22.10.2015
Interview mit Aktion Gemeinsinn
"miteinander. füreinander" - das ist das Motto der Aktion Gemeinsinn, der ältesten überparteilichen Bürgerinitiative der Bundesrepublik Deutschland. Sie will Bürger/-innen zur Beteiligung an Diskussionen über aktuelle politische und Gesellschaftliche Probleme ermutigen und sie zur aktiven Problemlösung animieren. Dieses Ziel versucht die Aktion Gemeinsinn über Zeitungskampagnen, aber auch mit Veranstaltungen und Publikationen, zu erreichen.Interview mit Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Mitglied im Beirat des BfDT
Frau Dr. Sonntag-Wolgast, Sie waren Vorsitzende der Aktion Gemeinsinn, Deutschlands ältester Bürgerinitiative, die nun nach fast sechs Jahrzehnten ihre Kampagnen-Tätigkeit beendet. Erzählen Sie uns kurz etwas über die langjährige Arbeit der Aktion Gemeinsinn und deren Ziele.
Gemessen an der langen Geschichte der Aktion Gemeinsinn war meine Vorsitzenden-Tätigkeit (von 2006 bis 2013) eine kurze Episode. Die Aktion Gemeinsinn wurde 1957 gegründet als Zusammenschluss von Bürgern, die sich für ziviles Engagement starkmachen wollten. Das klingt heute wie ein Allgemeinplatz, aber es war damals, in den späten Fünfzigern, neuartig. Deshalb ist die Aktion Gemeinsinn die älteste Bürgerinitiative der Bundesrepublik. Sie wollte immer eine Vorreiter-Rolle beim Anpacken gesellschaftlich wichtiger und drängender Probleme spielen. Das tat sie - nach amerikanischem Vorbild und unter tatkräftiger Hilfe von Werbeagenturen - mit Slogans und Erklärungen, die dann von den Medien kostenfrei veröffentlicht wurden. Hinzu kamen Tagungen und Foren zu den jeweils aufgegriffenen Themen. Das Wort "Gemeinsinn" – heute allgemein geläufig – nistete sich so im deutschen Sprachgebrauch ein. Viele Prominente aus Politik, Kultur und Wirtschaft und Wissenschaft haben die Appelle der Aktion Gemeinsinn mit unterzeichnet. Mehrere Bundespräsidenten fungierten als Schirmherren. Allerdings: Das Prinzip „Jeder bringe sich ein, verzichte aber auf Bezahlung“ funktionierte, solange die großen Verlagshäuser noch finanziellen Spielraum hatten. Der fehlt heute. Das schwieriger gewordene Anzeigen-Geschäft gibt kaum noch Chancen für kostenfreie Veröffentlichungen, auch wenn die Texte noch so überzeugend sind. Deshalb hat die Aktion Gemeinsinn in diesem Jahr ihre Aktivitäten eingestellt.
Aus der Aktion Gemeinsinn ist das Buch "Gemeinsinn. Vom Mutmachen sich einzumischen" entstanden. Wovon handelt es?
Vor allem natürlich von den Kampagnen der Aktion Gemeinsinn, die teilweise noch heute sinnvoll erscheinen. Man denke an die Aufforderung, ausländische Studenten zu betreuen oder sogar aufzunehmen. Oder an die Mahnung, alte Menschen nicht ins soziale Abseits zu schieben. Oder an den frühen Appell an das Umweltbewusstsein. Legendär wurde die Anprangerung des "Herrn Ohnemichel", der jede politische Verantwortung von sich schiebt. Nach dem Fall der Mauer brillierte die Aktion Gemeinsinn mit witzigen Filmspots und hochkarätig besetzten Tagungen, die sich allesamt dem schwierigen Prozess des Zusammenwachsens von Ost und West widmeten. Dafür hat sie übrigens den „Einheitspreis“ der Bundeszentrale für politische Bildung erhalten. Neuere Kampagnen drehten sich um die Integration, frühe Förderung von Kindern und die Warnung vor einem Scheitern der Europäischen Union. Alles immer noch aktuell. Das Buch schildert aber auch die Probleme, mit denen eine streng ehrenamtlich arbeitende Organisation zu kämpfen hat. Längst nicht alles wird schöngeredet.
Was hat die Aktion Gemeinsinn bewirkt, was bleibt aus ihr für die Zukunft erhalten?
Ganz konkret: Aus der Kampagne für Solidarität mit den Senioren ist das "Kuratorium Deutsche Altershilfe" hervorgegangen, das bis heute tätig ist. Der "Herr Ohnemichel" steht symbolisch für die immer noch weit verbreitete Meinung vieler Menschen, man könne ja "gegen die da oben" doch nichts ausrichten, und die wachsende Wahlmüdigkeit in der Bevölkerung. Aus jüngerer Zeit nenne ich die Kampagne der Aktion Gemeinsinn für eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung. Das war eine erfolgreiche Aktion, mit der die Bundestagsabgeordneten nach langem Zögern zur parlamentarischen Behandlung und Abstimmung über das Thema gedrängt wurden. Großen Erfolg hatte auch die Kampagne "Werden Sie zum Geldverbesserer", die für einen ökologisch bewussten Umgang mit Nahrungsmitteln und "Fair trade" warb. Sie merken an dieser Aufzählung, welches breite Spektrum die Aktionen hatten, welche Fülle von Themen aufgegriffen wurde. Das ist ein hoher moralischer Anspruch; zugleich ist es aber auch schwierig, für diese allgemein gefassten Anliegen jeweils die richtigen Ansprechpartner zu finden. Gemeinnützige Organisationen mit einer spezifischen Zielsetzung haben da einen Vorteil. Je konkreter und präziser eine Forderung, desto leichter lässt sie sich kommunizieren – auch über die Medien. Das ist eine Lehre, die man aus dem Rückzug der Aktion Gemeinsinn ziehen muss. Dennoch: wenn im Zeitalter zunehmender Individualisierung allein der Begriff "Gemeinsinn" überlebt, ist schon viel gewonnen. Die jüngste Bürgerbewegung, die in unserem Land zur Zeit Willkommenskultur gestaltet, stimmt mich hoffnungsvoll.
Weitere Informationen zur Aktion Gemeinsinn finden Sie
