15.09.2011

„Es geht auch darum, aus der Geschichte der Judenfeindschaft zu lernen.“

Rezension: Wolfgang Benz „Antisemitismus und „Islamkritik“. Bilanz und Perspektive.“

Foto: Antisemitismus und "Islamkritik" (Metropol Verlag)
Das Jahr 2010 war kein gutes Jahr. Fast monatlich entlud sich der Hass, der zumeist per Telefon oder in Form anonymer E-Mails und Briefe in jüdischen Einrichtungen und Institutionen ankommt, in Gewalttaten und Brandanschlägen. Ein Auszug aus der Statistik: Im Mai brannte die Wormser Synagoge. Im Juni wurde eine jüdische Tanzgruppe von Minderjährigen attackiert. Im Juli hackten Rechtsextreme die Homepage der KZ-Gedenkstätte Dora-Mittelbau.

Diese Beispiele listet Wolfgang Benz in seinem aktuellsten Werk „Antisemitismus und „Islamkritik“. Bilanz und Perspektive“ als alltägliche Beispiele des Judenhasses in Deutschland auf. Das schmale Buch schafft es fließend vom Historischen ins Aktuelle zu gleiten und zeigt dabei, dass Antisemitismus kaum des Adjektivs „modern“ braucht, um Demokraten auch heute ernsthaft zu sorgen. Prof. Dr. Wolfgang Benz leitete von 1990 bis 2011 das renommierte Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin und ist langjähriges Mitglied im Beirat des Bündnisses für Demokratie und Toleranz (BfDT). Als solches setzt er immer wieder wichtige Impulse für die Arbeit gegen Antisemitismus im BfDT.

Auch dieses Buch will Impulse setzen und den Blick über eine Zusammenfassung der aktuellen Antisemitismusforschung hinausführen. Das Buch, so Benz, ist „keine Streitschrift. Der Untertitel soll andeuten, dass es um Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit geht, die sich als Vorurteilsforschung versteht (…).“ So schränkt der Autor die Dimension der eingangs erwähnten Straftaten auch nicht ein, wenn er festhält, dass in der „Gegenwart Deutschlands [der] Antisemitismus den Charakter der politischen Ideologie weitgehend verloren [hat]“ und er „sich als verbreitetes individuelles Vorurteil“ zeigt. Denn ganz im Gegenteil: Vorurteile können gefährlich sein. Anhand zahlreicher Beispiele verdeutlicht er, dass das Vorurteil selbst zu einem gefährlichen Katalysator für individuelle und kollektive Frustrationen und Aggressionen werden kann. Aus dem Vorurteil heraus können sich wiederum Feindbilder bilden und ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen, dass zu oft negative Folgen für Minderheiten hat.

Auch wenn der Begriff „Vorurteilsforschung“ im Titel nicht enthalten ist, gilt er hier doch als Grundlage für die inhaltlichen Verknüpfungen und kritischen Anmerkungen. Prof. Benz gilt bis heute als einer der ersten, der die Antisemitismusforschung in den Dienst der allgemeinen Vorurteilsforschung stellt und Phänomene des Islamhasses mit jenen des Antisemitismus zu vergleichen wagt. Für ihn ist die Erforschung von Vorurteilen und ihrer Mechanismen „eine Dienstleistung, und zwar vor allem gegenüber der Mehrheit, der die Erkenntnis nahegebracht werden muss, dass Feindbilder als Konstrukte in ihrer Mitte entstehen, dass Minderheiten vor allem Opfer von Ressentiments sind, die sie nicht durch ihre Eigenschaften, ihr Verhalten, ihre „Rasse“ oder Religion ausgelöst haben.“ Der Autor betont, dass er mit diesem Ansatz keineswegs den Holocaust marginalisieren, sondern Methoden der Diskriminierung untersuchen will. Der Vergleich als wissenschaftliche Methode sei für ihn legitim, um Zustände zu beschreiben, zu verstehen und Lösungsansätze zu finden.

Im Zentrum des insgesamt sechs Kapitel umfassenden Buches steht damit auch immer der Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit den Minderheiten. Wie findet soziale Integration statt, wie werden Migrationsprozesse begleitet und welche Konflikte ergeben sich daraus? Benz zieht hier zum Teil historische Parallelen zu der Judenfeindschaft im 19. und 20. Jahrhundert und führt als Beispiel die Skepsis gegenüber dem damaligen Bau von Synagogen und dem heutigen Bau von Moscheen an. Darüber hinaus spricht er von einer gefährlichen „Verabsolutierung einer Teilidentität“. Dahinter steht zum einen die unzulässige Vermischung vom Islam als Religion mit dem so genannten islamistischen Terror: „Die Strategie des islamfeindlichen Diskurses zieht dahin, „Islam“ als Einheit erscheinen zu lassen, für die islamistischer Terror typisch sei.“ Zum anderen sieht Benz diese Verabsolutierung aber auch auf der Mikroebene angelangt. Es wird von der Muslima oder dem Muslim gesprochen. Nicht selten geht damit ein Überfremdungsdiskurs einher, mit dem rechte Parteien Ängste schüren wollen. Ausgeblendet wird dabei aber die individuelle Lebensgeschichte und Selbstdefinition des Menschen als Bruder, Vater, Mutter oder Arbeitskollegin. Der Autor sieht darin eine „Stigmatisierung, mit der Diskriminierung und Schlimmeres einhergehen.“ Als eines der schrecklichsten Beispiele führt er Reaktionen aus dem Internet nach dem Mord an einer jungen Ägypterin in Dresden im Jahr 2009 an. So schreibt einer der „User“, dass die Tat zu verurteilen sei, „allerdings gibt es jetzt eine islamische Gebärmaschine weniger“.

Benz' 200 Seiten langes Buch schafft es in einer nie verkürzenden Raffung, den Stand der aktuellen Antisemitismusforschung darzulegen. Diese sieht er stets auch in Bezug auf eine weiterführende Vorurteilsforschung im Sinne der Demokratie. Deren offener Blick auf aktuelle Ausgrenzungsprozesse wie z.B. dem Islamhass ist nur konsequent. Das Buch setzt damit wichtige Impulse, von denen man sich an der einen oder anderen Stelle doch gewünscht hätte, dass sie nicht nur angerissen, sondern ausführlicher dargelegt werden.