25.05.2011

Festakt/ Auszeichnung "Botschafter" 2011

Foto: Gruppenbild der Botschafter für Demokratie und Toleranz 2011 (eventfotografen.com)Foto: Gruppenbild der Botschafter für Demokratie und Toleranz 2011 (eventfotografen.com)
Über 400 Jugendliche waren dabei, als am 23. Mai im Haus der Kulturen der Welt die diesjährigen Botschafter für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet wurden. Mit Gästen aus Politik und Zivilgesellschaft und den Teilnehmern des Jugendkongresses 2011 feierte das Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) den Tag des Grundgesetzes mit einem Festakt. Höhepunkt war auch in diesem Jahr die Verleihung des Titels an die Botschafter. Mit dabei waren auch die Parlamentarischen Staatssekretäre des Innern Dr. Christoph Bergner und der Justiz Dr. Max Stadler, die zugleich Mitglieder im Beirat des BfDT sind. Als Vertreter der beiden jeweiligen Gründungsministerien des BfDT übernahmen Sie die Würdigung und die Übergabe der Urkunden an die neuen Botschafter.

Mit der Ehrung soll das Engagement der insgesamt fünf Initiativen bzw. Einzelpersonen gewürdigt werden. Mit ihrem Einsatz haben Sie sich in besonderer Weise um die Werte einer demokratischen Gesellschaft verdient gemacht. Oft steckt hinter dem dauerhaften Engagement auch eine persönliche Geschichte. In unseren Portraits stellen wir die Botschafter und ihre Arbeit vor.


Bildergalerie zum Festakt 2011




Wir haben für Sie die schönsten Aufnahmen vom Festakt zur Feier des Tages des Grundgesetzes ausgewählt!

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Die „Botschafter für Demokratie und Toleranz 2011“




Foto: Kazim Erdogan (Mitte) mit Yared Dibaba und Dr. Christoph Bergner (eventfotografen.com)Kazim Erdogan (Mitte) mit Yared Dibaba und Dr. Christoph Bergner (Foto: eventfotografen.com)
Kazim Erdoğan, Berlin – „Integration ist wie ein Baby und muss jeden Tag gepflegt werden“
Die Bedeutung der Sprache zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Kazim Erdoğan. Als er 1974 als 21jähriger der Einladung seines Onkels nach Berlin folgte und in Ermangelung eines Flugtickets zunächst mit dem Bus nach München fuhr, sprach er kein Wort Deutsch. Ein türkischer Landsmann half ihm in gebrochener Sprache einen Fahrschein von München nach Berlin zu lösen und schaffte es gerade eben, sich auf Deutsch verständlich zu machen. Dies war ein Schlüsselerlebnis für den heute beim Sozialdienst Berlin-Neukölln beschäftigten Psychologen. Das mangelnde Sprachvermögen vieler Türken in Deutschland sei vor allem dem Mangel an Kommunikation geschuldet: „Viele der Türken, die hier leben, haben kaum soziale Kontakte zu Deutschen“, so Erdoğan. Auch an einer guten Schulbildung, die Voraussetzung für das Erlernen einer Fremdsprache ist, fehle es oft.

Seit seiner Ankunft in Deutschland vor 37 Jahren ist Erdoğan bestrebt, diese Sprachlosigkeit zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft zu überwinden und sucht nach praktischen Lösungen, die das friedliche Miteinander der Menschen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt unterstützen. Er ist Gründer der Bürgerstiftung Neukölln und des Vereins „Aufbruch Neukölln“, mit denen er zahlreiche Projekte ins Leben gerufen hat. Dazu zählen die jährliche „Woche der Sprache und des Lesens“ und die erste türkische Väter-Selbsthilfegruppe in Deutschland, die bundesweit Schule macht. Sein neuestes Projekt ist die „Kette der Kommunikation“: Über die Internetseite www.kettederkommunikation.de können sich Menschen verschiedener Herkunft registrieren, um sich mit ihnen fremden Menschen auszutauschen und Vorurteile abzubauen.

Erdoğan selbst fällt Kommunikation leicht. Die Menschen, die ihn kennen, sprechen von ihm nur in den höchsten Tönen: Von seiner Fähigkeit Menschen zu verbinden, seiner Warmherzigkeit und seiner Überzeugungskraft. „In Neukölln erfolgreich sein, heißt von Kazim lernen“, erklärt der Projektleiter einer sozialen Initiative in Neukölln. Erdoğan gilt als Musterbeispiel für Integration. Trotz seiner Zuwanderungsgeschichte hat er sich selbst nie als Migrant gesehen und sieht es als Beleidigung an, wenn in öffentlichen Debatten und Talkshows alle „Migranten“ über einen Kamm geschert werden: „Integration ist wie ein Baby und muss jeden Tag gepflegt werden. Und das von allen Seiten und Schichten unserer Gesellschaft.“ Erdoğan leistet seinen Teil dazu.

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Foto: Birgit und Horst Lohmeyer (links) mit Dr. Max Stadler (eventfotografen.com)Birgit und Horst Lohmeyer (links) mit Dr. Max Stadler (Foto: eventfotografen.com)
Birgit und Horst Lohmeyer, Jamel - „Wir ziehen hier nicht weg!“
Als das Künstlerehepaar Lohmeyer sich im Jahr 2005 entschloss, der Großstadt den Rücken zu kehren und vom Hamburger Kiez St. Pauli aufs Mecklenburgische Land nach Jamel bei Wismar zu ziehen, um einen alten Forsthof auszubauen, hatten sie bereits gehört, dass es dort einige Probleme mit Rechtsextremen gäbe. Doch wie stark die rechte Szene vor Ort tatsächlich war, konnten sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorstellen. Mehrere NPD-Funktionäre, einer davon überregional bekannt, im Kreistag vertreten und als Betreiber eines Abrissunternehmens der Hauptarbeitgeber im Ort, leben in Jamel. Die Mehrheit der Bewohner der Ortschaft macht aus ihrer rechtsextremen Gesinnung keinen Hehl. So weist im Dorf ein Wegweiser die Entfernung zu Hitlers Geburtsort Braunau aus, auf einem Findling steht der Gruß „Dorfgemeinschaft Jamel – frei, sozial, national“ und in den angrenzenden Wäldern fanden bis vor einigen Jahren noch „Wehrsportübungen“ statt, die zwar strafrechtlich verfolgt wurden, aber nicht zu Verurteilungen führten.

Dies war die Ausgangssituation, die den Musiker Horst Lohmeyer und die Buchautorin Birgit Lohmeyer in Jamel erwartete. Wo andere wieder Reißaus nehmen oder sich angesichts der Überzahl ihrer rechtsextrem gesinnten Nachbarn still verhalten würden, entschloss sich das Ehepaar Lohmeyer, etwas zu unternehmen. 2007 organisierten sie auf dem Grundstück ihres Forsthofes erstmals das Open-Air-Festival „Jamel rockt den Förster“, um ein öffentliches Zeichen für Demokratie, Toleranz und kulturelle Vielfalt zu setzen. Sie bemühten sich, die Menschen in Jamel und Umgebung für ihre Idee zu gewinnen, doch „auch die wenigen, die wenig mit den Rechtsextremen zu schaffen haben, brachen den Kontakt zu uns ab“, bedauert Horst Lohmeyer. Stattdessen mobilisierte das Ehepaar Menschen von außerhalb, zu ihrem Festival zu kommen, um den Rechten etwas entgegen zu setzen. 200 bis 300 Menschen kommen seither jedes Jahr nach Jamel, „rocken den Förster“ und machen somit auf das Defizit an demokratischer Kultur in der Gemeinde aufmerksam. Birgit und Horst Lohmeyer sind im Ort seitdem alles andere als beliebt. Jahr für Jahr setzen sie sich massiven Anfeindungen und versuchten tätlichen Übergriffen aus. Erst im August 2010 wurde ein Festival-Gast von einem Mitglied der rechtsextremen Szene angegriffen und verletzt. Doch auch angesichts dieser bedrohlichen Lage, lassen sich die Lohmeyers nicht vertreiben und weigern sich, den Neonazis das Feld zu überlassen: „Wir ziehen hier nicht weg!“

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Foto: Waltraud Thiele (eventfotografen.com)Waltraud Thiele (Foto: eventfotografen.com)
Waltraud Thiele, Halle – „Wir wurden dort nur aufbewahrt“
An die ersten Jahre ihres Lebens hat die Hallenserin Waltraud Thiele nur ganz wenige Erinnerungen. Sie wurde im September 1948 in der Haftanstalt „Roter Ochse“ in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt geboren. Ihre Mutter Ilse Moritz war hochschwanger als politische Gefangene inhaftiert worden, weil sie anti-sowjetische Flugblätter verteilt hatte. Unmittelbar nach der Geburt nahm man ihr das Kind weg. Was nun folgte, waren für beide Jahre des Leidens: Von der Haftanstalt „Roter Ochse“ wurden sie zunächst in das ehemalige KZ Sachsenhausen und 1950 in das Frauengefängnis Hoheneck verlegt. „Aber ich war dort immer von meiner Mutter getrennt“, so Waltraud Thiele heute. In Hoheneck nahm man der Mutter das Kind endgültig weg und brachte Waltraud Thiele in ein Kinderheim. Die Bedingungen dort waren schrecklich. Zwar waren körperliche Züchtigungen und Essenentzug als Strafen offiziell nicht erlaubt, doch inoffiziell gehörten sie zur Tagesordnung. Die Kinder waren chronisch unterernährt, wurden nachts mit Psychopharmaka ruhig gestellt und erhielten regelmäßig Schläge. Darüberhinaus wurden sie in keiner Weise in ihrer Entwicklung gefordert: „Wir wurden dort nur aufbewahrt ohne pädagogische Betreuung.“ Als Folge dieser Vernachlässigung konnte Waltraud Thiele mit sechs Jahren kaum sprechen: „Selbst meinen Namen sprach ich mit zwei Fehlern aus“. Auch längere Strecken laufen konnte sie kaum, weil sie selten mehr als eine Zimmerlänge gegangen war. 1954 wurde die Mutter begnadigt und durfte ihr Kind, das sie kaum kannte, wieder zu sich nehmen. Mit 50 Jahren starb die Mutter 1975 an den Spätfolgen der erlittenen Strapazen.

Es dauerte Jahrzehnte, bis Waltraud Thiele sich des vollen Ausmaßes des erlittenen Unrechts bewusst wurde. Nach der Wende begann sie, intensiv zu recherchieren und sowohl ihre eigene als auch die Geschichte anderer Kinder politisch Inhaftierter aufzuarbeiten. Sie entwickelte einen klaren Blick für die politischen Hintergründe ihres Schicksals, engagierte sich im „Bund der stalinistisch Verfolgten (BSV), organisierte Führungen durch die Haftanstalt „Roter Ochse“ und arbeitete ab 1994 fest in der von ihr mit gegründeten Gedenkstätte „Roter Ochse“. Heute ist die Rentnerin ehrenamtliche Vorsitzende der Bezirksgruppe Halle der Vereinigung der Opfer des Stalinismus und engagiert sich als Zeitzeugin, um junge Menschen über das Unrecht aufzuklären, das viele Menschen in der SED-Diktatur erlitten haben. Noch immer leidet Waltraud Thiele unter Albträumen und den körperlichen Schäden der frühen Jahre. Doch innerlich, sagt sie, sei sie in den letzten Jahren etwas zur Ruhe gekommen.

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Foto: Mitglieder des StreetUniverCity Berlin e.V. (links) mit Dr. Max Stadler (eventfotografen.com)Mitglieder des StreetUniverCity Berlin e.V. (links) mit Dr. Max Stadler (Foto: eventfotografen.com)
StreetUniverCity Berlin e.V. – „Ohne Bildung geht gar nichts!“
Die vergangenen Jahre waren von vielen öffentlichen Debatten über die heutige Jugend geprägt. Debatten um Bildungsreformen, soziale Unterschiede, Jugendgewalt und Integration. Doch während die einen noch diskutieren und versuchen neue, zeitgemäße Bildungskonzepte zu entwerfen, sind andere schon dabei konkret zu handeln. Zu diesen anderen gehört das Projekt StreetUniverCity Berlin e.V., das im Jahr 2007 aus dem Kreuzberger Jugendhaus „Naunyn Ritze“ hervorging. Die StreetUniverCity bietet außerschulische Bildung für Jugendliche von 15-25 Jahren, die in den meisten Fällen eine Zuwanderungsgeschichte und einen sozial schwachen Hintergrund aufweisen. Von „Problemfällen“ werden sie zu Studenten und man nimmt sie so, wie sie sind. Egal, was die Jugendlichen bisher geleistet oder eben nicht geleistet haben: Kein Schüler wird verloren gegeben und jeder wird im Rahmen seiner Talente und Stärken gefördert. Dazu holt die StreetUniverCity gemäß ihres Namens die Jugendlichen in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld ab: Auf den Kreuzberger Straßen. Entsprechend lebendig gestalten sich die Bildungsangebote der StreetUniverCity: Es gibt Workshops und Seminare in den Bereichen Gesellschaft (Geschichte, Politik, Ethik, Recht), Kompetenzen (Antikonflikttraining, Rhetorik, Bewerbungstraining), Streetculture (Musik/Tanz), Kunst, Medien und Sport. Wer in verschiedenen Bereichen genug Punkte zusammen hat, erhält das Zertifikat „Street Master“. Natürlich solle der „Street Master“ keine reguläre Ausbildung ersetzen, erklärt Gio di Sera, einer der Projektleiter, doch er solle weitergehen als herkömmliche Bildung und den Jugendlichen verdeutlichen, dass Bildung „cool“ sein und Spaß machen könne. Von „Streetphilosophie“ über Bewerbungs- und Antikonflikttrainings mit der Berliner Polizei bis zur Produktion eines eigenen Kurzfilms ist im Programm alles dabei.

Die Gründer und Seminarleiter der StreetUniverCity sind allesamt selbst durch harte Arbeit und mit Durchsetzungsvermögen die soziale Leiter hochgeklettert. Die meisten von ihnen haben eine Zuwanderungsgeschichte. Dass sie es zu etwas gebracht haben und trotzdem die Nähe zur Straße behalten haben, ist essentiell, um eine Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen: „Wenn wir als Vorbild dienen wollen, müssen wir auch Erfolg haben. Loser werden nicht als Vorbilder akzeptiert. Wir aber sind keine Besserwisser, sondern Leute, die es auf praktischer Ebene immer wieder zum Erfolg bringen. Und das zählt auf der Straße. Deswegen funktionieren unsere Projekte“, erläutert Gio di Sera. „Ohne Bildung geht gar nichts!“

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Foto: Franz Meurer (rechts) mit Yared Dibaba (eventfotografen.com)Franz Meurer (rechts) mit Yared Dibaba (Foto: eventfotografen.com)
Franz Meurer, Köln – „So viel teilen wie möglich“
Die Kölner Viertel Höhenberg und Vingst scheinen auf den ersten Blick kein Hort der Nächstenliebe zu sein: Ein Arbeiterviertel mit 23.000 Menschen, knapp 4000 davon leben von Hartz IV, jeder Dritte hat einen Migrationshintergrund. Köln Höhenberg-Vingst ist ein so genannter sozialer Brennpunkt – und doch gibt es gerade hier eine besondere Verbundenheit der Menschen und ein hohes Maß an Bemühen um ein harmonisches und friedliches Miteinander der Bewohner des Viertels. Dies ist vor allem der Arbeit des katholischen Pfarrers und Jugendseelsorgers Franz Meurer zu verdanken, der die Gemeinde 1992 übernahm und gründlich umgekrempelt hat. Mit unermüdlichem Engagement setzt er sich für den vernachlässigten Stadtteil ein, mobilisiert und motiviert und hat das fast Unglaubliche erreicht: Dass bei sinkenden Mitgliederzahlen und Jugendschwund der Kirchen im Problemviertel Höhenberg-Vingst eine Kirche neuer Zufluchtspunkt und Hoffnungsträger für die Menschen geworden ist.

Meurer organisiert Kleider- und Essensausgaben an Arme, sorgt für Mittagsbetreuung für Kinder von Sozialhilfeempfängern, ruft sexualpädagogische Projekte ins Leben, gibt Bewerberbücher für Arbeitgeber mit Lebensläufen von Förderschülern heraus oder vermittelt Weiterbildungsmaßnahmen an Langzeitarbeitslose. Gemeinsam mit den Bewohnern des Viertels pflanzte er über 1000 Blumenbeete, um der Hochhauslandschaft ein grünes Antlitz zu verschaffen. Seine vielfältigen Angebote finden seit 2001 ihren Platz unter dem Dach des eigens von Pfarrer Meurer gegründeten Fördervereins Pro-Hövi, der neben Selbsthilfe-Projekten auch jedes Jahr das Hövi-Land, ein Sommercamp für sozial benachteiligte Kinder, realisiert. Unter dem Namen Hövi-Land erhalten jedes Jahr rund 500 Kinder des Stadtteils im Alter von 6-14 Jahren die Möglichkeit Ferien zu machen.

Sein Engagement hat ihm die Bezeichnung als „Ghettopfarrer“ eingetragen, einen Titel, den er mit Stolz und Selbstironie trägt. Wenn man Franz Meurer und seine kirchliche Arbeit mit einem Adjektiv beschreiben müsste, so wäre es das Wort „unkonventionell“. Der Katholik nimmt kein Blatt vor den Mund, hält nichts von Dogmen und abstrakten Predigten, sondern ist der Meinung, dass Kirche von unten gelebt werden muss, um die Menschen zu erreichen: „Wir warten nicht, ob jemand kommt. Wir wollen Kirche im Viertel sein, Teil der Lebenswelt der Menschen. So viel teilen wie möglich – das ist der Grundgedanke des praktischen Gemeindelebens.“

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