13.12.2011
"Das verbotene Dorf" – Bericht über das Verhörzentrum Wincklerbad in Bad Nenndorf
Neuste Forschungsergebnisse über Unrecht im Britischen Zentralgefängnis – und wie dieses von Neonazis instrumentalisiert wird
Im Volksmund war es lange nur als „Das verbotene Dorf" bekannt – was genau sich zwischen 1945 und 1947 in Bad Nenndorf nahe Hannover abspielte, das klärte sich - auch für viele Anwohner - erst Jahrzehnte später auf. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges verwandelte der Britische Geheimdienst das Dorf mitsamt dem 1930 gegründeten Badehaus Wincklerbad in geheime Gefängnisse für politische Gefangene. Aus Badezellen wurden Gefängniszellen, in denen sich auch Misshandlungen und Folter zutrugen. Nachdem zwei Häftlinge starben und zahlreiche andere unterernährt und mit Erfrierungen in nahe gelegene Krankenhäuser eingeliefert wurden, stellte die Britische Regierung einige der Verantwortlichen vor ein Militärgericht und schloss das Lager.Jahrzehntelang war Bad Nenndorf wieder ein friedlicher Badehaus-Kurort; bis das Dorf 2006 von Neonazis für Propagandazwecke entdeckt wurde. Erstmals vor fünf Jahren meldeten Rechtsextreme einen „Trauermarsch" für angeblich unschuldig Inhaftierte an. Damals kamen nur rund 20 Demonstranten, 2010 waren es bereits um die 1000. Ihre Behauptung: In Bad Nenndorf seien Unschuldige gefoltert worden und damit zeige sich, dass die Briten systematisch Kriegsverbrechen begangen hätten.
Um diesem Missbrauch von Geschichte vorzubeugen, haben Utz Anhalt und Steffen Holz umfangreich über das „Verbotene Dorf" recherchiert, um mit historischen und detailgetreuen Fakten, Zeugenberichten und ungeschönten Beschreibungen von Foltermethoden und -opfern die Geschichte des Verhörzentrums zu berichten. Dabei werden die unmenschlichen Umstände, unter denen einige Häftlinge inhaftiert wurden, nicht ausgespart. Allerdings zeigt sich ganz deutlich, dass es sich bei den Misshandlungen nicht um systematische Gewalt handelte, sondern um die Taten Einzelner, die diese auch vor britischen Gerichten verantworten mussten. Einblicke in die Hintergründe der Inhaftierungen zeigen zudem, dass es sich nicht um zufällig Inhaftierte, sondern zumeist um Führungspersonen aus NS-Organisationen handelte. So war unter den Häftlingen auch Oswald Ludwig Pohl, der als „oberster Organisator und Vollstrecker des Holocausts" bei den Nürnberger Prozessen zum Tode verurteilt wurde.
Auch nach 1945 war die Angst der Briten vor einem deutschen Widerstand und Anschlägen gegen die Besatzer groß. Besonders die Gefahr einer NS-Untergrundarmee namens „Werwolf", die auf Selbstmordattentate gegen die Alliierten spezialisiert war, konnte von diesen nicht richtig eingeschätzt werden. Deswegen verhafteten die Briten zunächst auch Führungspersonen des Nazi-Regimes, gegen die noch kein konkreter Verdacht bestand. Neben Gefangenen mit NS-Hintergrund wurden ab 1946 auch vermehrt angebliche Kommunisten und sowjetische Spione festgenommen und im Wincklerbad verhört. Unter ihnen waren zwei Häftlinge, die kurz nach ihrer Inhaftierung im Wincklerbad in Krankenhäusern verstorben sind.
Auf fast 200 Seiten erzählt „Das verbotene Dorf" die erschütternde Geschichte Bad Nenndorfs. Dabei zeigt sich: Aufarbeitung und Aufklärung sind essentiell im Umgang mit der NS-Geschichte und insbesondere im Einsatz gegen Rechtsextremismus. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) nahm sich des Missbrauchs historischer Orte und Daten durch Rechtsextremisten bei einer Tagung auf der ostwestfälischen Wewelsburg an. Und auch in Bad Nenndorf selbst engagiert sich aufgrund der Ereignisse seit 2008 das Bündnis "Bad Nenndorf ist bunt", in dem sich Politiker zusammen mit ehrenamtlich Engagierten für Toleranz und für einen unverklärten Blick auf die Geschichte des Dorfes starkmachen. Für dieses Engagement wurde „Bad Nenndorf ist bunt“ 2011 mit dem Preis „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ vom Bündnis für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet.
Die Motivation für ihr Engagement fassen Utz Anhalt und Steffen Holz, der als Generalsekretär beim DGB (Region Niedersachsen-Mitte) im Bündnis engagiert ist, zusammen:
"[...] Dass ,Bad Nenndorf' von Neonazis zum Gegenstück der Folterkeller von Gestapo und NS gemacht werden soll, treibt einem die Schamesröte ins Gesicht. In Bad Nenndorf und im gesamten britischen Internierungssystem fehlt sowohl das terroristische System staatlichen Missbrauchs und daher auch die Zahl und die Art der Opfer der NS-Barbarei. Es gibt hier nichts Vergleichbares und darum nichts gleichzusetzen."
"Das verbotene Dorf. Das Verhörzentrum Wincklerbad der britischen Besatzungsmacht in Bad Nenndorf 1945 bis 1947." von Utz Anhalt und Stefan Holz. Offizin Verlag, 2011. 191 Seiten. 9,80 €. ISBN: 978-3-930345-90-8.
