17.08.2011
Das 1x1 des guten Tons
Von Petra Schlüter (Zukunftswerkstatt 50 plus)Als das Büro „Agenda 21“ der Stadt Gelsenkirchen 2005, vertreten durch den Senioren- und Behindertenbeauftragten Dr. Wilfried Reckert, die Zukunftswerkstatt 50 plus gründete, bin ich als 55-Jährige das erste Mal in meinem Leben mit dem Ehrenamt in Berührung gekommen.
Dort, in der „Ideenschmiede“, saßen wir Reiferen eines Tages zusammen, als das Thema auf unsere „flegelhaften“ Kinder und Jugendlichen kam. Sie hätten keinen Respekt vor dem Alter, kein Benehmen und würden essen wie die ...! Darauf stellte ich mir die Frage, wer das zu verantworten hat? War ihr Verhalten vielleicht nicht auch die Folge von Versäumnissen der Eltern und Großeltern oder einfacher gesagt: VON UNS? Lasst uns doch daran etwas ändern, indem wir in die Hauptschulen gehen und an den sogenannten Missständen arbeiten, dachte ich mir. Gesagt, getan!
Wieder zu Hause, erzählte ich meinen Söhnen voller Tatendrang meine Idee, von der ich so überzeugt war. Aber ihr Kommentar: „Mama, du hast doch gar keine Ahnung, was auf den Hauptschulen los ist, und dann bei 14- bis 16-Jährigen!!!“ Nachdem ich mir trotzdem Gedanken gemacht hatte und der Titel für einen Kurs feststand – 1x1 des guten Tons – erzählte ich beim nächsten Meeting in der Projektwerkstatt davon. Aber auch hier traf ich auf Zweifel: „Das interessiert die Jugendlichen nicht...ob die Schulen da mitmachen...du bist kein Pädagoge!“ und viele andere Bedenken wurden eingeräumt. Bis Theresia Samsel, 72-jährig, sagte: „Lass es uns ausprobieren!“
Die erste Schule, der erste Rektor, die erste Lehrerin…von allen ein Lächeln mit der Bemerkung, dass wir nicht wüssten, auf was wir uns einlassen würden. Doch wenn wir unbedingt wollten, könnten wir nach dem Unterricht für zwei Stunden die Kinder mit unserem Thema konfrontieren.
Der Kurs besteht aus 4 x 45 Minuten mit den Themenfeldern „Respektvoller Umgang unabhängig von Alter, Nationalität und Geschlecht“, „Begrüßung, Körperhaltung, Kleidung, Umgang mit Technik in der Öffentlichkeit“, „Rollenspiele: Du bist der Praktikant, Kunde oder Chef“ und „Tischmanieren und Esskultur“ (auch mit praktischen Übungen). Als Abschluss gehen wir in ein gutes Restaurant, um das Erlernte in die Praxis umzusetzen, und die Schülerinnen und Schüler erhalten ein Zertifikat über die Teilnahme an dem Benimmkurs. Inzwischen haben meine Mitstreiterin Frau Klein und ich über 300 Schüler aus 21 Nationen unterrichtet. Der Unterricht findet inzwischen zur regulären Schulzeit statt.
Bei den Schülern haben wir unglaublich viel Interesse, Spaß und Respekt erfahren. Eine Kollegin bemerkte für sich, dass sie geradezu in einen Jungbrunnen gefallen sei. Auch das Lehrerkollegium sieht (inzwischen) diese Stunden als wichtige Station ins Erwachsenen-Leben an. Unser generationsübergreifendes Projekt soll den jungen Menschen die Einsicht in die Notwendigkeit von sozialer, emotionaler und kommunikativer Kompetenz vermitteln. Die Nachhaltigkeit dieses Projekts erleben wir auch häufig, wenn wir die Schüler in der Stadt treffen: durch ihr Verhalten und ihre Umgangsformen, was sogar ihre Eltern bestätigen.
Wir sind besonders stolz, dass die Jugendlichen gespürt haben, dass wir, die Älteren, ihnen soviel Respekt und Toleranz entgegenbringen, wie wir es von ihnen erwarten und von diesen Tugenden nicht nur reden und schreiben, sondern sie auch leben.