06.11.2014
Porträtreihe "Botschafter für Demokratie und Toleranz" 2014 – KIgA e.V. – Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus
Interview mit Malte Holler

Mit welcher Motivation wurde der Verein 2003 gegründet?
Wir waren in jenen Jahren mit einer Welle von Antisemitismus konfrontiert. Damals kam es in Frankreich, Deutschland und der Türkei auch zu gewalttätigen Angriffen gegen jüdische Menschen und Institutionen. Auch in unserer eigenen Nachbarschaft traten feindselige Haltungen gegenüber jüdischen Menschen immer offener zutage. Dieser Entwicklung wollten wir etwas entgegensetzen und gründeten einen Verein für politische Bildung. Dabei war es uns besonders wichtig, gezielt aktuelle Formen von Antisemitismus in den Mittelpunkt zu stellen. Eine ausschließlich historische Auseinandersetzung mit dem Thema über die Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust allein schien uns nicht ausreichend, um den Antisemitismus auch in seinen aktuellen Erscheinungsformen zu bekämpfen. Außerdem war es uns ein besonderes Anliegen, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die deutsche Gesellschaft immer vielfältiger wird. Nicht nur in Städten wie Berlin leben heute Menschen mit unterschiedlichsten historischen, kulturellen oder religiösen Bezügen. Diese gesellschaftliche Vielfalt greifen wir in Konzeption und Praxis unserer Bildungsarbeit bewusst auf.
Wie setzen Sie dies in Ihrer Arbeit um?
Das Thema Antisemitismus ist sehr komplex und seine pädagogische Bearbeitung erfordert eine Fülle an besonderen Kompetenzen. So weist der Antisemitismus etwa spezifische Merkmale auf, die ihn von anderen Vorurteilsstrukturen und vielen Formen des Rassismus unterscheiden. Man denke zum Beispiel an die Bedeutung von Verschwörungstheorien und an die Vorstellung, dass "die Juden" besonders mächtig und einflussreich seien, dass sie Politik und Medien kontrollieren würden etc. Solche Zuschreibungen erfordern besondere methodische Zugänge, damit der Bildungsprozess auch gelingt. Besonders häufig treten antisemitische Ressentiments heute auch im Zusammenhang mit kritischen Äußerungen zur Politik des Staates Israel in Erscheinung. Deshalb gehört unter anderem der israelisch-palästinensische Konflikt zu den Schwerpunkten unserer Bildungsarbeit. Immer wenn der Nahostkonflikt militärisch eskaliert, so wie aktuell im Sommer 2014, dann hat das auch Auswirkungen auf die Stimmungslage in Deutschland. In unseren Workshops ist in so einer Situation besondere Sensibilität und Augenmaß gefragt. Im Übrigen thematisieren wir in unserer Arbeit aber auch andere Formen stereotypen und ausgrenzenden Denkens, beschäftigen uns etwa mit religiösem Extremismus oder mit der steigenden Muslimfeindlichkeit in Deutschland. Gezielt machen wir Bildungsangebote zu Themen, an die sich andere nicht heranwagen, weil sie besonders kontrovers und schwierig zu bearbeiten sind.
Wie beziehen Sie junge Menschen in Ihre Arbeit ein? Wenden Sie sich auch an ältere Personen mit Migrationshintergrund?
Grundsätzlich richtet sich unsere Arbeit nicht ausschließlich an Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund, aber natürlich ist die Bevölkerungsstruktur in Berlin wie anderswo heute von großer Vielfalt geprägt. Dies berücksichtigten wir sowohl in unserer inhaltlichen und methodischen Herangehensweise als auch in der Zusammensetzung unseres Teams. Unsere Workshops und Seminare orientieren sich stark an der Lebenswelt und den Interessen der Teilnehmenden. Dabei arbeiten wir auch mit Peer-to-Peer-Ansätzen und bemühen uns, engagierte junge Leute auch längerfristig in unsere Bildungsarbeit zu integrieren. Manche derjenigen, die heute für uns in die Schulen gehen und dort Workshops durchführen, waren früher selber Teilnehmende an KIgA-Projekten. Auch Bildungsangebote für Erwachsene sind fester Bestandteil unserer Aktivitäten. Regelmäßig bieten wir etwa Fortbildungen und Trainings für Multiplikator/-innen aus Schule, Sozialarbeit oder öffentlicher Verwaltung an.
An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?
Momentan befindet sich KIgA e.V. in einer schwierigen Situation. Seit Januar 2014 stehen uns kaum noch öffentliche Fördermittel zur Verfügung, so dass wir alle Personalstellen streichen mussten. Unseren Bürobetrieb halten wir derzeit ehrenamtlich aufrecht und finanzieren unsere Miete weitgehend über Spenden. Gerade für kleinere Vereine, die wie die KIgA vollständig von Projektförderung abhängig sind, ist eine solche Förderlücke oft existenzbedrohend. Aktuell werden lediglich einige Kleinprojekte in verschiedenen Berliner Stadtbezirken fortgeführt. Neue Projekte befinden sich in Vorbereitung und wir rechnen damit, unsere Arbeit spätestens zu Jahresbeginn 2015 wieder aufnehmen zu können. Zum Beispiel möchten wir in Berlin unsere Zusammenarbeit mit Schulen weiter ausbauen, und ebenso unsere Angebote für Erwachsene. Außerdem wollen wir unsere bundesweiten Aktivitäten fortführen bzw. weiterentwickeln und planen auch internationale Projekte.
