28.06.2018

Interview mit dem BfDT-Botschafter 2018 Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb

Im Gespräch erzählt der Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V., inwiefern die Gedenkstättenarbeit präventiv gegen aufkeimende Erscheinungsformen von Rechtsradikalismus und Antisemitismus helfen kann.

Der Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V. ist ein regionales Netzwerk von zwölf Gedenkstätten in Baden-Württemberg. Der Verbund wurde von den einzelnen Gedenkstätten 2010 selber gegründet - aus der Überlegung heraus, sich gegenseitig in der Gedenkstätten- und Demokratiearbeit zu unterstützen. Der Verbund hat sich vor allem als Ziel gesetzt, der zunehmenden lebenszeitlichen Distanz junger Menschen zu den Themen der Gedenkstättenarbeit entgegenzuwirken. Somit entwickelt der Verein pädagogisch qualifizierte Konzepte der Gedenkstättenarbeit und führt diese an und mit Schulen und Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung durch. Das übergeordnete Ziel ist die Völkerverständigung und der Dialog der Religionen und Kulturen in einem wachsenden und sich vereinigenden Europa.

Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V.Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V.

Aus welchem Anlass wurde der Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb gegründet und wer sind die Initiator/-innen?

In der Region am Oberen Neckar gibt es eine ganze Reihe von KZ- und Synagogengedenkstätten. Schon in den Jahren nach 2000 gab es immer wieder Treffen, bei denen sich die Vereine über ihre Arbeit austauschten. Im Jahr 2006 veranstalteten die Synagogengedenkstätten aus der Region eine große Tagung, in der gemeinsam die Forschungsergebnisse über jüdischen Viehhändler zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb einem breiten Publikum vorgestellt wurden. Daraus ist eine Publikation entstanden. Alle Beteiligten machten die Erfahrung, dass man gemeinsam Projekte verwirklichen kann, die eine Gedenkstätte allein nicht stemmen könnte. Daraus entstand der Entschluss, unsere Zusammenarbeit auf eine neue Stufe zu heben. So wurde 2010 der Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb gegründet. Die Gedenkstätten sind die Hauptträger des Verbundes. Es können aber auch Einzelpersonen oder demokratische Institutionen Mitglied im Verbund werden und durch einen finanziellen Beitrag die Arbeit des Verbundes unsterstützen. Gründungsmitglieder des Gedenkstättenverbundes waren die KZ-Gedenkstätten von Bisingen und Eckerwald, die Synagogengedenkstätten in Baisingen, Haigerloch, Hechingen, Rexingen und Rottweil, die Geschichtswerkstatt in Tübingen und die Stauffenberg-Gedenkstätte in Lautlingen. In der Zwischenzeit sind drei weitere Gedenkstätten-Initiativen dazugekommen: der Löwenstein-Forschungsverein in Mössingen, die KZ-Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen und der Verein für ein Lern- und Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus in Tübingen.

Inwiefern kann die Gedenkstättenarbeit präventiv gegen aufkeimende Erscheinungsformen von Rechtsradikalismus und Antisemitismus helfen?

Die Gedenkstätten können Wissen vermitteln, wie die menschenfeindliche Ideologie des Nationalsozialismus gewirkt hat, wie zwischen 1933 bis 1945 Menschen aus rassistischen Gründen, wegen ihrer politischen Einstellung oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgt und ermordet wurden. Wir können an lokalen Beispielen zeigen, wie gutes Zusammenleben vor 1933 funktioniert hat, wie durch die NS-Ideologie Nachbarschaften zerstört und Hass gesät wurde.
Auch schon vor dem NS gab es Antisemitismus. Aus altem christlichem Judenhass entwickelte sich im 19. Jahrhundert der rassische Antisemitismus. Bis dann Juden von den Nationalsozialisten für fast alles, was negativ belegt war, verantwortlich erklärt wurden.
Mit Vorträgen, Ausstellungen und Workshops versuchen wir die Freude an der demokratischen Gesellschaft zu stärken. Wir mischen uns in aktuelle Debatten ein. So haben wir während des Reformationsjubiläums an mehreren Orten eine Ausstellung gezeigt, die über den Judenhass bei Martin Luther informierte.
Wir unterstützen den Dialog der Religionen und legen Wert darauf, dass das Wissen über das Judentum vertieft wird. Dazu laden wir jüdische Referent*innen ein.
Die Auseinandersetzung mit aktuellem Antisemitismus und Rassismus ist für unsere Mitgliedsinitiativen von großer Bedeutung. Wir informieren uns gegenseitig über aktuelle Entwicklungen in den lokalen Szenen des Rechtsextremismus und vernetzen uns mit anderen demokratischen Einrichtungen.

Mit welchen Akteuren und Akteurinnen aus Politik und Zivilgesellschaft kooperieren Sie?

Natürliche Partner sind für uns die Schulen in unserer Region. An Orten, wo Jugendgemeinderäte exisitieren, gibt es eine Zusammenarbeit. Mit Kirchengemeinden und Volkshochschulen pflegen wir freundschaftlich den Austausch und organisieren gemeinsame Veranstaltungsformate. Die politischen Vertreter auf Gemeinde-, Kreis-, und Landesebene werden regelmäßig über unsere Arbeit informiert und wenn möglich einbezogen.
Wichtig sind für uns die Beziehungen zu den jüdischen Gemeiden in unserer Region (Stuttgart, Rottweil), mit denen wir freundschaftlich verbunden sind.

BfDT-Botschafter/-in Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V. (links) und BfDT-Beiratsmitglied Christian Lange (rechts) (Foto: André Wagenzick/ BfDT)BfDT-Botschafter/-in Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V. (links) und BfDT-Beiratsmitglied Christian Lange (rechts) (Foto: André Wagenzick/ BfDT)


Erzählen Sie kurz etwas über Ihre vielfältige Arbeit, Projekte und Aktionen wie beispielsweise das Modell „Jugendguides“.

Der Gedenkstättenverbund hat eine Homepage, in der über die aktuelle Arbeit aller Mitgliedsinitiativen mit einem Veranstaltungskalender informiert wird.
Wir haben ein umfangreiches Angebot für Kinder, Schüler und Jugendliche. Auf unserer Homepage gibt es zu verschiedenen Themen Arbeitsblätter, mit denen sich Lehrer*innen auf einen Gedenkstättenbesuch vorbereiten können.
Ein Schwerpunkt für uns liegt in der Arbeit mit Jugendlichen. Der Gedenkstättenverbund hat mit anderen Partnern das Modell Jugendguides entwickelt. Jugendliche werden grundlegend mit der Arbeit der einzelnen Gedenkstätten bekannt gemacht. Sie erhalten über mehrere Tage eine Einführung in geschichtliche Forschung und arbeiten dann selbständig an den Gedenkstätten, machen bezahlte Aufsichtsdienste bei Ausstellungen und organisieren eigene Veranstaltungen und Führungen.
Wir geben zweimal pro Jahr die Zeitschrift „Gedenkstätten-Rundschau“ heraus, in der wichtige Forschungsergebnisse und Arbeitsberichte veröffentlicht werden.
Wir organisieren in längeren Abständen Tagungen zu verschiedenen Geschichtsthemen unter dem Gesichtpunkt „Lernen aus der Geschichte“.
Wir haben eine Personendatenbank aufgebaut, in der Informationen über jüdische Familien der Region gesammelt werden. Sie enthält heute über 20.000 Personen-Einträge und ist eine wichtige Verbindung zu jüdischen Familien in aller Welt.
Der Kontakt zu Überlebenden der KZs und deren Familien ist ein weiterer Schwerpunkt unserer Mitgliedsinitiativen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Der Besuch demokratischer Lernorte durch Schulklassen sollte ohne Kosten für die einzelne Schule organisiert werden können. Die Anreise zu Gedenkstätten sollte in vollem Umfang aus dem Landeshaushalt finanziert werden.
Projektartiges, längeres Forschen und Lernen zu einem Thema zum Nationalsozialismus bzw. zur Verteidigung demokratischer Gesellschaften sollte fester Bestandteil des Schulunterrichts werden.
Der Jugendaustausch mit Israel sollte entbürokratisiert und stärker finanziell gefördert werden.