26.07.2018

Interview mit der BfDT-Botschafterin 2018 Nahid Farshi

Im Gespräch erzählt Nahid Farshi warum zivilgesellschaftliches Engagement für sie so wichtig ist und wie ihr Alltag im Ehrenamt aussieht.

Nahid Farshi, Diplom-Informatikerin, unterstützt ehrenamtlich seit mehr als 20 Jahren Menschen, die aus ihren Heimatländern geflüchtet sind. Sie hilft Menschen mit Fluchthintergrund bei Amtsgängen als Dolmetscherin, beschafft Wohnmöglichkeiten, unterstützt bei der Finanzierung des Unterhalts durch Arbeits- und Jobsuche, hilft in Notsituationen auch persönlich finanziell und organisiert wöchentliche soziale Zusammenkünfte in ihrer Privatwohnung. Besonders hervorzuheben ist ihr prägendes Engagement als Mitgründerin und Vorsitzende des 2014 in Dortmund gegründeten Projekt-Ankommen e.V., in welchem sich zeitweise mehr als 700 Dortmunder engagierten. Das zentrale Anliegen des Vereins ist es, Geflüchtete in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen, sich in der eigenen Wohnung im Stadtteil zu beheimaten, indem Möbel organisiert, Arbeitsmöglichkeiten gefunden und für die Kinder der Familien einen Schul- bzw. Kindergartenplatz vermittelt werden.

Nahid FarshiNahid Farshi


Sie engagieren sich seit über 20 Jahren. Warum ist Engagement für Sie so wichtig?

Jeder Mensch, der in eine Notlage gerät, benötigt Hilfe, um aus dieser wieder heraus zu kommen und sich gezielt weiter entwickeln zu können. Durch die Hilfe kann die Zukunft dieser Menschen positiv beeinflusst werden.
Stellen Sie sich eine Gesellschaft vor, in der jede/-r nur an sich selbst denkt und sich nicht für andere Mitmenschen interessiert und einsetzt. Würden Sie gerne in so einer Gesellschaft leben?

Vor ca. 33 Jahren sind Sie als politische Geflüchtete aus dem Iran nach Deutschland gekommen und teilen somit eine ähnliche Geschichte mit vielen Menschen, für die Sie sich nun einsetzen. Welche Rolle spielt dieser Hintergrund in Ihrem Engagement heute?

Ich habe mich im Iran auch schon für geflüchtete Menschen, hauptsächlich aus Afghanistan, eingesetzt. Als ich selbst irgendwann als Flüchtling in Deutschland ankam, habe ich glücklicherweise auch viel Hilfe erhalten. Hautnah zu erleben, was diese Hilfe einem bedeuten kann, hat selbstverständlich mein Engagement für Andere noch mehr verstärkt.

Wie sieht der Alltag Ihres Engagements aus? Erzählen Sie kurz etwas über Ihre vielfältigen Tätigkeiten, Projekte und Aktionen.

Ich nehme verschiedene Aufgaben wahr, von Einzelhilfe bis hin zum Aufbau von Netzwerken und Strukturen.
Ich nehme an vielen Vernetzungstreffen teil, bzw. initiiere diese, um die Prozesse zwischen verschiedenen Akteuren (Ehrenamtlichen, Ämtern/Behörden, Wohlfahrtsverbänden,…) abzustimmen bzw. zu optimieren.
Ich nehme alle zwei Wochen als Vorstandsmitglied an den Vorstandssitzungen vom Projekt Ankommen e.V. teil.
Einmal in der Woche biete ich eine offene Sprechstunde an, in der Geflüchtete beraten werden. In einigen Fällen sind Nacharbeiten in den Folgetagen notwendig. Dazu gehören intensivere Einzelberatungen, Kontakt oder Begleitung zu den Ämtern/Behörden, Anwält/-innen, etc…
Organisation und Durchführung von Festen oder die Teilnahme an solchen Festen gehören auch dazu. Ebenfalls gehören inoffizielle Treffen mit anderen Ehrenamtlichen oder Geflüchteten zum Austausch zu meinem Alltag. Diese Aktivitäten stärken den Zusammenhalt enorm.
Ich habe meinen eigenen Beruf (als Projektmanagerin im IT-Bereich) aufgegeben und arbeite jetzt beim Aufbau und der Weiterentwicklung von städtischen lokal-Willkommen Büros als Gesamt-Koordinatorin mit. Diese Büros sind ebenfalls Beratungsstellen für Geflüchtete und helfen in allen Fragen rund um die Integration. Bislang haben drei Büros in verschiedenen Stadtbezirken den Betrieb erfolgreich aufgenommen. Weitere vier Büros sind bis Ende 2019 in Planung bzw. teilweise bereits in 2018 in der Umsetzungsphase.
Durch die volle Stelle bei lokal-Willkommen und die zusätzliche ehrenamtliche Arbeit sind meine Tage so gut gefüllt, dass nie Langeweile aufkommt.

BfDT-Botschafterin Nahid Farshi (links) und BfDT-Beiratsmitglied Christian Lange (rechts) (Foto: André Wagenzick/ BfDT)BfDT-Botschafterin Nahid Farshi (links) und BfDT-Beiratsmitglied Christian Lange (rechts) (Foto: André Wagenzick/ BfDT)


Bis 2018 waren sie einstimmig gewählte Vorsitzende des Projekt Ankommen e.V. Im Wettbewerb 2017 „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ des BfDT wurde das Projekt als Preisträger ausgezeichnet. Worin besteht die Arbeit des Projekt Ankommen e.V., und was macht es so besonders?

Projekt Ankommen e.V. arbeitet rein ehrenamtlich. Den Verein haben wir im April 2015 mit ca. 12 Personen gegründet. Heute sind wir mehr als 400 aktive Helfer/-innen.
Wir haben verschiedene Säulen aufgebaut. Dazu gehören: „Sprachförderung“, „Patenschaften“, „Arbeit und Bildung“, „Gesundheit“, „Sport“, „Umzugshilfe“ und die „Veranstaltungsgruppe“. Unser Büro gilt als eine Anlaufstelle für Geflüchtete aus ganz Dortmund, in dem sie beraten, aber auch auf Angebote verschiedenster Dortmunder Akteure hingewiesen werden.
Auch die Öffentlichkeitsarbeit (Info-Stände, Internetauftritt, Facebook-Seite, …) gehört dazu, neue Ehrenamtliche anzuwerben aber auch die Stadtgesellschaft positiv zu beeinflussen. Dazu zählt zum Beispiel auch unser Willkommensfest, welches wir dieses Jahr nun zum vierten Mal in Folge im Spätsommer feiern werden.
Ich denke, der ganzheitliche Ansatz von Projekt Ankommen e.V. zeichnet diesen Verein aus.
Zudem werden immer mehr Menschen, die vor ein paar Jahren als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, Mitglieder in unserem Verein. Sie gestalten unsere Arbeit in den verschiedenen Säulen des Vereins oder auch im Vorstand mit. Das hat dazu geführt, dass bei uns nicht die klassischen Rollenverteilungen zwischen Helfer/-in und Geholfenen entstanden, sondern wir zu einer großen Gemeinschaft gewachsen sind, welche gemeinsam an einem Strang zieht und auch zu großen Teilen private Freundschaften pflegt.
Obwohl wir in kurzer Zeit sehr schnell gewachsen sind und natürlich hinter den Kulissen sehr viel zu tun ist, probieren wir, unsere Hilfe so direkt, schnell und unbürokratisch wie möglich zu gestalten.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsch mir Frieden auf der Erde. Um dies zu erreichen, müssten die politischen Entscheidungen sowohl Menschenrechte als auch die Umwelt mehr beachten und nicht nur gewinnorientiert gehandelt werden. Zum Beispiel sollte die Rüstungsindustrie deutlich stärker überdacht werden.
Ich wünsche mir mehr Toleranz in der Gesellschaft. Mehr Verständnis für die Notlagen von Menschen, die ihre vertraute Umgebung hinter sich lassen, fliehen und ein neues Leben aufbauen müssen.