zusammenkommen und Gemeinsames erleben?
Alles begann in Berlin 2014, als Kerstin ihre 90-Jährige Großtante Inge in Magdeburg nach 17 Jahren besuchte. Die Eindrücke mit der rüstigen Tante, die keine näheren Angehörigen mehr hat, ließen Kerstin nicht locker. Sie fand, es sei traurig, dass alten Menschen die Möglichkeiten fehlten, noch Unternehmungen wahrzunehmen, da sie ohne Begleitung hilflos sind. Daraufhin war die Vision der Initiative „Tante Inge“ geboren, um gemeinsam etwas daran zu ändern.
Warum das Gemeinsame wichtig ist, ist aus meiner Sicht ganz einfach: Je öfter und je früher man die Erlebnisse im Leben teilt, desto wertvoller wird das eigene Leben für Alt und Jung. Vielleicht hilft einem die Gelassenheit der Älteren, die den Alltagsstress relativiert und vermeintlich große Probleme ganz klein erscheinen lässt, und man zusammen lacht, wenn Tante Resi nach 76 Jahren Lebenserfahrung erzählt, dass der dritte Ehemann auch nicht einfacher als der erste war.
Auf Ihrer Internetseite kann man lesen, dass die Wünsche älterer Menschen häufig nicht in die typischen Angebotssparten von Heimen oder Residenzen passen. Erzählen Sie von Ihren Projekten und Unternehmungen, bei denen Jung und Alt aufgrund gemeinsamer Interessen zusammenkommen konnten!
Als mich ein älterer Herr bei der Veranstaltung „Tante Inge tanzt“ im Arm hielt und mit mir ein paar Tanzschritte wagte, flüsterte er mir ins Ohr: „Ich habe seit 50 Jahren nicht mehr getanzt!“ Solche Momente zeigen mir, dass wir dort ansetzen können, wo die Zeit der Seniorenheime nicht ausreicht. Das Motto Tanzen war ein Vorschlag aus dem Pflegedienst, da Bewohner diesen Wunsch geäußert hatten. Zuerst war das „Tante Inge“-Team etwas skeptisch, wie Tanzen mit Rollator oder künstlicher Hüfte und Knie funktionieren soll. Im Gegensatz dazu übte das Seniorenheim Bedenken, als wir ankündigten, zusätzlich Cocktails zu mixen. Bei toller Live Musik schwebten die Tanzpaare über den Boden, viele waren froh „mal nicht in ein faltiges Gesicht zu schauen“ und mal wieder „einen Cocktail schlürfen können“.
Es gibt viele junge Menschen, die keine Großeltern mehr haben und sich trotzdem mit älteren Menschen austauschen möchten. Gleichzeitig leben viele ältere Menschen isoliert und würden in ihrem Alltag gerne mit Jüngeren Kontakt haben. Welche Tipps für den Aufbau eines Alt-Jung-Tandems möchten Sie diesen Menschen geben?
Mein erster Tipp ist, seine eigene Hemmschwelle für eine direkte Ansprache zu lösen. Ich beobachte immer wieder, dass sich Jung und Alt gegenübersitzen und sich niemand so recht traut, den anderen etwas zu fragen. Dabei sollte man auch nicht enttäuscht sein, wenn man nicht beim ersten Mal seine Tante Inge oder seinen Onkel Günther findet. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn nicht aus jeder Unterhaltung ein Tandem entsteht. Beide Personen sollten sich wohlfühlen und meist merkt man recht schnell, wenn es einfach passt.
Der andere Tipp geht an die Senioren: Verschaffen Sie sich Gehör! Eine klare Kommunikation der Bedürfnisse und Wünsche erleichtert es uns Jungen, diese wahrzunehmen und ein Stück weit zu erfüllen. Trauen Sie sich auch Hilfe anzunehmen. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern die Bereitschaft mit Dankbarkeit weiterhin so gut wie möglich an der Gesellschaft teilzunehmen. Isolation entsteht dort, wo einen niemand hört.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Mein größter Wunsch ist, dass „Tante Inge“ wächst und auch in anderen Städten bundesweit aktiv wird. Ich merke, dass wir mehr Menschen brauchen, die von der Idee erzählen, Leute motivieren und überzeugen selbst aktiv zu werden. Mein Wunsch ist dann erfüllt, wenn „Tante Inge“ und ich es schaffen, so viel Achtsamkeit und Verständnis für das Alter in die Gesellschaft zu bringen, dass es eines Tages normal ist, wenn der Student Lukas zu Inge und Günther zum Kniffeln geht, einfach weil sie wissen, was sie am anderen haben – unabhängig von Ehrenamt oder familiären Verpflichtungen.