02.12.2013
„Balu und Du“ oder wie können Kinder Toleranz und Demokratie schätzen lernen?
Preisträger im Wettbewerb "Aktiv für Demokratie und Toleranz 2007"
von Dominik Esch, Hildegard Müller-Kohlenberg, Michael Szczesny und Nina Schomborg.(Balu und Du e.V.)
Welche Erfahrungen sollte ein Kind im Alter von 6 bis 10 Jahren machen, um als Jugendlicher und
Erwachsener eine aktiv demokratische, tolerante und partizipative Lebenseinstellung zu erlangen - und welche sollte es besser nicht machen? Ein Teil der Grundschulkinder lebt in Verhältnissen, die einer wünschenswerten Entwicklung eher im Weg stehen. Das Programm "Balu und Du" vermittelt Erlebnis-se, Lerninhalte oder Einsichten, die dem Verstehenshorizont eines Grundschulkindes entsprechen und die mit der Hoffnung verbunden sind, dass sich Gewalt, Extremismus, Rücksichtslosigkeit und Intoleranz in unserer Gesellschaft gar nicht erst etablieren.
Kurzvorstellung des Projekts "Balu und Du"
Für ein „Mentorengespann" - bestehend aus einem Grundschulkind und einem jungen Erwachsenen - wie bei „Balu und Du" gibt es im Alltag kaum Vorbilder. Es handelt sich dabei weder um ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, noch eine Geschwisterkonstellation, noch eine gewöhnliche Freundschaft. In der Literatur jedoch findet man die Beschreibung einer Art freundschaftlich-belehrenden Beziehung, die uns als Vorbild und Namensgeber gedient hat: „Balu" und „Mogli" aus dem „Dschungelbuch" von Kipling. „Balu", der Bär, beschützt darin den kleinen verlorenen Jungen im Dschungel, zeigt ihm, wie es zugeht im Leben und führt ihn schließlich ins Menschendorf, in die Zivilisation...
Mit dem Mentorenprogramm „Balu und Du" soll benachteiligten Grundschulkindern - ähnlich wie „Mogli" im Dschungelbuch - der Start ins Leben einfacher gemacht werden. Kinder, die uns wegen unterschiedlicher Problemsituationen von den Lehrern und Lehrerinnen an unseren Kooperationsschulen vorgeschlagen werden, erhalten auf freiwilliger Basis die persönliche Betreuung durch einen jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 30 Jahren. Dieser „große Freund", der „Balu", trifft das Kind, den „Mogli", ca. ein Jahr lang einmal die Woche, um es in seiner Entwicklung zu fördern.
Die Gründe für die Aufnahme in das Mentorenprogramm sind unterschiedlich. So beispielsweise wenn Kinder oft alleine zu Hause sind und sich ihre Nachmittagsbeschäftigung auf Fernsehen und Playstation beschränkt. Manchmal fallen sie als „Mobber" auf und ihre Sozialentwicklung gibt Anlass zu Sorge. Oft haben Kinder auch bizarre Vorurteile, in anderen Fällen sind Probleme aufgrund von Migration aus-zugleichen. Kinder, deren Begabungspotential nicht ausgeschöpft ist, sind oft zappelig oder schrill und ziehen deshalb die Aufmerksamkeit auf sich, andere dagegen sind zurückgezogen, interesselos, apa-thisch, ablehnend oder mutlos. Hier gilt es bestimmte Talente mehr zu fördern.
Die Organisation des Projekts ist einfach, wenn einige Qualitätsmerkmale beachtet werden...
Die MentorInnen bzw. „Balus" sind überwiegend Studierende, FachhochschülerInnen oder andere junge Leute, die regelmäßig relevante und vorbereitende Veranstaltungen in einer Bildungseinrichtung besuchen. In mancherlei Hinsicht haben die Begleitveranstaltungen den Charakter einer Supervision, in anderer Hinsicht aber auch von praktischer Beratung oder kasuistischer Reflektion. Viele der MentorIn-nen streben eine spätere Tätigkeit in einem pädagogischen oder psychologischen Feld an.
Die „Balus" schreiben wöchentlich Tagebuch über den Verlauf der Beziehung. Diese Berichte ermöglichen eine zeitnahe Begleitung sowie die Evaluation des Programms.
Der Projektträger ist der gemeinnützige Verein „Balu und Du e.V.". Er steht in enger Kooperation mit der Universität Osnabrück und dem Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln. Immer wieder kommen neue Standorte hinzu, wodurch man inzwischen von einem Netzwerk "Balu und Du" sprechen kann, das durch eine organisatorische Struktur, regelmäßigen Austausch, Starthilfen usw. in Verbindung zueinander steht. Den neuen Standorten stellen wir ein Qualitätshandbuch zur Verfügung, in dem Checklisten, Kopiervorlagen und zahlreiche Anregungen enthalten sind. Projektinitiativen werden ferner durch eine sog. Starterbox mit Spiel- und Lernmaterial, das sich als didaktisch sinnvoll erwiesen hat, unterstützt. Den MentorInnen wird so eine breite Auswahl angeboten, auf die sie je nach Interessenslage des Kindes zurückgreifen können. Seit 2006 findet einmal im Jahr ein Treffen der KoordinatorInnen der verschiedenen Standorte statt, um Erfahrungen und Ergebnisse des Projekts auszutauschen. Die Evalua-tion ist einheitlich etabliert und wird durch die Universität Osnabrück wissenschaftlich begleitet. Sie unterstützt das Projekt auch durch Bereitstellung von Ressourcen zur Förderung von Schlüsselqualifikationen der Studierenden im Professionalisierungsbereich.
Nach etwa einem Jahr enden die regelmäßigen Treffen zwischen den „Balus" und „Moglis". Das bedeu-tet aber meist nicht, dass die Beziehungen abbrechen. Aus dem „Projekt" ist oft eine Freundschaft geworden. Und genau wie sich Freunde nicht jede Woche „montags um drei" treffen, so lebt diese Beziehung fort. Man telefoniert, man verabredet sich und trifft sich ab und zu, man schreibt sich Karten oder E-Mails. Und vor allem wissen die Kinder, dass sie sich in Krisensituationen immer an ihren großen Freund oder Freundin wenden können.
Ein Blick in die Tagebücher: Lernschritte zu Demokratie und Toleranz
Die wöchentlichen Tagebücher der „Balus" stellen einen Erfahrungsschatz bezüglich der kindgemäßen Vermittlung von tolerantem und partizipativem Verhalten dar. Es handelt sich dabei um „Vorformen" oder auch Voraussetzungen für spätere Demokratie und Toleranz. Diese sind einfache Verhaltensweisen wie Rücksichtnahme, Perspektivwechsel, respektvoller Umgang, Entscheidungen treffen, unterschiedliche Normen respektieren etc.
Die Tagebücher zeigen, dass sozial benachteiligte Kinder vieles im Alltag erst noch lernen müssen.
Einige Zitate aus Tagebüchern:
- Abdullah erfährt religiöse Toleranz: „Da Abdullah es seinen Brüdern gleichtun wollte und an diesem schulfreien Tag auch einmal den Ramadan einhalten wollte, verschmähte er den Kuchen. Meine Tante sagte zu ihm, dass sie das ganz toll finde, wie er seinen Glauben einhalte (sie ist fromme Katholikin), und Abdullah war stolz wie Oskar" (3.10.2006).
- Kevin praktiziert Hilfsbereitschaft: „....Dort hatten wir ein großartiges Erlebnis, wie aus dem Schulbuch: Eine alte Dame kam vom nahe gelegenen Bahnhof und schleppte sich mit zwei Koffern ab. Ich habe Kevin gefragt, ob wir der Frau helfen wollen. Er hat nur genickt, und so haben wir der Dame ihre Sachen zur Wohnung getragen.... Die Dame hat sich voll gefreut. Dass man Menschen, die offensichtlich Hilfe brauchen, wie unsere alte Dame hier, auch ansprechen sollte, das hat Kevin heute gelernt....Mal sehen, vielleicht kommt noch mal so eine Situation" (26.1.2006).
- Maria aus Russland lernt ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte kennen: „Ich ging eines Tages mit ihr in das „Felix-Nussbaum-Museum" in Osnabrück. Das tragische Schicksal dieses Malers, der als Jude erst aus Deutschland vertrieben und dann von den Nazis ermordet wurde, versuchte ich ihr anhand der Bilder und der Architektur von Libeskind nahe zu bringen. Zuerst fürchtete sich Maria in dem düsteren Museumsbau, dann aber äußerte sie ihr Verständnis dafür, dass dieses Haus nicht „schön" sein könne" (25.8.05).
- Florian lernt Rücksichtnahme: „Als Florian auf dem Bürgersteig an Personen vorbei wollte, bat er diese freundlich, ob sie ihn kurz durchlassen könnten. Anschließend bedankte er sich. Es war schön, dass er diese Woche das umsetzte, worauf ich ihn letzte Woche aufmerksam gemacht hatte" (24.5.06).
„Balu und Du" ist für neue Kooperationspartner offen. Interessierte Verbände und Schulen wenden sich bitte an:
Dominik Esch
Balu und Du e.V.
Georgstraße 7
50676 Köln
Telefon: 0221-20 10 326
E-Mail: dominik.esch@balu-und-du.de
